Doch die nackten Zahlen täuschen über einen Trend hinweg, der 2016 zu einem außergewöhnlichen Jahr macht. Denn es waren nicht nur die üblichen Übernahmen, mit denen Konzerne in der eigenen Branche nach mehr Macht streben. Mehr denn je schauten Unternehmen über den Tellerrand hinaus. "Disruption" - die Zerstörung althergebrachter Geschäftsmodelle etwa durch die Digitalisierung - lautet das Schlagwort.

"Firmen erfinden sich neu, betrachten ihr Geschäft mit anderen Augen und überlegen, wie sie disruptiv werden können - oder vermeiden, selbst Opfer von Disruption zu werden", sagt Chris Ventresca, der das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) bei JPMorgan weltweit leitet. "Das kurbelt Transaktionen an." Die größte Übernahme des Jahres passt in diese Schublade: Der US-Telekomriese AT&T schluckt für 85,4 Milliarden Dollar den Medienkonzern Time Warner mit seinen Sendern (CNN, HBO) und Filmstudios (Warner Bros). Der Softwarekonzern Microsoft legte sich das Karrierenetzwerk Linkedin für 26,2 Milliarden Dollar zu, der Smartphone-Hersteller Samsung greift nach Harman International, einem Hersteller von Auto-Lautsprechern.

"Das Tempo, mit dem Technologie ganze Branchen erfasst, und das Zusammenwachsen traditioneller Industriezweige bestimmen das Denken der Leute so stark wie nie", sagt Cary Kochman, M&A-Chef von Citi in Nordamerika. Gleichzeitig geht die Konsolidierung innerhalb einzelner Branchen weiter: Und mit Bayer, Linde und der Deutschen Börse waren gleich drei deutsche Konzerne aktiv daran beteiligt. Die Übernahme von Monsanto durch Bayer war mit 66 Milliarden Dollar die größte, die ein Konzern je in bar stemmte - also nicht durch die Ausgabe neuer Aktien. Linde will mit der 65 Milliarden Dollar schweren Fusion "unter Gleichen" mit der kleineren Praxair wieder zur Nummer eins auf dem Industriegase-Markt werden - um den Preis, Deutschland als Firmensitz aufzugeben.

CHINA IN DER ERSTEN LIGA



Seit diesem Jahr spielt auch China bei Übernahmen eindeutig in der ersten Liga mit. Weltweit summierten sich chinesische Zukäufe im Ausland auf 221 Milliarden Dollar, mehr als doppelt so viel wie 2015. Ganz oben stand der 43 Milliarden Dollar schwere Kauf des Schweizer Pflanzenschutz- und Saatgut-Konzerns Syngenta durch ChemChina. Aber auch nach Deutschland und in die USA wagten sich chinesische Käufer verstärkt vor. Obwohl die Politik zahlreiche Übernahmen stoppte, gaben Unternehmen aus dem Reich der Mitte in diesem Jahr neunmal so viel für US-Konzerne aus wie 2015. "Asiatische Unternehmen haben größere Hartnäckigkeit bei Deals gezeigt, und das liegt vor allem daran, dass sie globale Reichweite brauchen und Know-how kaufen müssen, das sie nicht haben", sagt Goldman-Sachs-M&A-Co-Chef Gilberto Pozzi.

Zugleich fällt auf, dass immer mehr Fusionsprojekte platzen - entweder wegen des Widerstands der Übernahmeobjekte oder der Wettbewerbshüter, denen die Konglomerate zu mächtig werden, oder aus der Politik. Auch Linde/Praxair war im Sommer schon einmal gescheitert, ehe man sich wieder zusammenfand. Und die Übernahme der Londoner Börse durch ihr deutsches Pendant ist längst nicht in trockenen Tüchern. Insgesamt scheiterten 2016 Übernahmen im Volumen von 804 Milliarden Dollar - abgesehen von den Versuchen, die gar nicht erst publik wurden.

Schon seit 2015 wagten die Konzerne mehr, wenn sie von einer Übernahme strategisch überzeugt seien, sagt Gary Posternack von der britischen Bank Barclays. Doch der Rüstungskonzern United Technologies ließ den Rivalen Honeywell mit seiner 91-Milliarden-Dollar-Offerte abblitzen. Der Kauf von Allergan durch Pfizer hätte mit 160 Milliarden Dollar sogar der größte dieses Jahres werden können. Doch er hing an den Steuervorteilen, die sich Pfizer davon erhoffte - bis das US-Finanzministerium einen Strich durch die Rechnung machte.

rtr