von Enzo Puntillo, Experte für Schwellenländeranleihen bei GAM
Die Investmentwelt hat ein Faible für eingängige Abkürzungen. Eine der bekanntesten dürfte der 2001 von Jim O’Neill geschaffene Begriff "BRIC" sein, der die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China als Anlagethema zusammenfasst. Mittlerweile können Anleger auch in die "Next 11" investieren - Schwellenländer, die den BRIC-Staaten wirtschaftlich folgen sollen. Oder sie können Papiere aus den "Frontier Markets" kaufen, die wiederum den "Next 11" im Wachstumsprozess nacheifern. Die "Fragile Five" hingegen sollten Anleger meiden, weil Indien, Südafrika, Indonesien, Brasilien und die Türkei eine -negative Leistungsbilanz aufweisen. So einfach, so gut. Aber stimmen solche Zuschreibungen überhaupt noch?
Das Schöne an Vereinfachungen ist, dass sie helfen, komplexe Zusammenhänge begreifbar zu machen. Leider liegt darin aber auch eine Gefahr für Fehlentscheidungen. Das Beispiel der "Fragile Five" zeigt dies sehr gut: Zwar haben alle Länder eine negative Leistungsbilanz. Doch dafür gibt es unterschiedliche Auslöser. In dem einen Land ist es eine geringe Produktivität, in dem anderen ein schwacher Konjunkturzyklus, im dritten kann es an der Steuer- und Finanzpolitik liegen. Diese Faktoren mögen zwar zum gleichen Ergebnis führen. Doch für die Investitionsentscheidung ist es ein großer Unterschied, ob nun die Steuerpolitik oder der Konjunkturzyklus für eine negative Leistungsbilanz sorgt. Anleger, die selektiv, dynamisch und auf fundamentaler Analyse basierend investieren, können in dieser Situation Chancen nutzen.
Einer der Hauptgründe für die auseinanderstrebende wirtschaftliche Entwicklung der Schwellenländer ist die Entkopplung der Kreditzyklen von Schwellen- und Industrieländern in den Jahren seit der Finanzkrise. Sie hat dazu geführt, dass sich auch die Konjunkturzyklen und die Geldpolitik unterschiedlich entwickelt haben. Das hat massive Auswirkungen auf die Zinssätze, die Risikoaufschläge und die Wechselkurse in den einzelnen Schwellenländern. Das Auseinanderstreben der wirtschaftlichen Entwicklung lässt sich sehr gut an der Sanierung der einzelnen Zahlungsbilanzen erkennen. Viele osteuropäische Länder sind in diesem Punkt weit vorangekommen. Heute finden sie wieder internationale Kapitalgeber, was dem Wachstum förderlich ist. Auch Chile macht gute Fortschritte. Das Land senkte erfolgreich seine Importquote und konnte so seine Leistungsbilanz nahezu ausgleichen. Das ist umso beachtlicher, als Chile stark unter schwachen Exporteinnahmen durch den Verfall der Rohstoffpreise gelitten hat. Auch Brasilien konnte Erfolge erzielen, wobei die Leistungsbilanz teilweise von der schwächeren Währung profitierte.
Im Anleihesegment sind brasilianische Anleihen in Lokalwährung mit Nominalrenditen von rund 13 Prozent die attraktivsten der Lokalmärkte. Selbst unter Berücksichtigung der Inflation von acht Prozent sind die realen Renditen attraktiv. Zudem wird die Inflation im kommenden Jahr voraussichtlich auf rund sechs Prozent zurückgehen, sodass die Zentralbank in den kommenden zwölf Monaten Spielraum für Zinssenkungen hat. Mexiko erweist sich als interessant, weil der Markt die Erwartung einer Normalisierung der US-Zinsen übermäßig eingepreist hat. Die realen Renditen für fünfjährige Anleihen liegen bei 2,5 Prozent, was gegenüber der globalen Vergleichsgruppe sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ betrachtet attraktiv ist. Peru und Kolumbien hingegen ist es bislang nicht gelungen, ihre Volkswirtschaften zu sanieren. Beide Länder weisen immer noch beträchtliche Leistungsbilanzdefizite auf, und die Lage dürfte sich weiter verschärfen.
Festzuhalten bleibt: Die Schwellenländer entwickeln sich mittlerweile sehr unterschiedlich. Mit einem selektiven, dynamischen Investmentansatz und fundamentaler Analyse lassen sich daraus gute Anlagegelegenheiten generieren. Themeninvestments wie BRIC dürfte dagegen nur wenig Erfolg beschieden sein: Diese Ansätze werden den Chancen - und Risiken - nicht gerecht.
Enzo Puntillo
Puntillo ist seit Oktober 2005 bei GAM (vormals Swiss & Global Asset Management) tätig. Er leitet das Fixed-Income-Team in Zürich und ist Portfolio Manager für Emerging-Markets-Anleihen. Zuvor war er im Global Asset Management der UBS in Zürich und als Fixed-Income-Händler bei Paribas tätig.
Puntillo schloss ein Studium in Betriebswirtschaft ab und ist diplomierter Finanzanalytiker und Vermögensverwalter.