DAS IST LOS BEI BAYER:

Es sollte ein Befreiungsschlag werden: Ende Juni gab Bayer die Einigung in gleich mehreren US-Rechtsstreitigkeiten bekannt. Die Leverkusener nehmen 820 Millionen Dollar in die Hand, um den wesentlichen Teil der US-Verfahren wegen des seit 1979 in den USA verbotenen Umweltgifts PCB beizulegen, das die Tochter Monsanto früher produziert hatte. Hinzu kommt ein 400 Millionen US-Dollar teurer Kompromiss wegen Klagen um angebliche Ernteschäden durch Verwehungen des Unkrautvernichters Dicamba. Dabei erwartet Bayer auch einen Beitrag des mitverklagten Wettbewerbers BASF. Eine Einigung gibt es hier aber noch nicht.

Im Fokus steht aber vor allem die Einigung im Streit um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter, die mittlerweile wackelt. Der zuständige Bundesrichter Vince Chhabria störte sich an dem Teil der Vereinbarung, der mögliche künftige Fälle abdeckt. Dabei geht es um die Bildung eines unabhängigen Wissenschaftsgremiums, das entscheiden soll, ob der Glyphosat-Unkrautvernichter Roundup Lymphdrüsenkrebs verursacht, und falls ja, ab welcher Dosis er gefährlich werden kann.

Angesichts der Skepsis des Richters zog Bayer den Antrag auf Zustimmung zum Umgang mit den möglichen künftigen Fällen zurück, für deren Beilegung 1,25 Milliarden US-Dollar geplant waren. Damit ändert sich zwar eigentlich nichts an der Einigung mit dem Großteil der insgesamt etwa 125 000 eingereichten und nicht eingereichten Klagen, für die bis zu 9,6 Milliarden Dollar (8,1 Mrd Euro) vorgesehen sind.

Allerdings will Bayer eigentlich auch drohende künftige Fälle auf einen Schlag vom Tisch haben, um das Thema ein für alle Mal zu beenden. Der Ansatz bleibe denn auch, eine umfassende Lösung zu finden, sagte Bayer-Chef Werner Baumann Anfang August im Zuge der Veröffentlichung der Zahlen für das zweite Quartal. Ein neuer Vorschlag werde mit den Repräsentanten künftiger Fälle besprochen.

Bei der Bilanzvorlage bereitete der Konzern die Anteilseigner dann auch gleich noch auf zusätzliche Kosten im Zusammenhang mit einer weiteren rechtlichen Baustelle vor: Angebliche Gesundheitsschäden durch die Verhütungsspirale Essure, wegen derer Bayer sich in den USA mittlerweile mit Klagen von rund 32 000 Essure-Käuferinnen konfrontiert sieht. Da die Vergleichsgespräche hier mittlerweile auf Hochtouren laufen, legte der Dax-Konzern schon einmal Geld auf die Seite. Auch daher fielen im zweiten Quartal in der Pharmasparte 1,29 Milliarden Euro an Sonderkosten an. Bayer hatte das umstrittene Geschäft mit der Metallspirale 2013 mit dem Kauf des US-Herstellers Conceptus übernommen, Ende 2018 wurde es in den USA eingestellt.

Alles in allem stand denn auch im zweiten Quartal unter dem Strich ein dicker Konzernverlust von 9,5 Milliarden Euro, während das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie vor Sondereffekten auch dank Kostensenkungen im Zusammenhang mit der Monsanto-Integration um 5,6 Prozent auf 2,88 Milliarden Euro gestiegen war.

Damit konnte Bayer zumindest beim operativen Ergebnis einen Rückgang des Konzernumsatzes und rund sechs Prozent auf knapp 10 Milliarden Euro wettmachen. Dennoch blickt das Management um Baumann nun vorsichtiger auf 2020 und peilt vor Wechselkurseffekten sowie dem Zu- und Verkauf von Unternehmensteilen nur noch ein Umsatzwachstum um bis zu einem Prozent auf bis zu 44 Milliarden Euro an. Vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie vor Sondereinflüssen sollen davon weiter etwa 28 Prozent hängen bleiben, womit sich ein operatives Ergebnis von etwa 12,1 Milliarden Euro ergäbe.

