Ein kalter, sonniger Frühjahrsmorgen, das sogenannte Sternhaus, die 1967 bis 1969 erbaute, in den Zehnerjahren sanierte und auf 20 Stockwerke erhöhte Zentrale der Baywa, wächst über der Arabellastraße in München-Bogenhausen in einen lupenrein blauen Himmel. Weiter als bis ins lichtdurchflutete Foyer kommt nur, wer einen Corona-Schnelltest absolviert, man will sicher sein. Der Besucher ist nicht undankbar - die von der Regierung angekündigten Schnelltests hatten die Supermärkte nur schleppend erreicht. Kurz zuvor hatte die Baywa angeboten, auf Halde liegende Vakzin-Dosen aufzukaufen und an ihre Mitarbeiter zu verimpfen, ein Manöver, das Baywa-Chef Klaus Josef Lutz in die Schlagzeilen brachte.
Das gefällt ihm, noch mehr aber, dass eine erst in dieser Woche veröffentlichte Erfolgsbilanz sein Wirken bestätigt und bestärkt. Fast zeitgleich wird bekannt, dass die von zuständigen Aufsichtsbehörden genehmigte Kapitalerhöhung bei der Baywa r.e. renewable energy Rückenwind in das von Lutz mit Ehrgeiz betriebene Segment bläst. Entsprechend selbstbewusst betritt der Honorarprofessor - cum tempore! - den in Grautönen gehaltenen und mit Eames Lobby Chairs bestuhlten Konferenzraum. Die Fragen des Besuchers pariert der seit 13 Jahren amtierende und bis 2025 bestätigte Chef routiniert im münchnerisch gefärbten und immer wieder von Anglizismen durchsetzten Ton.
Euro am Sonntag: Gratulation, Ihre Zahlen für 2020 dokumentieren - trotz Corona - ein Rekordjahr. Ist die Baywa immun gegen Krisen?
Klaus Josef Lutz: Die Baywa ist ein sehr komplexes Unternehmen, das alles umfasst, was mit Agrar, Energie und Bau zu tun hat. Es berührt mit Ernährung, Wärme, Strom und dem Dach über dem Kopf, unter welchen Bedingungen wir leben. Insofern sind wir versorgungsrelevant. Sogar in der schlimmsten Phase der Pandemie sind die Supply Chains zum Beispiel im internationalen Getreidehandel nicht gerissen. Dasselbe gilt für die Investitionsbereitschaft der Landwirtschaft. Und wir haben eine ähnliche Situation im Bereich Global Produce, unserem Obsthandel. Das läuft sehr, sehr gut. Warum? Natürlich weil die Nachfrage da ist. Die Leute sind mehr zu Hause und kaufen entsprechend ein. Überdies haben wir im Segment Energie zwei interessante Erfahrungen gemacht. Erstens: Renewable Energy. Unsere Tochter, BayWa r.e., noch GmbH, bald AG …
… darauf kommen wir noch …
… ist ein Riesenerfolg. Das ist ja Gott sei Dank ein globales Business, deshalb haben wir dieses gute Ergebnis. Zweitens: Auch das klassische Energiegeschäft - Kraftstoffe, Heizöl, Schmierstoffe, Pellets - ist sehr gut gelaufen, weil die Nachfrage hoch ist. Uns hat natürlich geholfen, dass sich der Ölpreis Richtung Süden verabschiedet hat und damit eine sehr gute Basis war für die Endkunden einzukaufen. Und schließlich dürfen wir im Segment Bau seit Jahren einen intakten Boom erleben.
Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass die Baywa von der Pandemie profitiert?
Es gibt vielleicht Rahmenbedingungen, die wir ohne Pandemie nicht gehabt hätten. Aber ich würde nicht unbedingt eine Kausalität herstellen wollen zwischen Pandemie und unserem Rekordergebnis. Es ist ja auch keineswegs so, dass wir keine Belastungen gehabt hätten. Wir mussten etwa einen zweistelligen Millionenbetrag für Vorkehrungen in Sachen Hygiene in unserer Bilanz verarbeiten. Doch eines kann man sicher sagen: Wenn es in den letzten 100 Jahren Krisen gegeben hat, blieb die Baywa stabil und als Investitionsobjekt begehrt, weil sie ein sicherer, dividendenorientierter Hafen ist.
