Als Zuhörer muss man konzentriert bleiben, denn der 64-Jährige spricht schnell. Zuweilen hat man gar das Gefühl, Millers Gedanken hätten seine Worte längst überrundet. Das Anliegen seines Vortrags ist, von den Vorteilen aktiven Fondsmanagements gegenüber Indexinvestments zu überzeugen. Der Eindruck, den er dabei beim Publikum hinterlässt, ist der eines Mannes, für den Geldanlegen vor allem eine intellektuelle Herausforderung ist.
Querdenker wird er genannt, wegen seiner eigenwilligen Investmentideen. Mit ihnen schaffte er es, 15 Jahre in Folge - von 1991 bis 2005 - den amerikanischen Aktienindex S & P 500 zu schlagen. Liebend gern setzt Miller auf Unternehmen, von denen sich andere Anleger mit Grausen abwenden. Und er scheut nicht davor zurück, große Risiken einzugehen. Das wurde ihm während der Finanzkrise zum Verhängnis. 2008 verlor sein milliardenschwerer Fonds Legg Mason Value Trust 55 Prozent an Wert. Der S & P 500 gab in jenem Jahr "nur" um 37 Prozent nach.
"Ich habe das Wesen der Finanzkrise verkannt", gibt Miller heute offen zu. Er war überzeugt, dass die Märkte überreagieren, und setzte bis zuletzt auf Immobilientitel und Finanzwerte. Der Absturz war gewaltig, und die Anleger zogen in Scharen ihr Geld ab. Im April 2012 trat Miller als Manager des Value Trust zurück und zeichnet seitdem für den kleineren Fonds Opportunity Trust verantwortlich (Version für europäische Anleger: Legg Mason Opportunity, ISIN: IE00B3FHN413).
Mit diesem Portfolio schafft er erneut außergewöhnliche Resultate. 2012 und 2013 erzielte er eine doppelt so hohe Wertentwicklung wie der S & P 500. Seine Angriffslust hat der einstige Starinvestor nicht verloren. Und in Sachen Finanzkrise hat er akribisch nachgearbeitet, unzählige Bücher und wissenschaftliche Artikel bis zurück in die 30er-Jahre gelesen. Nach dem großen Rückschlag ist Anlegen für ihn erst recht eine intellektuelle Herausforderung.
Auf Seite 2: Wie Miller sein Philiosophiestudium beim Investieren hilft
Mr. Miller, bevor Sie Ihre Investmentkarriere starteten, haben Sie Philosophie studiert. Hilft Ihnen dieses Wissen nun in der Finanzbranche?
Oh ja, sehr. Wissen Sie,
wenn sich Menschen an neue Dinge
herantasten, sind sie in vielen Fällen
voreingenommen. Ein Beispiel ist
der sogenannte Confirmation Bias.
Sie gehen mit einer bestimmten
Sichtweise an einen Sachverhalt heran
und suchen nach allem, was
diese Sichtweise bestätigt. Sie beginnen,
Informationen zu filtern. Ist es
negative Information, geben Sie dieser
ein geringeres Gewicht als einer
positiven Information.
Und wie kommt jetzt die Philosophie
ins Spiel?
Dort geht man anders vor. Der Philosoph
sieht sich alle Gründe an, die
für oder gegen eine Sache sprechen.
Und dann überprüft er, ob die stärksten
Pro- und Contra-Argumente bereits
darunter sind. Man nimmt also
die Einwände der Gegner und
schaut, ob sie nicht einen viel stärkeren
vergessen haben. Hat man das
stärkste denkbare Argument gefunden,
blickt man wieder auf die Fürsprecherseite
und sucht dort nach
dem schlagkräftigsten Argument.
Das klingt sehr theoretisch. Haben
Sie ein konkretes Beispiel?
Ich nahm einmal an einer Diskussion mit Gus Sauter teil, der das ETF-Geschäft von Vanguard leitet. Sauter sagte, es gebe fünf Gründe, warum passive Investments besser seien als aktive. Und er brachte seine Argumente vor. Darauf entgegnete ich: Richtig, es gibt fünf Gründe, die für Indexinvestments sprechen. Aber Gus verkauft seinen Standpunkt schlecht. Denn mir fallen spontan sechs weitere Gründe ein, warum ETFs besser sind. Und ich erläuterte sie. Dann sagte ich: Und jetzt erkläre ich Ihnen, warum Sie dennoch auf einen aktiven Manager setzen sollten. Das ist einfach ein anderer Weg, sich einem Problem zu nähern.
Auf Seite 3: Auf welche Unternehmen Miller als Fondsmanager setzt
Und wie nähern Sie sich als Fondsmanager Ihren Investments?
Ich setze auf unterbewertete Unternehmen.
Dabei bin ich langfristig
ausgerichtet, geduldig und nehme
gern konträre Positionen ein.
Wie können die aussehen?
Ich suche zum Beispiel nach Unternehmen,
von denen ich glaube, dass
sie sich an einen weitaus größeren
Markt richten, als der Aktienkurs widerspiegelt.
Ein gutes Beispiel ist
Netflix.
