Wenn es in Deutschland so etwas wie ein Prüfsiegel für börsennotierte Firmen gibt, dann ist es der Prime Standard. Im Gegensatz zum General Standard, der wegen seiner geringeren Anforderungen vor allem für kleinere und mittlere Firmen geeignet ist, die Kapital über die Börse beschaffen möchten, richtet sich das Premium- Level an Unternehmen, die sich international platzieren möchten.
Was viele Anleger heute nicht mehr wissen: Der Prime Standard wurde im Herbst 2002 quasi aus der Not heraus geboren. Denn nach der Talfahrt des Neuen Markts um mehr als 90 Prozent seit März 2000 war die Deutsche Börse zum Handeln gezwungen. Sie stellte das verpönte Segment für Wachstumsfirmen kurzerhand ein - und die Börsenlandschaft auf eine neue Basis. Zu den beiden von der EU regulierten Transparenz-Levels General Standard und Prime Standard, die per Anfang 2003 eingeführt wurden, gesellte sich im Oktober 2005 der Entry Standard als Einstiegssegment für kleine und mittelgroße Unternehmen. Dort sind die Anforderungen an die Firmen geringer und die Risiken für Anleger größer.
Als Einstiegssegment fungiert seit mehr als elf Jahren auch der Prime Standard: Er ist der Türöffner in die deutsche Indexlandschaft. Denn nur Unternehmen, die seine strengen Auflagen erfüllen, können in einen der Auswahlindizes TecDAX, SDAX, MDAX oder DAX aufgenommen werden. Dabei müssen die Firmen über das Maß des General Standards hinaus, der die gesetzlichen Mindestanforderungen des regulierten Marktes stellt, hohe internationale Transparenzanforderungen erfüllen. Für Anleger bedeuten die strengen Regeln ein Mehr an Sicherheit.
Kurzum: Wer etwas auf sich hält, kommt um ein Listing im Premiumsegment nicht herum. Seit diesem Jahr sind unter anderem SNP Schneider-Neureither und Capital Stage neu dabei. "Mit dem Wechsel wollen wir eine höhere Aufmerksamkeit bei Investoren erzielen", sagt SNP-Chef Andreas Schneider-Neureither. Ins gleiche Horn stößt der Vorstandsvorsitzende von Capital Stage Felix Goedhart: "Wir erhöhen mit dem Wechsel in den Prime Standard bewusst die Transparenz für Investoren und Analysten. Zudem ist aufgrund des steigenden Interesses ausländischer Kapitalmarktteilnehmer ein Reporting in englischer Sprache inzwischen sinnvoll geworden." 2015 wollen unter anderen M.A.X. Automation und Fintech Group in den Prime Standard wechseln.
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Mehr Transparenz für Anleger
Investoren wie Marcus Ratz, Partner bei der Frankfurter Fondsboutique Lupus alpha und dort für das Portfoliomanagement Small und Mid Caps Europa zuständig, bestätigen die Sichtweise der Unternehmen: "Beim Prime Standard sind die Zulassungsvoraussetzungen höher als in den anderen Indizes. Das bedeutet, es gibt mehr Berichtspflichten für Unternehmen, damit auch ein höheres Maß an Transparenz für Investoren. Das begrüßen wir grundsätzlich. Gleichwohl spielt eine Indexzugehörigkeit für uns als Stock-Picker grundsätzlich eine untergeordnete Rolle. Entscheidend sind für uns einzelwertspezifische Variablen. Dabei sind uns Unternehmensbesuche und ein persönlicher Kontakt zum Unternehmensmanagement wichtig."
Derzeit sind laut Deutscher Börse 323 Aktien im Prime Standard gelistet. 160 davon finden sich in DAX & Co wieder. Besonders spannend geht es unterhalb der Auswahlbarometer zu, da sich kaum Analysten um diese Werte kümmern. Nach Bereinigung von Unternehmen, die mittels Stamm- und Vorzugsaktien mehrfach vertreten sind, bleiben 149 Aktien übrig, die wir uns näher angesehen haben. Interessant sind dabei vor allem diejenigen Werte, die mittelfristig in einen der Auswahlindizes aufrücken könnten. Denn meist entwickeln sich deren Kurse bereits lange vor dem eigentlichen Indexaufstieg deutlich besser als der Gesamtmarkt.
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Spannende TecDAX-Kandidaten
Ein klassisches Beispiel ist die Aktie von GFT Technologies, die mit den Rängen 33 beim Kriterium Marktkapitalisierung und 34 bei den Handelsumsätzen bereits zu den 35 größten und liquidesten Technologiewerten gehört, was als Grundvoraussetzung für eine Mitgliedschaft im TecDAX gilt. Wir räumen dem Titel gute Chancen ein, bei der Indexüberprüfung im März 2015 zum Zug zu kommen, zumal auch die operative Entwicklung stimmt.
Mit der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen hat der IT-Dienstleister seine Gesamtjahresprognose erneut angehoben. Wir haben die Aktie kürzlich ins Nebenwerte-Depot aufgenommen, genau wie die von Elmos Semiconductor. Der Halbleiterspezialist legte erfreuliche Quartalszahlen vor und bestätigte seine Jahresprognose. Mit den Rängen 34 und 36 ist Elmos ebenfalls in Tec-DAX-Reichweite. Nur ganz knapp dahinter (35/38) liegt Isra Vision. Der Spezialist für Oberflächeninspektion gehört wegen seines verlässlichen Umsatz- und Gewinnwachstums zu unseren Dauerfavoriten. 2014 will die Firma erstmals mehr als 100 Millionen Euro erlösen.
