DAS IST LOS BEI BAYER:

Für den Leverkusener Traditionskonzern kommt es derzeit knüppeldick. Das Thema Glyphosat zieht sich weiter in die Länge, und nun auch noch das: Im Agrargeschäft schlagen Konkurrenzdruck, die Folgen der Corona-Krise und schwierige Bedingungen in Mittel- und Südamerika mit voller Wucht zu. Die Menschen reisen weniger, der Kraftstoffverbrauch sinkt und damit auch die Nachfrage nach Bioethanol. Landwirte bauen daher erst einmal weniger Mais an, aus dem auch der Biokraftstoff gewonnen wird.

Hinzu kommt die Belastung durch den schwachen brasilianischen Real, da das Unternehmen viel Saatgut und Pflanzenschutzmittel in Südamerika verkauft. Und: Im wichtigen Geschäft mit Sojasaat wird - unabhängig von der Corona-Krise - der Konkurrenzkampf härter. Konzernchef Werner Baumann stellte die Aktionäre daher Ende September auf ein schwieriges Jahr 2021 ein.

Um sich zu wappnen, soll nun noch mehr gespart werden. Zusätzlich zum aktuellen Programm, das die jährlichen Kosten ab 2022 um 2,6 Milliarden Euro drücken soll, sollen ab 2024 mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr wegfallen. Womöglich bedeutet das auch weitere Stellenstreichungen über den bereits laufenden Abbau von 12 000 Jobs bis Ende 2021 hinaus. Zumindest in Deutschland will Bayer aber bis Ende 2025 weiter auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten.

Erst einmal muss der Konzern aber hohe Aufwendungen schultern. Wegen des "eingetrübten Ausblicks im Agrarmarkt" kündigte Baumann Ende September eine Wertberichtigung in der Crop-Science-Sparte im mittleren bis oberen einstelligen Milliarden-Euro-Bereich an.

Unter dem Strich dürfte damit im dritten Quartal erneut ein dicker Verlust anfallen, nach einem Minus von 9,5 Milliarden Euro im zweiten Jahresviertel. Da hatte Bayer Geld für die Lösung des US-Rechtsstreits über angebliche Gesundheitsschäden durch die Verhütungsspirale Essure, vor allem aber für die Beilegung des Glyphosat-Streits beiseite gelegt. Die Causa Glyphosat mit mittlerweile zehntausenden Klagen hatte Bayer sich mit der Übernahme des US-Saatgutriesen Monsanto ins Haus geholt.

Eigentlich hatte Baumann mit Blick auf Glyphosat schon Ende Juni mit einem umgerechnet mehr als 9 Milliarden Euro schweren Vergleichspaket reinen Tisch machen wollen. Der zuständige Bundesrichter Vince Chhabria störte sich allerdings an dem Teil der Vereinbarung, der mögliche künftige Klagefälle abdeckt. Bayer setzte sich also mit den Klägeranwälten wieder an den Verhandlungstisch. Mittlerweile wurden Fortschritte erzielt. Es müssten nur noch die Details finalisiert werden, teilte Bayer im September mit. Analysten spekulieren bereits, dass der Konzern eventuell noch mehr Geld in die Hand nehmen müsse.

Im Pharmageschäft und dem Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten dürfte es zuletzt indes wieder besser gelaufen sein. Sie hatten im zweiten Quartal noch unter der Kaufzurückhaltung der Kunden gelitten. Viele Menschen hatten sich bereits mit dem Aufkommen der Corona-Pandemie reichlich mit rezeptfreien Mitteln eingedeckt und sich dann erst einmal zurückgehalten, während die Pharmasparte unter den zahlreichen Verschiebungen nicht dringend notwendiger Behandlungen in der Krise litt.

Die Pharmasparte versucht Bayer zudem für die Zukunft zu rüsten, um den in ein paar Jahren wegfallenden Patentschutz für Kassenschlager wie Eylea und den Gerinnungshemmer Xarelto abzufedern. Aktuell durchläuft Vericiguat - ein Mittel gegen Herzinsuffizienz - ein beschleunigtes Zulassungsverfahren in den USA. Wichtig werden zudem detaillierte Studiendaten zum Medikamentenkandidaten Finerenon bei der Behandlung chronisch Nierenkranker mit Typ-2-Diabetes, die Bayer auf einem Kongress am 23. Oktober präsentieren wird. Die bereits länger bekannten Eckdaten der Studie hatten Experten durchaus überzeugt.