Gratulation Nummer 2, leicht verspätet: Vor knapp einem Jahr wurde Ihr Vertrag bis 2025 verlängert. Was wollen Sie bis dahin erreicht haben?
Der erste Punkt wäre - weil dies die Kernsäule der Baywa sein wird und sein muss -, dass die Baywa r.e. AG so funktioniert, wie wir uns das wünschen. Wir haben sehr ehrgeizige Ziele, die ja auch Teil der Equity-Story für die Aktionäre sind. Wenn es so kommt - und wir sind relativ sicher, dass es so kommt, weil wir die Pipeline voll haben mit Projekten -, sollen unsere regenerativen Energien die Baywa bis 2028 in eine neue Dimension von Profit bringen, beim Cashflow wie bei der Dividende.
Wohin?
Wir kommen von 32 Cent bei meinem Einstieg vor 13 Jahren und werden jetzt einen Euro auszahlen. Die Richterskala nach oben ist aber nicht gedeckelt.
Und das zweite Ziel?
Wir wollen unser Geschäftsfeld Global Produce über das Thema Apfel hinaus erweitern. Es gibt Überlegungen, tiefer in das Beeren- und Traubengeschäft einzusteigen und danach das Thema Greenhouse auszubauen. Natürlich ist auch der Agrarsektor sehr wichtig. Wir werden zum Beispiel im Getreidehandel unsere Risiken weiter minimieren.
Auf null?
Nein. Das Commodity Trading ist ein Teil unseres Geschäfts. Das wollen und können wir auch nicht einstellen. Aber wir haben sehr viel in kleine und kleinste Unternehmen investiert, die sich mit Spezialitäten beschäftigen, Minerale, Vitamine und Zusatzstoffe für die Futterproduktion. Das ist sehr erfolgreich.
Im deutschen Agrargeschäft …
… sind wir dagegen unter Wasser, das liegt einfach an den Rahmenbedingungen, den Veränderungen der Infrastruktur, der Konsolidierung und ein Stück weit auch am Image der Landwirtschaft. Doch wir werden den Sektor weiter restrukturieren und reorganisieren und sehen, dass wir hier wieder schwarze Zahlen schreiben. Das ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt.
In den anderen Geschäftsfeldern ist es leichter?
Technik läuft hervorragend. Und im Segment Bau entwickeln wir uns vom Baustoffhändler zum Projektentwickler. Die Rolle als Solution Provider wird in fast allen Geschäftssegmenten, in denen wir tätig sind, mehr und mehr in den Vordergrund rücken. Im Baustoffsektor hängt das stark mit der Digitalisierung zusammen. Wir sind immer mit Partnern unterwegs, mit denen wir Bauprojekte realisieren und damit den Vertriebskanal für unsere Baustoffe erweitern. Und last, but not least: Die Digitalisierung der Landwirtschaft führt mithilfe einer eigenen Firma für die Satellitenauswertung zunehmend zu Smart Farming und Digital Farming.
Das heißt?
Wenn Sie sich unsere gesamten Zahlen über die letzten Jahre anschauen, ist der Anteil des internationalen Profits nicht nur gewachsen (das war ja unser strategisches Ziel), sondern hat auch die inländischen Erträge bei Weitem überholt. Das wird sich als Trend fortsetzen.
Warum sollte ein Privatanleger Baywa- Aktien kaufen?
Weil die Baywa ein stabiler, konservativer Wert ist für jemanden, der in seinem Depot eine Beimischung haben möchte, die zuverlässig Dividenden bezahlt und sie Schritt für Schritt nach oben zieht.
Seit Ihrem Amtsantritt 2008 hat sich der Umsatz Ihres Unternehmens mehr als verdoppelt. Der Aktienkurs aber nicht. Wie erklären Sie Anlegern das?
Zunächst einmal: Der Kapitalmarkt ist so, wie er ist, er folgt keinen logischen Parametern. Fundamental betrachtet ist die Baywa aber immer ein Buy. In der Tat sind wir weit entfernt von dem, was mein Vorgänger als Höchstkurs hatte, aber der war auch mit Beteiligungen im Bankensektor begründet. Damals gab es einen Bankenboom, und der Kapitalmarkt hatte nicht verstanden, dass wir nicht so ohne Weiteres über die Bankbeteiligungen verfügen konnten.
