DAS IST LOS BEI BAYER:
Angesichts der Prozesse um mögliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter wie Roundup und Ranger Pro ist die erst vergangenes Jahr für viel Geld übernommene US-Tochter Monsanto binnen kurzer Zeit vom Hoffnungsträger zum Risiko geworden. So urteilte eine Geschworenenjury bei einem richtungweisenden Prozess am Bundesbezirksgericht in San Francisco, dass Monsanto für Krebsrisiken von Roundup haftbar ist und einem Kläger Schadenersatz in Gesamthöhe von 80,3 Millionen Dollar (71,4 Mio Euro) zahlen muss.
Die Gesamtsumme liegt damit in etwa auf dem Niveau eines ersten Glyphosat-Urteils aus dem Vorjahr. Bayer geht gegen beide Urteile vor. Die Berufungsverfahren könnten sich Jahre hinziehen. Weitere Prozesse laufen beziehungsweise stehen noch an. Und die Zahl der Klagen wächst. Ende Januar lagen bereits glyphosatbezogene Klagen von etwa 11 200 Klägern vor.
Bayer hält Glyphosat unverändert für sicher und verweist auf "über vier Jahrzehnte umfangreiche wissenschaftliche Arbeit und Schlussfolgerungen von Regulierungsbehörden weltweit". Bisher machten die Leverkusener denn auch keine Rückstellungen für möglichen Schadenersatzzahlungen oder Vergleiche. Lediglich für Verteidigungskosten setzte Bayer zuletzt für drei Jahre mehrere hundert Millionen Euro an.
Bei dem Ende 2018 angekündigten Konzernumbau kommen die Leverkusener derweil voran. Mittelfristig sollen Wachstum und Profitabilität zulegen. In diesem Zuge fallen auch 12 000 Stellen oder rund zehn Prozent der weltweiten Arbeitsplätze weg.
Allein der geplante Verkauf der Tiergesundheitssparte könnte bis zu 8 Milliarden Euro einspielen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg Mitte März berichtet hatte. Das Geld könnte Konzernchef Werner Baumann gut gebrauchen, um die Schulden nach dem rund 63 Milliarden Dollar (56 Mrd Euro) teuren Monsanto-Kauf zu senken und um das Pharmageschäft zu stärken.
Geld in die Kasse spülen dürfte auch die Veräußerung des 60-prozentigen Anteils am Chemiepark-Betreiber Currenta, der auf der Zielgeraden ist. Vom Hof sollen zudem die schwächelnden Marken Coppertone und Dr. Scholl's aus der Sparte für rezeptfreie Medikamente.
Fortschritte machte zuletzt das Pharmageschäft der Leverkusener. Bayer sicherte sich etwa die vollen Rechte an den Krebshoffnungsträgern Larotrectinib und Loxo-195, nachdem der Forschungspartner Loxo Oncology durch den US-Pharmarivalen Eli Lilly (Eli Lilly and) geschluckt worden war. Larotrectinib ist in den USA bereits zur Behandlung bestimmter Tumore zugelassen. Analysten und Investoren sehen aber weiteren Handlungsbedarf in der Sparte, da in einigen Jahren der Patentschutz für wichtige Wachstumstreiber wie etwa den Blutgerinnungshemmer Xarelto wegfallen wird.
Bayer schloss zudem eine rechtliche Baustelle der Pharmasparte: Der Konzern und sein Partner Janssen Pharmaceuticals einigten sich in den USA mit Klägern im Grundsatz auf einen Vergleich im Rechtsstreit um Xarelto. Zwar muss Bayer die Hälfte der insgesamt 775 Millionen Dollar tragen, doch sollen damit fast alle der rund 25 000 Klagen erfasst werden.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die jüngste Glyphosat-Schlappe ließ die Angst von Investoren vor schwer kalkulierbaren Milliardenrisiken wieder hochkochen. Viele hatten offenbar auf einen für Bayer positiven Prozessausgang gehofft. Der Kurs brach auf ein Siebenjahrestief von 54,48 Euro ein.
Seit der Niederlage im ersten Prozess vergangenen August bedeutete das ein Minus von knapp 42 Prozent. Seit dem Rekordhoch von 146,45 Euro im Frühjahr 2015 ging es für den Bayer-Kurs sogar um fast 63 Prozent nach unten.
Auch nach der Kurserholung der vergangenen Tage auf rund 59 Euro bringt es Bayer nur noch auf einen Börsenwert von knapp 55 Milliarden Euro, was weniger ist als allein für Monsanto gezahlt wurde. Trotz aller Probleme verteidigt Bayer-Chef Werner Baumann die Übernahme. "Der Monsanto-Kauf war und ist eine gute Idee", sagte er kürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS).
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Die meisten der 15 Experten, die im dpa-AFX-Analyser seit der Niederlage in der ersten Phase des im März verlorenen Glyphosat-Prozesses erfasst wurden, trauen den Aktien mittelfristig eine Erholung zu. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 76 Euro. Fünf der Experten raten zum Kauf, neun stufen die Papiere neutral ein.
Lediglich Stefan Röhle von Independent Research spricht bei einem Ziel von 52,50 Euro eine Verkaufsempfehlung aus. Er begründete das mit der Unsicherheit, da milliardenschwere Vergleichszahlungen drohten, sollte Bayer die angekündigte Revisionen in den Prozessen verlieren.
Mittlerweile schienen Anleger die drohenden Kosten allerdings bereits auf 15 bis 20 Milliarden Euro zu taxieren, was im Mittel 1,3 bis 1,5 Millionen Euro für jeden der 11 200 Kläger entspreche, schrieb Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan jüngst mit Blick auf die Kursverluste der vergangenen Monate. Er rechnet indes damit, dass die Zahl der Kläger auf mindestens 15 000 steigen wird. Bis sich die möglichen Kosten genauer abschätzen ließen, brauche es vermutlich um die zehn bis zwölf Prozesse sowie Berufungsverfahren, glaubt Vosser. Das dürfte kaum vor Mitte 2020 der Fall sein. Auf dem aktuellen Kursniveau hält der Analyst eine neutrale Einstufung für die Aktien für angemessen.
Zu den größten Optimisten unter den Analysten zählt Markus Mayer von der Baader Bank. Er rät bei einem Kursziel deutlich über 100 Euro zum Kauf. Er verwies darauf, dass in ähnlichen Fällen gegen Unternehmen zunächst verhängte Schadenersatzzahlungen später deutlich reduziert worden seien. Zudem erschienen die Risiken viel zu sehr in den Bayer-Kurs eingepreist. Mayer hält es weiterhin für möglich, dass Bayer nach den Kursverlusten zum Ziel aktivistischer Investoren oder gar zu einem Übernahmeziel wird, sollte der Aktienkurs niedrig genug sein.
dpa-AFX