Wir haben Aktien des Internet-
Filmanbieters 2012 für 60 Dollar
das Stück gekauft. Zu diesem Preis
war der Markt von Netflix mit ungefähr drei Milliarden Dollar bewertet.
Doch der weltweite Markt, den das
Unternehmen erschließen kann, ist
Hunderte von Milliarden Dollar
schwer. Heute ist die Aktie rund
480 Dollar wert, und die Börsianer
haben ihre Meinung zu dem Unternehmen
grundlegend geändert.
Nicht immer muss es bei Internetaktien
so gut laufen wie bei Netflix.
Ja, darum muss ich mir vor einem
Einstieg sicher sein, dass ein Unternehmen
seinen Markt dominiert.
Wie wollen Sie das denn in einem
frühen Stadium erkennen?
Zu diesem Thema gibt es interessante
Forschungsergebnisse. Kurz
zusammengefasst
besagen die, dass
man im frühesten Stadium einer alles
verändernden Technologie die
verschiedensten konkurrierenden
Ansätze hat. Nach einer Weile wird
sich eine dieser Technologien durchsetzen.
Und das muss nicht unbedingt
die beste sein. Ein schönes Beispiel
ist das Internetprotokoll. In den
frühen Tagen des Internets dachten
viele Experten: Was ist das denn für
eine plumpe, umständliche Art der
Datenübertragung? Da gibt es doch
viel bessere Wege. Am Ende spielte
das keine Rolle.
Wie erklärt die Forschung das?
Der Ökonom Brian Arthur hat als einer der Ersten das Konzept der Pfadabhängigkeit in der Wirtschaft beschrieben. Gerade bei neuen Technologien besteht großes Interesse vonseiten der Nutzer und Investoren, den Siegerstandard so schnell wie möglich zu ermitteln. Dadurch werden konkurrierende Ansätze rasch an den Rand gedrängt, und es kommt zu einer Lock-in-Situation. Das heißt, ein vielleicht wenig funktioneller Standard wird eingefroren, und alle weiteren Entwicklungen müssen auf ihm aufbauen. Wenn man diese Abläufe verstanden hat, kann man sehr früh in interessante Unternehmen investieren.
Auf Seite 4: Warum Miller - anders als Buffett - auf Bitcoins setzt
Neben Techfirmen haben es Ihnen auch Bitcoins angetan, wie zu lesen war.
Richtig, ich investiere privat in diese
virtuelle Währung. Warren Buffett
hält Bitcoins ja für wertlos. Nach seiner
Argumentation ist die Kryptowährung
zwar nützlich als Zahlungsmechanismus,
aber der Bitcoin
per se sei wertlos wie ein Papierscheck.
Meinen allergrößten Respekt
für Mister Buffett, aber hier
macht er einen Kategorienfehler,
wie die Philosophen sagen. Denn er
verkennt folgende Tatsache: Schecks
können in unbegrenzter Menge gedruckt
werden, aber die Zahl an maximal
möglichen Bitcoins ist auf
21 Millionen begrenzt.
Das heißt?
Wenn es nur 21 Millionen Schecks
auf der Welt gäbe, und Sie müssten Schecks nutzen, wäre jeder von
ihnen
zig Milliarden Dollar wert.
Aber weshalb sollte ich Bitcoins
nutzen wollen?
Sehen Sie, genau bei solchen skeptischen
Fragen beginne ich mich für
ein Thema zu interessieren. Denn
die Technologiegeschichte zeigt,
dass das oft der Anfang von gewaltigen
Umbrüchen war. Denken Sie nur
an Personal Computer: Wer braucht
so was, wurde am Anfang gefragt.
Und selbst namhafte Branchengrößen
schätzten den weltweiten Bedarf
für solche Geräte auf vielleicht
50 Stück. Heute amüsieren wir uns
über solche Prognosen.
Welche Story erkennen Sie hinter
Bitcoins, die andere nicht sehen?
Für mich sind Bitcoins in gewisser
Weise mit Gold vergleichbar. Es ist
eine unabhängige Währung, die keinem
staatlichen Einfluss unterliegt.
Der Preis wird von Angebot und
Nachfrage getrieben. Und man kann
mit ihnen bezahlen. Zwar erst vereinzelt,
aber die Möglichkeiten nehmen
zu. Der Punkt ist: Gold ist ein
Acht-Billionen-Dollar-Markt. Wenn
Bitcoins nur ein Zehntel der Bedeutung
von Gold erlangen, bedeutet
das einen Markt von 800 Milliarden
Dollar. Aktuell liegt das Volumen bei
sieben Milliarden Dollar.
Fondsmanager
und Philosoph
Bill Miller hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und ist Doktor der Philosophie. Er arbeitete als kaufmännischer Angestellter in der Industrie, bis ihm seine damalige Frau einen Job bei der Fondsgesellschaft Legg Mason vermittelte. Eine Leidenschaft für die Börse hatte Miller schon immer, daneben aber auch großes Interesse an Geistes- und Naturwissenschaften. So fördert er das Santa Fe Institute in New Mexico, das komplexe Systeme in Natur und Wirtschaft untersucht.