Die Glyphosat-Klagewelle wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des Unkrautvernichters "Roundup" überschattet seit rund zwei Jahren das Geschäft von Bayer. Doch im Tagesgeschäft des Chemieriesen lief es im abgelaufenen vierten Quartal und auch im gesamten Jahr rund.
Unterm Strich verdiente Bayer 4,09 Milliarden Euro - ein Plus von 141 Prozent. Den massiven Anstieg erzielte der Chemieriese dank der Verkäufe des Tiermedizin-Geschäfts, der Fußpflegemarke Dr.Scholl und des Sonnenschutz-Geschäfts Coppertone. Unternehmenslenker Werner Baumann zeigte sich am Donnerstag zufrieden: Man habe die Finanzziele erreicht und das obwohl man im Agrarsektor mit schwierigen Marktumfeld zu kämpfen hatte. Hier sorgten Überschwemmungen und starker Regenfall im Mittleren Westen der USA für Verluste.
Der Dax-Konzern konnte 2019 seinen Umsatz und Gewinn deutlich steigern und hat damit die Markterwartungen erfüllt. Der Umsatz schoss um 18,5 Prozent auf 43,5 Milliarden Euro nach oben, wie Bayer am Donnerstag in Leverkusen mitteilte. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) wuchs um mehr als 28 Prozent auf 11,5 Milliarden Euro. Vor allem die kräftigen Zuwächse in der Pharmasparte und die Erholung des Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten gaben Auftrieb.
In der Pharmasparte lieferten Wachstumstreiber wie der Gerinnungshemmer Xarelto und das Augenmedikament Eylea Rückenwind. Doch der Patentschutz der beiden Medikamente läuft in einigen Jahren ab. Deshalb stärkt Bayer schon jetzt den Sektor mit neuen Mitteln wie dem Krebswirkstoff Larotrectinib. Und auch beim Prostatakrebsmittel Nubeqa gab es Fortschritte: Es ist bereits in den USA, in Brasilien und in Japan zugelassen und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bald in Europa auf den Markt kommen. Darüber hinaus setzen die Leverkusener verstärkt auf Stammzelltherapien zur Behandlung verschiedener Krankheiten.
Zuversicht fürs neue Jahr
Für 2020 ist Bayer zuversichtlich: Umsatz, Ergebnis und Free Cash Flow sollen steigen. Der Dax-Konzern peilt ein Umsatzplus von drei bis vier Prozent auf 44 bis 45 Milliarden Euro an. Für das bereinigte Ergebnis je Aktie planen die Leverkusener einen Anstieg auf sieben bis 7,20 Euro. Der Free Cash Flow soll sich auf fünf Milliarden Euro belaufen.
Dennoch geht Bayer damit deutlich vorsichtiger ins neue Jahr als von Experten erwartet. So dürfte sich der Konzern für mögliche negative Effekte des Coronavirus wappnen - diese sind noch nicht in der Prognose enthalten.
Causa Glyphosat immer noch nicht geschlossen
In der Öffentlichkeit wird Bayer in den vergangenen Jahren wohl am meisten mit den Glyphosat-Klagen verknüpft. Der Agrarchemiekonzern sieht sich wegen des glyphosathaltigen Unkrautvernichters "Roundup" mit mittlerweile etwa 48.600 Klagen konfrontiert. "Roundup" soll angeblich krebserregend sein.
Die Zahl der Klagen sei allerdings zurückgegangen. Noch im vergangenen Oktober hatte Bayer vor allem die Werbekampagnen der großen Anwaltskanzleien dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Zahl der Glyphosat-Kläger innerhalb von nur drei Monaten auf 42.700 mehr als verdoppelt hatte.
Bereits drei Prozesse hat der Konzern in den USA verloren. Die Richter hatten die geforderten Strafen zwar deutlich reduziert, der im Raum stehende Schadenersatz liegt aber jeweils immer noch im hohen zweistelligen Millionen-Dollar-Bereich. Wie zuletzt im Mai 2019: Hier zahlte der Agrarchemiekonzern eine 86,7 Millionen Dollar Strafe.
Der Konzern will die Schuldsprüche in Berufungsverfahren aufheben lassen. Hinter den Kulissen laufen aber auch Vergleichsgespräche. Baader Bank-Analyst Markus Mayer rechnet mit einem groß angelegten Vergleich bis zur Hauptversammlung Ende April. Zuletzt waren mehrere geplante Gerichtsverfahren verschoben worden: Das hatte Spekulationen befeuert, dass es nicht mehr lange bis zu einer Einigung dauern könnte. Mayer hält für Vergleichszahlungen und für andere Rechtskosten eine Summe von zwölf Milliarden Euro für wahrscheinlich.