Noch ein Stückchen weg von einem möglichen TecDAX-Aufstieg sind Dr. Hönle (Ränge 46/58), Softing (52/43) und Technotrans (56/65). Gleichwohl sind die Aktien des Technologietrios nicht minder interessant. Dr. Hönle zählt zu den wenigen Firmen, die den Neuen Markt nicht nur überlebt haben, sondern heute besser dastehen als damals. Der Aktienkurs hat vor wenigen Tagen den damaligen Höchststand übersprungen und ein Allzeithoch markiert. Nach einem guten Geschäft in den ersten neun Monaten 2013/14 geht der Anbieter industrieller UV-Technologie für das Gesamtjahr von einem Umsatzanstieg von 77,3 auf 80 bis 85 Millionen Euro aus. Das operative Ergebnis soll von 8,6 auf neun bis zehn Millionen Euro klettern.
Zu den Titeln, die in der jüngsten Korrektur stark gebeutelt wurden, gehört Softing. Seit dem Allzeithoch Mitte Juli ging es in der Spitze um 37 Prozent bergab. Inzwischen hat der Nebenwert etwa die Hälfte der Verluste wieder hereingeholt. Für Beruhigung sorgten die Neunmonatszahlen: Der Umsatz des Anbieters von Hard- und Software in den Unternehmenssegmenten Industrielle Automatisierung und Automotive Electronics ist um mehr als 35 Prozent auf 53 Millionen Euro nach oben gesprungen. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) ist von 4,2 auf 4,5 Millionen Euro vorangekommen. Darin sind wesentliche Sonderbelastungen aus den Akquisitionen enthalten, die insbesondere in den ersten sechs Monaten anfielen.
Der Druck- und Technologiedienstleister Technotrans findet nach dem Turnaround im Jahr 2010 allmählich wieder zurück zu alter Stärke. Sollen 2014 Umsätze von 110 Millionen Euro und eine Marge auf Basis des Gewinns vor Zinsen und Steuern (Ebit) von sechs Prozent erreicht werden, peilt der Konzern bis 2018 eine Steigerung der Erlöse auf 150 Millionen Euro und eine Ebit-Marge von zehn Prozent an. Gelingt das Unterfangen, dürfte unterm Strich dann ein Ergebnis von etwa einem Euro je Aktie stehen. Dem steht ein aktueller Aktienkurs von knapp neun Euro gegenüber.
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Profiteur der Elektromobilität
Eine operative Marge von zehn Prozent hat sich auch Paragon zum Ziel gesetzt - allerdings schon für das laufende Jahr. Am 19. November (nach Redaktionsschluss) dürfte sich mit Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal zeigen, ob der Autozulieferer weiter auf Kurs ist. Insbesondere bei Lithium-Ionen-Batteriepacks verzeichnet Paragon derzeit eine extrem starke Nachfrage. Der Konzern darf sich somit als Gewinner des Trends zur Elektromobilität bezeichnen. Der starke Auftragseingang in diesem Bereich schafft eine gute Wachstumsbasis
über Silvester hinaus.
Zu den attraktivsten Nebenwerten, die in der Datenbank von BÖRSE ONLINE zu finden sind, zählt die Aktie der Telekommunikationsfirma Ecotel. Der Titel ist lediglich mit etwas mehr als dem Dreifachen des für das kommende Jahr geplanten operativen Gewinns bewertet. Ein Großauftrag der Allianz sorgt jedoch für Fantasie: Nachdem die Rheinländer rund 10 000 Agenturen des DAX-Konzerns an ein neues Konzernnetzwerk angebunden haben, hofft die Firma auf ähnliche Aufträge von anderen Großunternehmen.
Chancen auf einen Platz im SDAX darf sich Hella ausrechnen. Der Spezialist für innovative Lichtsysteme und Fahrzeugelektronik hat gerade erst sein Börsendebüt gefeiert und dafür den Prime Standard ausgewählt. In einem ersten Schritt hat der Konzern 15 Prozent seiner Aktien in den freien Handel gebracht. Da die Deutsche Börse nur diese Stücke zur Berechnung der Marktkapitalisierung heranzieht, dürfte es vorerst nur für den SDAX reichen. Sollten die Alteigentümer weitere Stücke platzieren, ist aber ein Sprung in den MDAX durchaus möglich.
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Höhere Margen im Visier
Der SDAX wird auch für den Konzertveranstalter Deag in Reichweite rücken, sollte sich der Kursanstieg der Aktie in ähnlichem Ausmaß fortsetzen wie in den vergangenen Jahren. Der jüngste Kursschub geht auf eine Strategieänderung zurück, von der sich Anleger höhere Margen erhoffen. Mit Myticket. de startet Deag demnach ein eigenes Vertriebssystem für Eintrittskarten im deutschsprachigen Raum. Aktuell führt das Management Gespräche über die Beteiligung von zwei Minderheitsgesellschaftern aus der Medienbranche an Myticket.de. Das sorgt für Fantasie.
Doch bei aller Transparenz: Auch im Prime Standard gibt es Rohrkrepierer. Wenn es bei einem Unternehmen operativ bergab geht, schützt auch das Premium- Siegel nicht vor Kursverlusten. Daher sollten Anleger vor einem Investment genau hinsehen. Denn einige Aktien haben in dem streng regulierten Börsensegment eigentlich gar nichts mehr zu suchen.
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