Neben neuen, eher klassischen Medikamenten verspricht sich der Pharmachef des Dax-Konzerns, Stefan Oelrich, viel von der Gen- und Zelltherapie. Hier gaben die Leverkusener zuletzt einiges Geld für Übernahmen aus, die das Wachstum des Unternehmens in der zweiten Hälfte der Dekade antreiben sollen.

"Wir treiben die Transformation unseres Geschäfts voran und bauen unser vielversprechendes Entwicklungsportfolio zusammen mit unseren Partnern aus", sagte Oelrich im Zuge eines Pharma-Medientages am Mittwoch.

Gen- und Zelltherapien werden von vielen Pharmaunternehmen aktuell intensiv erforscht. Sie sollen gerade bei seltenen Erkrankungen Heilung bringen, statt nur Symptome zu lindern und bei weit verbreiteten Krankheiten wie etwa Herzinsuffizienz neue Therapieansätze ermöglichen. Das allein schon wegen eines Listenpreises von 1,9 Millionen Euro wohl bekannteste Beispiel hierfür ist die Gentherapie Zolgensma gegen die Spinale Muskelathrophie (Muskelschwund) des schweizerischen Pharmakonzerns Novartis.

Bayer stärkte den Bereich zuletzt denn auch konsequent. Unter zahlreichen Deals und Partnerschaften stechen zwei besonders hervor: Der Kauf des US-Biotechnologieunternehmen Bluerock Therapeutics 2019 und die Übernahme des US-Unternehmens Asklepios BioPharmaceutical (AskBio) im Herbst 2020.

Der Stammzellenspezialist BlueRock Therapeutics ist unter anderem auf neurologische und kardiologische Krankheiten fokussiert. Ein wesentliches Programm zielt dabei auf die Parkinson-Erkrankung, bei der Nervenzellen langsam absterben. Die Entwicklung befindet sich noch in einer frühen Phase, kommt aber voran. Erst vor kurzem gab die US-Arzneimittelbehörde FDA ein Prüfpräparat des Unternehmens für den Beginn einer Phase-I-Studie bei Patienten mit fortgeschrittener Parkinson-Krankheit frei. Bayer betont, dies sei die erste Studie in den USA, in der pluripotente, aus Stammzellen gewonnene dopaminergene Neuronen an solchen Patienten getestet würden. Solche Zellen sterben bei der Parkinson-Krankheit langsam ab.

Auch AskBio forscht an Therapiekandidaten für die Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen und neuromuskulären Defekten, aber auch an Mitteln gegen Stoffwechselerkrankungen wie die Pompe'sche Krankheit. Dabei setzt das Unternehmen, das ebenso wie Bluerock nach der Übernahme durch Bayer weiter unabhängig geführt wird, aber nicht auf Stammzellen, sondern auf die Gentherapie. Bei dieser werden mit Hilfe von Viren Gene in Zellen eingeschleust, die die Funktion beschädigter Gene ersetzen.

Um in den kommenden Jahren den Gegenwind durch den Wegfall von Patenten auf aktuelle Kassenschlager zu kompensieren, setzt Bayer daneben erst einmal weiter auf hohe Erlöse mit anderen neuen Medikamenten. Allein drei dieser Mittel, die sich zum Teil noch im späten Stadium der Entwicklung befinden, sollen laut der Pharma-Veranstaltung auf Jahresumsätze von jeweils mehr als einer Milliarde Euro kommen. Damit würden die Medikamente zu sogenannten Blockbustern.

Einer dieser Hoffnungsträger ist der Krebswirkstoff Darolutamid mit dem Handelsnamen Nubeqa. Das Mittel ist bereits in einigen Märkten wie den USA und der EU zur Behandlung des nicht-metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen.

Zudem stehen die Chancen für eine baldige Zulassung von Finerenon zur Behandlung der chronischen Nierenerkrankung bei Patienten mit Diabetes Typ 2 womöglich recht gut. Erst am Vortag hatte die FDA in den USA dem Mittel ein beschleunigtes Zulassungsverfahren gewährt, was eine Entscheidung binnen sechs Monaten statt zehn bedeutet. Bayer hatte die Zulassung in der EU und den USA Anfang November beantragt.

Zudem haben die Leverkusener im Bereich der Frauengesundheit nach der Übernahme des Biotechunternehmens Kandy Therapeutics im vergangenen Jahr einen Medikamentenkandidaten gegen Wechseljahrbeschwerden in der Pipeline. Hier soll die zulassungsrelevante klinische Phase-III-Studie noch in diesem Jahr beginnen.

Auch für das Geschäft mit dem Hoffnungsträger Vericiguat gegen Herzinsuffizienz ist Pharma-Chef Stefan Oelrich optimistisch - wenngleich dies für Bayer erst einmal kein Blockbuster sei, denn die Erlöse würden mit dem Entwicklungspartner, der US-Firma Merck & Co, geteilt. Die FDA wird in den kommenden Tagen über eine Zulassung entscheiden. Entsprechende Anträge laufen auch in der EU sowie in China und Japan.

Trotz der von Bayer reklamierten Fortschritte gibt es auch Skepsis unter Branchenkennern. Pharmaexperte Wimal Kapadia vom Analysehaus Bernstein Research etwa betonte zuletzt, dass der Konzern noch Einiges tun müsse. Noch sei das Pharmageschäft gut aufgestellt, doch sorgt sich der Analyst um die Langlebigkeit des Wachstums bei Bayer, wie er in einer Branchenstudie Anfang Januar schrieb. Neue Medikamente und die in der Entwicklung befindlichen Mittel hätten aus heutiger Sicht einen eher begrenzten Einfluss. Daher werde sich der Konzern weiterhin nach Übernahmezielen umschauen müssen, befand Kapadia.

dpa-AFX