"Das ist eine gute Nachricht für die Bauspargemeinschaft als Ganzes, die weiter auf die Stabilität des Systems vertrauen darf", erklärte der Verband der privaten Bausparkassen. Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg kritisierte dagegen: "Der Grundsatz der Vertragstreue wurde heute schwer erschüttert." Eine neue Kündigungswelle droht aber offenbar nicht. (Az.: XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16)
Die Bausparkassen haben inzwischen nach Branchendaten rund 260.000 Verträge gekündigt, bei denen die Kunden ihr Darlehen nicht abgerufen, sondern stattdessen weiter gespart und Zinsen kassiert haben. Das ist für viele Bausparer bei den niedrigen Zinsen attraktiv: Sie verzichten auf das Bauspardarlehen, weil sie sich das Geld billiger bei normalen Banken besorgen können. Das bringt die Bausparkassen in Schieflage, die von der Differenz zwischen Spar- und Darlehenszins leben. Der Anwalt von Wüstenrot, Reiner Hall, erklärte in der Verhandlung vor dem BGH, die deutschen Bausparkassen gäben derzeit nur acht Prozent ihrer Einlagen als Darlehen aus. Früher habe der Anteil bis zu 40 Prozent ausgemacht.
SEIT FAST 40 JAHREN ANGESPART
Geklagt hatten zwei Kunden der Bausparkasse Wüstenrot, die ihren Anspruch auf Sparzinsen von drei und 4,5 Prozent nicht aufgeben wollten. In einem Fall stammte der Vertrag aus dem Jahr 1978. Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte ihnen Recht gegeben, die meisten anderen Berufungsgerichte hatten freilich zugunsten der Bausparkassen entschieden. Von rund 75 OLG-Urteilen fielen nur vier zugunsten der Bausparer aus. Die Aktie des Wüstenrot-Eigentümers W&W stieg um fast fünf Prozent.
Wüstenrot und Konkurrenten wie Schwäbisch Hall, BHW oder die Landesbausparkassen (LBS) hatten zunächst nur die Reißleine gezogen, wenn die ganze Bausparsumme bereits angespart war, die Kunden also gar kein Darlehen mehr brauchten. Das erwies sich als weitgehend unumstritten. Doch dieser ersten Kündigungswelle folgte eine zweite: Sie betraf Verträge, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif waren. "Es handelt sich im Schnitt um Verträge, die im Schnitt rund 22 Jahre alt sind. Für einen 'ewigen Guthabenzins' waren sie nie gedacht", hatte der Präsident des Verbandes der privaten Bausparkassen, Andreas Zehnder, im Vorfeld der Verhandlung gesagt.
Auch hier gab der BGH den Bausparkassen nun Recht: Sie seien während der Ansparphase - also so lange der Kunde den Baukredit nicht angenommen hat - formell Darlehensnehmer der Bausparer. Damit hätten sie das Recht, zehn Jahre nach der Zuteilung aus dem Vertrag auszusteigen. Schließlich diene das Ansparen nur dem Zweck, danach an ein Bauspardarlehen zu kommen. Damit droht also weiterhin allen Bausparern die Kündigung, wenn sie das gewährte Darlehen nach zehn Jahren noch nicht abgerufen haben. An eine neue Kündigungswelle glaubt Wüstenrot aber nicht: "Die Mehrheit der Verträge wurde 2015 gekündigt, schon 2016 waren es deutlich weniger", sagte ein Sprecher. "Das wird auch in den nächsten Jahren der Fall sein."
VERBRAUCHERSCHÜTZER: VERLUSTE AUF KUNDEN ABGEWÄLZT
Die Bausparkassen hatten in den 1990er Jahren viele Kunden damit gelockt, dass sie ihre Darlehen nicht abrufen müssten, und dafür teilweise sogar Prämien gezahlt. Die Branche hatte damals Mühe, ausreichend Einlagen einzusammeln, um der Nachfrage nach Baudarlehen nachzukommen. Inzwischen arbeitet sie unter völlig anderen Vorzeichen. Verbraucherschützer Nauhauser will das nicht gelten lassen. "Früher haben die Bausparkassen die Verträge als Geldanlage angepriesen." Die Gewinne seien den Unternehmen und deren Eigentümern zugute gekommen. "Jetzt werden die Verluste auf die Kunden abgewälzt. Das ist höchst ärgerlich für die Verbraucher."