So bekamen die Leverkusener, die viel Saatgut und Pflanzenschutzmittel in Südamerika verkaufen, den schwachen brasilianischen Real zu spüren. Zudem rechnet Bayer im Zuge der Corona-Krise mit einer trägeren Nachfrage nach Biokraftstoffen, was sich etwa im Geschäft mit Maissaat niederschlagen könnte. Und es nimmt der Wettbewerb bei Sojasaat zu.

Und: Ausgerechnet das Pharmageschäft leidet, da viele nicht dringend notwendige Behandlungen in der Krise verschoben wurden oder Patienten sich schlicht nicht in die Krankenhäuser trauten. Das drückte unter anderem aufs Geschäft mit dem Augenmedikament Eylea, eigentlich einem starken Wachstumstreiber.

Das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten schwächelte ebenfalls. Das lag aber vor allem daran, dass Kunden sich schon im ersten Quartal reichlich eingedeckt hatten und nun erst einmal ihre Vorräte aufbrauchen. Das ausgeklammert kommt die Erholung des Bereichs, der in den letzten Jahren immer mal wieder ein Sorgenkind war, durchaus voran. Und auch sonst läuft der Konzernumbau. So ist der Verkauf der Tiermedizin an das US-Unternehmen Elanco (Elanco Animal Health) für einen Milliardenbetrag mittlerweile abgeschlossen.

Gleichzeitig bringt Bayer das Pharmageschäft weiter in Stellung, um den in ein paar Jahren wegfallenden Patentschutz für Kassenschlager wie Eylea und den Gerinnungshemmer Xarelto abfedern zu können. Aktuell durchläuft Vericiguat - ein Mittel gegen Herzinsuffizienz - ein beschleunigtes Zulassungsverfahren in den USA. Zudem gab es zuletzt einen Studienerfolg für den Medikamentenkandidaten Finerenon bei der Behandlung chronisch Nierenkranker mit Typ-2-Diabetes. Bayer erwägt nun einen Zulassungsantrag für das Mittel.

Auch das Geschäft rund um Frauengesundheit baut Bayer aus. Aktuell steht die Übernahme des britischen Biotechunternehmens Kandy Therapeutics an, das einen Medikamentenkandidaten gegen Beschwerden der Wechseljahre entwickelt hat. Bei einer Zulassung des Mittels verspricht sich Bayer einen möglichen Spitzenumsatz von mehr als einer Milliarde Euro weltweit. Zudem forscht Bayer gemeinsam mit Evotec an einem Endometriose-Medikament.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Auf dem aktuellen Kursniveau würden die meisten Analysten bei den Bayer-Aktien zugreifen. Von den im dpa-AFX-Analyser seit der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal erfassten zwölf Experten raten neun zum Kauf der Papiere und drei zum Halten. Alle sehen beim Kurs Luft nach oben. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 82 Euro - mehr als 40 Prozent über dem aktuellen Niveau.

Derzeit werde Bayer auf Basis seiner Gewinnerwartungen mit einem 60-prozentigen Abschlag zum europäischen Pharmaindex Stoxx Europe 600 Pharma (STOXX EU600 Health Care) gehandelt, rechnet Analyst Keyur Parekh von Goldman Sachs vor. Kurzfristig dürfte der Fokus vor allem auf der Lösung des Glyphosat-Streits und auf dem Ausblick für das Maisgeschäft der Agrarsparte liegen, erklärt der Experte. Längerfristig sieht er Potenzial in der Pharmasparte, sollten Vericiguat gegen Herzinsuffizienz und Finerenon zur Behandlung chronisch Nierenkranker zugelassen werden. Hier gebe es großen Bedarf bei Patienten.

