Es gibt nicht viele Deutsche, die mitentscheiden dürfen, wie eine der wichtigen internationalen Investmentgesellschaften ihr Geld anlegt. ­Bernhard Langer von der US-amerikanischen Fondsgesellschaft Invesco, die über 800 Milliarden US-Dollar verwaltet, zählt dazu. Dass der Bayer nicht seiner Verantwortung angemessen bekannt ist, mag dem geschuldet sein, dass er sich als Leiter der quantitativen Aktienanalyse weniger medienwirksamen Thesen als den Zahlen verschrieben hat. Langer zieht als ­sogenannter Quant bevorzugt Daten und Computer heran, wenn es darum geht, die besten unter 5.000 Aktien weltweit auszuwählen.


Bernhard Langer: Nein, ganz und gar nicht. Der Computer ist für mich letztlich nur ein Werkzeug für die Auswertung von riesigen Datenmengen. Die Regeln, welche Daten der Computer auf welche Weise zu interpretieren hat, kommen immer noch von unserem Team, sprich von Menschen.

Was wird denn alles analysiert?
Es fließen Daten zu den Unternehmensgewinnen und -umsätzen genauso ein wie volkswirtschaftliche Zahlen. Aber auch die Stimmung der Anleger und Konsumenten wird ­berücksichtigt. Daraus ergibt sich dann unsere Positionierung.

Dieselben Faktoren berücksichtigen auch andere Fondsmanager.
Der Unterschied und damit Vorteil ist, dass hier nicht einzelne Personen entscheiden, wie sie die Daten interpretieren. Damit schließen wir klassische Anlegerfehler wie den Überoptimismus bei Investoren aus.

Was meinen Sie konkret?
Ich meine etwa das Überschätzen der eigenen Prognosen oder das Festhalten an unattraktiven Aktien. Diese psychologischen Fallen umgehen wir mit unserem systematischen Ansatz von vornherein.

Ein Beispiel?
Wir haben festgestellt, dass Aktien mit hoher Schwankungsbreite langfristig schlechter abschneiden als schwankungsärmere Titel. Auf diese riskanten Titel verzichten wir daher lieber, da das Risiko nicht belohnt wird.

Klingt gut, Ihre Fonds stehen aber nicht durchgehend an der Spitze der jeweiligen Renditerangliste?
Im Falle des Invesco Pan European Structured Equity Fund stimmt das nicht ganz, er ist langfristig einer der besten europäischen Aktienfonds. Unser Ziel ist es, das Geld der Investoren langfristig zu vermehren, starke Ausschläge nach unten zu vermeiden und den jeweiligen Vergleichsindex zu schlagen. Und das gelingt uns gut, sodass vor allem ­institutionelle Investoren unsere Fonds als Basis für ihr Portfolio nehmen. Wir wollen künftig aber auch mehr Privatinvestoren für unsere Quant-Fonds interessieren.

Wann ist der Mensch der Maschine denn noch überlegen?
Generell ist der Computer überlegen, aber klar, einen gibt’s immer, der bei Trendwechseln genau richtig liegt.

Sind Sie nicht ein wenig neidisch auf die Fondsmanager, die zumindest kurzfristig glänzen können?
"Fondsmanager des Jahres" zu werden ist gar nicht unser primäres Ziel. Vor allem, weil man ja auch weiß, dass die Erfolge der Kollegen meist nicht ewig währen.

Welche Faktoren berücksichtigen Sie bei der Auswahl der Einzeltitel?
Vier Faktoren sind entscheidend. Die Gewinnentwicklung und die Bewertung des Unternehmens, das Verhalten des Managements sowie das Momentum der Aktie. Jeder der vier Faktoren wird wiederum mithilfe von acht bis zwölf Einzelindikatoren berechnet. Auf Grundlage dieser Daten kauft und verkauft dann der von unseren Experten programmierte Computer die jeweilige Aktie.

Fühlen Sie sich dadurch in Ihren Entscheidungen nicht eingeengt?
Überhaupt nicht, denn der Computer ist ja nach unseren eigenen Maßgaben programmiert. Ich vergleiche das mit dem Autopiloten im Flugzeug oder dem Antiblockiersystem bei Autos. Da beschwert sich doch auch niemand. Im Gegenteil: Man schätzt die zusätzliche Sicherheit.

Die Sicherheit, um im Bild zu bleiben, kann aber doch nur so gut sein wie die Qualität der Daten?
Ja, das stimmt. Aktien aus Schwellenländern etwa sind für uns deutlich schwieriger einzuordnen, da die Qualität und Historie der Daten aus den Emerging Markets denen westlicher Konzerne hinterherhinkt.