Ist die Baywa nicht einfach zu komplex aufgestellt?
Unsere Konglomeratsstruktur wird von manchen Analysten kritisch gesehen. Aber die lassen außer Acht, was der Wert der Baywa ist. Nämlich unsere Konglomeratsstruktur, ein hochkomplexes Portfoliomanagement mit vielen verschiedenen Geschäftsmodellen und Beteiligungen weltweit. Die Baywa ist ein Unikat, und die Konglomeratsstruktur führt zu keiner Schwächung. Ich glaube, der Kapitalmarkt ist Moden unterworfen, heute so, morgen so. Man kann nicht wirklich ernst nehmen, was da immer wieder geschrieben wird: Alle fünf Minuten gibt es einen neuen Trend. Es ist ein Fakt, dass eine Konglomeratsstruktur einen Abschlag hat. Andererseits sind wir genau dadurch stabil.
Wie kann sich ein Agrarkonzern den Klimawandel zunutze machen?
Zunächst einmal ist er eine große Herausforderung, und zwar überall auf der Welt, wo wir tätig sind. Wir müssen uns fragen: Wie kann man zum Beispiel Ernten vorhersagen, den Bedarf an Betriebsmitteln oder Wetterkapriolen? Wir werden den Klimawandel natürlich nicht verändern können. Aber die Auswertung von Satellitendaten zum Beispiel wird im Hinblick auf die Beratung der Landwirtschaft an Bedeutung gewinnen. Das ist ein relativ neues Geschäftsfeld, das wir massiv ausbauen.
Ein Beispiel wäre …
… die teilflächenspezifische Düngung auf der Basis von Satellitendaten bis hin zur Beurteilung der Erdqualität eines Ackers. Damit wird zum einen dem Landwirt empfohlen, was er machen kann, muss, sollte. Gleichzeitig wird der Einsatz von Saatgut optimiert und Betriebsmittel wie Dünger nicht im Gießkannenprinzip auf die Felder gebracht.
Gehört der Einsatz chemischer Unkrautbekämpfung dazu?
Ich sehe Landwirtschaft unideologisch. Nur Bio ist kein Allheilmittel. Aus unserer Sicht werden Digitalisierung und Technologisierung die Lösung sein. Dadurch werden konventionelle und ökologische Landwirtschaft konvergieren. Ich kann nur sagen: Ohne chemische Unkrautvernichter wäre der heutige Output pro Hektar nicht gewährleistet, die Qualität der Nahrung nicht und natürlich auch nicht die Menge und damit der Preis der Nahrung. Wenn ich bestimmten Politikern einer grünen Couleur zuhöre, muss ich mich schon fragen, wie diese Leute demnächst zehn Milliarden Menschen auf diesem Globus sicher ernähren wollen. Mit Bio allein wird es nicht funktionieren. Der dritte Punkt ist: Der Verbraucher ist offensichtlich nicht willens und vielleicht auch nicht mehr in der Lage - ich rede hier von der breiten Bevölkerung -, die Zusatzkosten zu tragen. Das heißt, Bio würde nur dann Sinn machen, wenn aus Sicht der Verbraucher klar ist, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis so ist, wie es sich der Konsument auch leisten kann.
Bedeutet Digital Farming das Aus für die Romantik in der Landwirtschaft?
Der Landwirt, der mit einer Milchkanne im Trachtenjanker und schmutzigen Stiefeln über den Hof schlurft, illustriert vielleicht noch manchen Prospekt für Ferien auf dem Bauernhof. Aber mit der wirtschaftlichen Realität hat das nichts zu tun. Das ist ein knallhartes Geschäft. Und wenn Sie heute als Bauer ihre Prozesse nicht optimieren, wenn Sie nicht IT und moderne Technologie auf dem Feld einsetzen können, dann haben Sie ab einer bestimmten Betriebsgröße überhaupt keine Chance.
Sehen Sie Chancen für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050?