Im aktuellen Geschäftsbericht weist der Agrarchemiekonzern explizit auf die Risiken durch den Rechtsstreit in den USA hin. Im Zuge der Verfahren könnten bei einer Verurteilung, aber auch durch außergerichtliche Vergleiche, erhebliche finanzielle Nachteile entstehen. Es ist in diesem Zusammenhang auch die Rede von zusätzlichem Finanzbedarf, der eventuell auch durch eine Kapitalerhöhung oder einen Verkauf von Unternehmensteilen gedeckt werden müsste.
Die Leverkusener vertreten weiterhin einen klaren Standpunkt: Glyphosat sei bei richtiger Anwendung sicher. 800 wissenschaftlichen Studien zufolge - darunter auch unabhängige Untersuchungen - würden bestätigen, dass Glyphosat nicht krebserregend sei. Doch der Einsatz von Glyphosat ist hochumstritten: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte die Chemikalie 2015 als "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" eingestuft. Vor kurzem erhielt Bayer weitere Rückendeckung von der US-Umweltbehörde EPA, die ihre Einschätzung bekräftigte, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung nicht krebserregend sei.
Neuer Aufsichtsratschef - Anzeichen für die kommende Hauptversammlung?
Am Mittwoch gab Aufsichtsratschef Werner Wenning seinen Rücktritt bekannt. Börsianer vermuten nun, dass das auch Aufschluss über die bevorstehende Hauptversammlung geben könnte. Hier dürfte die Causa Glyphosat erneut hochkochen. Sollte Konzernchef Baumann bis dahin das Thema mit dem Unkrautvernichter nicht geklärt haben, könnte sein Stuhl angesichts einer erneut drohenden Nichtentlastung durch die Aktionäre ins Wackeln geraten.
Denn Baumann gilt als Ziehkind von Wenning: Er gab dem Bayer-Chef Rückendeckung beim umstrittenen Kauf des US-Saatgutkonzerns Monsanto und die darauf folgende heftige Aktionärskritik wegen der milliardenschweren Risiken. Der Aufsichtsratschef stand auch hinter Baumann als die Anteilseigner ihm bei der Hauptversammlung 2019 die Entlastung verweigerten - eine Premiere für den Pharmakonzern, die zunächst ohne direkte Folgen blieb.
Baader-Bank-Experte Markus Mayer zufolge könnte der Rücktritt ein Zeichen dafür sein, dass Wenning die Verantwortung für das schlechte Abschneiden auf der Hauptversammlung 2019 übernimmt. Allerdings könne der Rücktritt auch ein Hinweis auf weitere Veränderungen an der Spitze des Dax-Konzerns sein. So verliere Baumann einen seiner wichtigsten Unterstützer.
Einschätzung der Redaktion
Im schwachen Gesamtmarkt fiel die Bayer-Aktie am Donnerstag um zeitweise mehr als drei Prozent - damit war das Minus größer als das des Dax. Die erfüllten Erwartungen an das vierte Quartal und das Geschäftsjahr hatten also wenig genutzt. Mit derzeit 67, 28 Euro kostet das Papier aber immer noch deutlich mehr als zum Mehrjahrestief von 52,02 Euro im vergangenen Juni.
Charttechnisch lief es in den vergangenen Monaten erstaunlich gut für den Bayer-Kurs. Die wachsende Hoffnung auf einen Vergleich im Glyphosat-Streit hatte ordentlich Rückenwind geliefert. Wenngleich der Kurs jüngst im Sog um den Coronavirus ein wenig abbröckelte und noch meilenweit vom Rekordhoch von 146,45 Euro im Frühjahr 2015 entfernt ist.
Die Kurserholung seit dem Tief im Oktober 2019 führte auch dazu, dass die viel beachtete 200-Tagelinie nach oben drehte. Am Donnerstag dient genau diese Linie bei knapp 66 Euro als Unterstützung für die Aktie.
Unser Stoppkurs liegt bei 63,50 Euro. Sollte diese Unterstützung fallen, könnte es für das Papier bis auf das Tief vom August 2019 bei 55,50 Euro zurückgehen. Anleger sollten also weiterhin auf der Hut sein. Dennoch dürfte die Hoffnung auf eine Lösung des Glyphosat-Streits weiterhin Kursfantasien schüren - zur Hauptversammlung im April könnte es hier wichtige Aussagen geben. Deshalb bleiben wir erst einmal bei unserer Kauf-Einschätzung. Den Stoppkurs beachten.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 89,00 Euro
Stoppkurs: 63,50 Euro
Mit Material von dpa-AFX