Auch in das Geschäft mit Krebsmedikamenten wie Nubeqa gegen das Prostatakarzinom sowie rund um Frauengesundheit steckt Bayer weiter Geld. Mit Blick auf letzteres kauften die Leverkusener erst jüngst das britische Biotechunternehmen Kandy Therapeutics, das einen Medikamentenkandidaten gegen Beschwerden der Wechseljahre entwickelt hat. Zudem forscht Bayer gemeinsam mit Evotec an einem Endometriose-Medikament.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Der pessimistische Unternehmensausblick versetzte den vom Glyphosat-Debakel ohnehin gebeutelten Aktien den nächsten Schlag. Allein im Oktober ging es um rund 17 Prozent abwärts. Mit rund 44 Euro kosten die Papiere aktuell noch weniger als zum Höhepunkt der Corona-Börsenpanik im März. Die zwischenzeitliche Erholung bis auf fast 74 Euro Ende Juni ist längst dahin. So wenig wie derzeit hatten die Papiere zuletzt im Jahr 2011 gekostet.

Für 2020 steht ein Minus von knapp 40 auf auf dem Kurszettel, was mittlerweile den letzten Platz im Dax (DAX 30) bedeutet.

Auch der Blick auf den langfristigen Chart treibt Investoren wohl die Tränen in die Augen. Von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch bei 146,45 Euro aus gerechnet ging es um rund 70 Prozent abwärts.

Und: Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus auf mehr als die Hälfte; selbst die seither gezahlten Dividenden eingerechnet sind es in etwa minus 47 Prozent. Der deutsche Leitindex sorgte unter dem Strich in diesem Zeitraum zwar auch nicht gerade für Jubelstürme bei den Anlegern, hielt sich dabei aber in etwa stabil.

Mittlerweile reicht es für Bayer mit einem Marktwert von rund 43 Milliarden Euro auch nicht mehr für einen Platz in den Top 10 im Dax, in der Vor-Glyphosat-Ära waren es noch rund 87 Milliarden Euro.

Im April 2015 auf Kurs-Rekordniveau hatten die Leverkusener mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im deutschen Leitindex inne. Damals konnte nur Volkswagen (Volkswagen (VW) vz) dem Bayer-Konzern in Sachen Börsenwert knapp das Wasser reichen. Nach Dieselskandal, Autoflaute und Corona-Krise ist der Wert der Wolfsburger aber zuletzt auf knapp 72 Milliarden Euro gefallen. Damit hinken die Börsenwerte der beiden Unternehmen dem einsamen Dax-Spitzenreiter SAP (SAP SE), der es auf etwa 163 Milliarden Euro bringt, sogar in der Summe hinterher.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Noch haben nicht allzu viele Analysten ihre Schätzungen an den tristen Ausblick für das Agrargeschäft angepasst. Viele überarbeiten sie noch und dürften erst einmal die Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal Anfang November abwarten. Die wenigen Experten, die ihre Kursziele bereits reduziert haben, errechnen faire Werte für die Bayer-Aktien zwischen rund 50 und etwa 70 Euro.

Analyst Peter Spengler von der DZ Bank spricht von "einem perfekten Sturm" für den Konzern. Die Corona-Krise scheine die Probleme im Agrarmarkt wie Wettbewerbsdruck, Währungsverluste und niedrige Agrarrohstoffpreise noch zu verstärken. Bayer habe nun frühzeitig vor überzogenen Erholungserwartungen gewarnt. Spengler rechnet damit, dass auch andere Unternehmen sich vorsichtig äußern dürften und sieht Bayer als Vorreiter in Bezug auf Prognosen für das Jahr 2021. Der Experte reduzierte seine Gewinnerwartungen und nennt nun einen fairen Wert von 63 Euro je Aktie. Auf dem aktuellen Kursniveau sieht er eine Kaufgelegenheit.

Gunther Zechmann von Bernstein Research ist noch optimistischer und traut den Aktien mittelfristig 73 Euro zu. In seinen Augen hat Bayer nun erst einmal reinen Tisch gemacht in der Agrarsparte. Aufs Pharmageschäft blickt Zechmann indes vorsichtig. Hier zeichne sich noch keine neue Innovationsplattform ab.

Auch Experte Andreas Heine vom Investmenthaus Mainfirst hält die Aktien für zu niedrig bewertet. Die Gewinnwarnung für 2021, die Milliardenabschreibungen und die Unsicherheit über den Ausgang des Glyphosat-Streits seien über Gebühr in den Kurs eingepreist.

Für ihn stehen Bayer und damit den Aktionären spannende Woche bevor. Dabei verweist er auf die Studiendaten zum potenziellen Nierenmedikament Finerenon am 23. Oktober, die Signalwirkung für das Mittel im Konkurrenzkampf gegen Produkte von Johnson & Johnson (JohnsonJohnson) und AstraZeneca hätten. Zudem stehe bis Ende Oktober die Entscheidung der US-Umweltbehörde über die fortgesetzte Zulassung des Unkrautvernichters Dicamba an.

Und letztlich werde hoffentlich eine neue Einigung im Glyphosat-Streit bis Jahresende gefunden. Selbst wenn es hier dann nochmals teurer für Bayer werden würde, wäre es wichtig, dieses Prozessrisiko endlich los zu werden.

dpa-AFX