Der Goldman-Experte sieht - wie viele seiner Kollegen - in der Beilegung des Glyphosat-Themas einen wichtigen Kurstreiber. Die verhaltene Kursreaktion auf die Zahlen für das zweite Quartal spiegele vor allem das Unbehagen der Anleger mit Blick auf die Rechtsstreitigkeiten wider und weniger die Entwicklung des Tagesgeschäfts, erklärte denn auch Analyst Sebastian Bray von der Privatbank Berenberg. Er rechnet mit einer Lösung noch in diesem Jahr, was dann endlich zu einer Neubewertung der Aktien führen sollte.

Letztendlich dürften die Aktien sich erholen, doch werde Bayer Zeit brauchen, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen, glaubt Alistair Campbell vom Investmenthaus Liberum. Neben einer Glyphosat-Lösung verweist er auf eine für Anfang 2021 in Aussicht gestellte Aktualisierung des mittelfristigen Unternehmensausblicks. Der erscheine mittlerweile herausfordernd, vor allem mit Blick auf den für die Agrarsparte 2022 angepeilten operativen Gewinn. Daher dürften Investoren vorerst misstrauisch bleiben.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Angesichts der vielen Fragezeichen hinter der angestrebten Glyphosat-Einigung wurde die Ankündigung des Vergleichs nicht zum erhofften Befreiungsschlag für die Aktien.

Von der ersten Freude ist angesichts eines aktuellen Kursniveaus etwas zwischen 57 und 58 Euro nichts mehr übrig. So waren die Aktien Ende Juni noch deutlich über die Marke von 73 Euro geklettert. Die gestiegene Unsicherheit drückte den Kurs seither um mehr als ein Fünftel nach unten.

Für 2020 steht ein Minus in fast der gleichen Höhe auf dem Kurszettel. Damit zählt Bayer zu den fünf schlechtesten Werten im Dax, der nach seiner Erholung vom Corona-Crash noch etwas mehr als zwei Prozent tiefer notiert als Ende letzten Jahres.

Auch der Blick auf den langfristigen Chart dürfte Investoren wohl eher die Tränen in die Augen treiben. Von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch bei 146,45 Euro aus gerechnet ging es um rund 60 Prozent abwärts.

Und: Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus auf rund 38 Prozent; selbst die seither gezahlten Dividenden eingerechnet sind es minus 33 Prozent. Der deutsche Leitindex sorgte unter dem Strich in diesem Zeitraum zwar auch nicht gerade für Jubelstürme bei den Anlegern, hielt sich dabei aber in etwa stabil.

Immerhin schafft es Bayer mit einem Marktwert von rund 56 Milliarden Euro noch unter die Top 10 im Dax, in der Prä-Glyphosat-Ära waren es noch rund 87 Milliarden Euro.

Im April 2015 auf Kurs-Rekordniveau hatten die Leverkusener mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im Dax inne. Damals konnte nur Volkswagen dem Bayer-Konzern in Sachen Börsenwert knapp das Wasser reichen. Nach Dieselskandal und Autoflaute ist der Wert der Wolfsburger aber zuletzt auch auf rund 72 Milliarden Euro gefallen. Damit hinken die Börsenwerte der beiden Unternehmen dem einsamen Dax-Spitzenreiter SAP, der es auf knapp 167 Milliarden Euro bringt, sogar in der Summe hinterher.

Aktuell bringt Bayer auf Basis des aktuellen Euro-Dollar-Wechselkurses in etwa so viel auf die Börsenwaage, wie die Leverkusener für Monsanto gezahlt hatten. Analyst Markus Mayer von der Baader Bank spricht denn auch von einer Wertvernichtung für die Aktionäre. Die Akquisition werde sich im Fall eines Glyphosat-Vergleichs über mehr als 8 Milliarden Euro wohl nie auszahlen, rechnete Mayer jüngst vor.

dpa-AFX