Zum Jahresende wagen fast alle Bankhäuser wieder einen Blick in die Zukunft: Wo stehen Dax, Dow Jones & Co in einem Jahr? Zwar sind Index-Prognosen immer ein Blick in die Kristallkugel, doch selten haben Investoren die Profis so wenig ernstgenommen wie bei den Vorhersagen für 2015. Denn im Schnitt lagen die Analysten in den vergangenen 15 Jahren schlicht daneben. Beim deutschen Leitindex Dax waren die Schätzungen im Schnitt zwölf Prozent zu hoch, beim britischen Auswahlindex FTSE rund acht Prozent, wie die Auswertung von Reuters-Umfragedaten zeigt. Weder das Platzen der Internetblase zu Beginn des Jahrtausends noch die Finanzkrise 2008 hatten die Experten auf dem Zettel.
Die Analysten fällten ihr Urteil in dem Glauben, dass die zum Zeitpunkt der Umfrage herrschenden Marktbedingungen in den kommenden zwölf Monaten gleich bleiben würden. Unterschätzt wurden deswegen auch die Auswirkungen der Geldschwemme der Zentralbanken 2012 und 2013. Sie sind mit ihren Konjunkturhilfen maßgeblicher Treiber der Märkte und verzerren das eigentliche Bild. Das macht den Analysten das Leben zusätzlich schwer.
Auch für das zu Ende gehende Jahr werden sich die Ausblicke wohl als zu rosig erweisen. "Im Großen und Ganzen nehme ich die Prognosen nicht so ernst", sagt Lorne Baring vom Vermögensverwalter B Capital. "Es dreht sich ohnehin alles darum, was EZB-Chef Mario Draghi das nächste Mal zu sagen hat."
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Nur Momentaufnahmen
Fondsmanager warten trotzdem mit Spannung auf die Zahlen, denn sie sehen die Umfragen als Gradmesser der Marktstimmung und Investorenverhalten. "Prognosen sind eine Momentaufnahme der aktuellen Situation", sagt Patrick Moonen, Stratege bei ING Investment Management. "Das fließt in unsere Investmententscheidungen ein, aber es hat mehr mit Positionierungen zu tun als mit unserer Meinung wie sich die Märkte entwickeln werden."
Analysten selbst gestehen, dass eine Schätzung, wo ein bestimmter Index zum Jahresende genau stehen wird, eine ziemlich schwierige Sache ist und allgemeiner betrachtet werden sollte. Die Ziele spiegelten eher so etwas wie den fairen Wert des Marktes wider, sagt Emmanuel Cau von JPMorgan Chase.
2014 ist dafür ein typisches Beispiel. Vor rund einem Jahr sprühten die Marktbeobachter vor Optimismus: Für Aktien der Euro-Zone stünden brillante zwölf Monate bevor, hieß es allerorten. Jedoch hinken im letzten Börsenmonat 2014 alle großen Indizes den gesteckten Jahreszielen hinterher. Der britische FTSE, der laut den Prognosen um fünf Prozent steigen sollte, liegt selbst nach der Aufholjagd der vergangenen Wochen derzeit rund drei Prozent im Minus. Auch der EuroStoxx50 liegt noch drei Prozent unter dem angepeilten Jahresschluss. Und der italienische Index hat auf Jahressicht bisher lediglich drei Prozent zugelegt, statt der erwarteten neunzehn Prozent.
Beim Dax sieht es bislang nicht schlecht aus: ursprünglich waren 10.000 Punkte erwartet worden - den Sprung über diese psychologisch wichtige Marke hatte der Leitindex vor kurzem auch geschafft. Momentan liegt er rund anderthalb Prozent von dem Ziel entfernt.
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Positive Schätzungen - und die traurige Realität
Es scheint die Faustregel zu gelten: Je mehr sich die Analysten bei positiven Schätzungen einig sind, desto weniger geht die Rechnung auf. Denn gibt es dann eine Abweichung vom Konsens, fallen die Marktreaktionen umso heftiger aus. "Wenn Du weißt wo der Konsens liegt, dann weißt Du wenigstens, wo Du nicht investiert sein solltest", sagt Michele Gesualdi von Kairos Investment.
Ob dieser Tipp für das neue Börsenjahr gilt, ist noch offen. Bislang haben noch nicht alle Geldhäuser ihre Prognosen für den Dax-Stand Ende 2015 abgegeben. Die vorliegen Schätzungen klaffen allerdings weit auseinander: Die DZ Bank sieht den Leitindex wegen der schwächelnden europäischen Konjunktur bei mageren 9500 Stellen, die Helaba bei 9800 Punkten. Die Deutsche Bank traut dem Dax dagegen einen Anstieg auf 11.500 Punkte zu, getragen von den Vorteilen eines schwächeren Euro-Kurses.
rtr