Aber auch westliche Konzerne frisieren doch gern ihre Bilanzen.
Ja, sicherlich gibt es unter den Unternehmen immer wieder schwarze Schafe. Aber insgesamt hat sich die Datenqualität der Unternehmen auch dank des regulatorischen Drucks nach der Finanzkrise deutlich verbessert. Zudem werden die Einzelwerte in unseren Portfolios nur sehr gering gewichtet, zum Teil befinden sich 120 Aktien in unseren Fonds - nur eine von vielen Maßnahmen, um das Verlustrisiko zu minimieren. Auch hier hilft der Computer, in dem er spezielle Risiko­parameter berücksichtigt und das Portfolio entsprechend optimiert.

Sie sammeln die Daten Tausender Unternehmen weltweit. Welche Trends sehen Sie?
Die Bilanzen der Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren immer weiter verbessert, die Konzerne stehen mehrheitlich sehr stabil da. Daneben gibt es aber auch Entwicklungen, die Sorgen machen.

Welche?
Seit drei Jahren steigen in Europa die Gewinnschätzungen am Jahresanfang kräftig, die tatsächlichen Gewinnzuwächse können aber nicht mithalten. Aber dennoch steigen die Kurse. Mit der Folge, dass Aktien immer höher bewertet sind, nimmt man etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis zum Maßstab.

Heißt das, dass die Chancen hoch sind für einen Börseneinbruch?
Nein. Wir sehen aber, dass es eigentlich nur die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken ist, welche die Aktienkurse immer weiter in die Höhe treibt. Das ist zwar nicht optimal, aber bei 1,15 Prozent Verzinsung per annum für deutsche Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als in den Aktienmarkt zu investieren.

Aber welche Titel lohnen sich denn angesichts der Rally noch?
Qualitätsaktien bleiben weiter interessant. Speziell diejenigen Dividendentitel gehören ins Portfolio, die ihre Ausschüttungen nicht aus der Substanz bezahlen müssen.

Und wenn die Zinsen steigen?
Ich glaube nicht, dass die Zinsen so stark wie von vielen erwartet wieder anziehen werden. Daher bleiben Aktien, auch wenn sie teuer erscheinen, auch weiterhin erste Wahl.

Seit wann widmen Sie sich so intensiv dem quantitativen Ansatz?
Schon bei meiner früheren Tätigkeit als Fondsmanager bei der Bayerischen Vereinsbank in den 90er-Jahren habe ich gesehen, dass es sinnvoll ist, Daten nicht einzeln, sondern systematisch auszuwerten. Die technische Revolution, sprich der Aufstieg der Computer zu dieser Zeit, hat die Umsetzung dieses Wunsches natürlich erleichtert.

Sind alle in Ihrem Team so verrückt nach Zahlen wie Sie?
Ich will es so ausdrücken: Soziologen und Literaturwissenschaftler finden sie hier nicht, Physiker und IT-Spezialisten dagegen schon. Die emotionale Seite, das muss ich eingestehen, ist daher bei uns nicht ganz so stark ausgeprägt.

Apropos Emotionen? Sind Einzelaktien nicht spannender als ein auf quantitativer Basis zusammengesetztes Großportfolio?
Ich bin der Letzte, der Investments in einzelne Aktien verbieten möchte. Im Gegenteil: Meine Kinder ermutige ich sogar nach dem Motto "Kaufe, was du kennst" in einzelne Titel zu investieren.

Was ist das Ziel?
So verstehen Sie die Zusammenhänge zwischen den Produkten und Aktienkursen besser. Mein einer Sohn hat etwa eine Sony-Aktie gekauft, nachdem er sich ein spezielles Sony-Handy zugelegt hatte. Der andere hat sich nach lebhaften Diskussionen gegen meinen Rat entschieden, Air-Berlin-Aktien ins Portfolio zu legen, und leider damit verloren.

Widerspricht das nicht entschieden Ihrem Ansatz?
Überhaupt nicht. Einzelwetten sind absolut in Ordnung, solange man dies für sich als eine Art Hobby sieht. Für die Altersvorsorge etwa sollte man aber breiter aufgestellte Investments suchen.

Sie arbeiten in Frankfurt, leben aber weiterhin nahe München. Sind hierfür rationale oder emotionale Gründe entscheidend?
Beides. Meine Eltern leben in der Nähe von München, das ist natürlich für mich und meine Familie eine große Erleichterung. Auf der anderen Seite hänge ich natürlich auch an der Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Und außerdem: Ich bin einfach Bayer mit Leib und Seele!

Zur Person:

Bayer aus Leidenschaft
Seit Januar 2009 ist Bernhard Langer Chief Investment Officer (CIO) Quantitative Strategies bei der US-Fondsgesellschaft Invesco. Sein 50-köpfiges Team arbeitet in Frankfurt, London, New York und Tokio. Der heute 50-jährige Langer startete seine Karriere 1989 bei der Bayerischen Vereinsbank und kam 1994 zu Invesco. Der gebürtige Bayer lebt mit seiner finnischen Frau und seinen vier Kindern in der Nähe von München.