Der Green Deal der EU-Kommission ist sicher gut gemeint. Aber wenn ich nur mal einen Aspekt herausgreife - der allerdings alle Unternehmen betreffen wird -, nämlich die geplante Sustainable Finance Regulation, dann kann es einem schon Angst und Bange werden um die Stabilität von Volkswirtschaften. Ich verstehe ja, dass man im Hinblick etwa auf Klimawandel und Nachhaltigkeit mithelfen möchte, die Wirtschaft umzubauen. Hier sollte man aber besser Rahmenbedingungen setzen, die mittel- und langfristig wirken, und nicht zum Beispiel durch eine verfehlte Finanzpolitik klassischen Industriesektoren die Finanzierungsgrundlage entziehen. Denn das wird, wenn es denn so käme, wie es in Brüssel schon angedacht war, Arbeitsplätze kosten und Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.
Sie propagieren nachhaltige Marktwirtschaft. Was hat der Anleger davon?
Dass er zuverlässig eine Dividende bekommt. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir vor zwei Jahren 500 Millionen Euro als Green Bond vom Kapitalmarkt geholt. Das wäre ohne unser Nachhaltigkeitsengagement nicht möglich gewesen. Es gibt ja unterschiedliche Begrifflichkeiten des Wortes nachhaltig. Aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise muss es Sinn machen, sonst ist es ein Schmarrn. Es muss ökologisch verträglich sein, aber auch den Sozialstandards unseres Hauses und den internationalen Sozialstandards entsprechen.
Renewable Energy scheint die am weitesten vom Ursprung der Genossenschaften entfernte Sparte. Aber sie ist Ihr erfolgreichstes Geschäftsfeld. Beeinflusst das die Zukunft der Baywa?
Ganz massiv. Was ist denn unsere Equity Story? Das ist zum einen das Geschäftsfeld Regenerative Energien, in dem wir weltweit sehr erfolgreich sind. Und es ist das Geschäftsfeld Global Produce. Um es an einer Zahl festzumachen. Wir haben jetzt ein Ebit von 215 Millionen. Mit unseren Partnern bewegen wir uns in Richtung eines Ebit-Niveaus - nicht von heute auf morgen, aber Schritt für Schritt - von 400 bis 500 Millionen Euro. Der größte Teil kommt von Baywa r.e.; entsprechend wollen wir aber auch Global Produce weltweit ausbauen.
Die Erzeugung von Solar- und Windenergie beeinträchtigt das Landschaftsbild. Ein notwendiges Übel?
Ja, irgendeinen Tod muss man sterben, oder? Die Energiewende feiern, aber mit ihr nichts zu tun haben zu wollen, ist Heuchelei. Jeder denkt da an den Spessart, wo sich die Windräder auf den Bergen drehen. Dabei sind wir dort, wo wir unsere großen Anlagen bauen, in Texas oder in Australien, in the Middle of Nowhere.
Ist die Baywa nun ein bayerischer oder ein Weltkonzern?
Die Baywa ist ein Weltkonzern mit bayerischen Wurzeln.
Dient da das Engagement für die Basketballer des FC Bayern auch der Aufmerksamkeitssteigerung?
Ja, das war unser Ziel. Ich glaube, das ist auch gelungen. Die entsprechende Media-Analyse ist jedenfalls sehr positiv. Wir werden uns allerdings nach der Saison als Hauptsponsor zurückziehen und künftig Principal Partner sein.
Irgendeine Alternative geplant? Der Rekordmeister steht ja momentan nicht zur Verfügung.
Nein. Außerdem: Ich bin ein Blauer (die Vereinsfarbe von 1860 München).
Baywa AG:
Grünes Wachstum
Der Münchner Mischkonzern ist zuletzt positiv unterwegs: Vergangene Woche gab es grünes Licht für die Kapitalerhöhung bei der Baywa r.e. durch den Schweizer Investor EIP - die Umfirmierung der Tochter in eine AG steht unmittelbar bevor. Am Donnerstag konnte die Baywa trotz Pandemie für 2020 eine leichte Umsatzsteigerung und die Erhöhung der Dividende auf einen Euro pro Aktie verkünden.
Vita:
Der Multi-Tasker
Klaus Josef Lutz, 1958 in München geboren, begann seine Karriere als Anwalt. Nach Chefposten u. a. bei Burda Druck und dem Süddeutschen Verlag wechselte er 2008 als Vorstandsvorsitzender zur Baywa. Seit 2013 Honorarprofessor an der TU München, sitzt Lutz auch in verschiedenen Aufsichtsräten, beim Banknotendrucker Giesecke + Devrient als Vorsitzender.