Herr Miller, bevor Sie Ihre Investmentkarriere starteten, haben Sie Philosophie studiert. Hilft Ihnen dieses Wissen nun in der Finanz- branche?

O ja, sehr. Wissen Sie, wenn sich Menschen an neue Dinge herantasten, sind sie in vielen Fällen voreingenommen. Ein Beispiel ist der soge- nannte Confirmation Bias. Sie gehen mit einer bestimmten Sichtweise an einen Sachverhalt heran und suchen nach allem, was diese Sichtweise be- stätigt. Sie beginnen, Informationen zu filtern. Ist es negative Information, geben sie dieser ein geringeres Gewicht als einer positiven Information.


Und wie kommt jetzt die Philosophie ins Spiel?

Dort geht man anders vor. Der Philosoph sieht sich alle Gründe an, die für oder gegen eine Sache sprechen. Und er überprüft, ob die stärksten Pro- und Contra-Argumente bereits darunter sind. Man nimmt also die Einwände der Gegner und schaut, ob sie nicht einen viel stärkeren vergessen haben. Hat man das stärkste denkbare Argument gefunden, blickt man wieder auf die Fürsprecherseite und sucht dort nach dem besten Argument.


Das klingt sehr theoretisch. Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Ich nahm einmal an einer Diskussion mit Gus Sauter teil, der das ETF-Geschäft von Vanguard leitet. Sauter sagte, es gebe fünf Gründe, warum passive Investments besser seien als aktive. Und er brachte seine Argumente vor. Darauf entgegnete ich: Richtig, es gibt fünf Gründe, die für Indexinvestments sprechen. Aber Gus verkauft seinen Standpunkt schlecht. Denn mir fallen spontan sechs weitere Gründe ein, warum ETFs besser sind. Und ich erläuterte sie. Dann sagte ich: Und jetzt erkläre ich Ihnen, warum Sie dennoch auf einen aktiven Manager setzen sollten. Das ist einfach ein anderer Weg, sich einem Problem zu nähern.


Und wie nähern Sie sich als Fondsmanager Ihren Investments?

Ich setze auf unterbewertete Unternehmen. Dabei bin ich langfristig ausgerichtet, geduldig und nehme gern konträre Positionen ein.


Wie können die aussehen?

Ich suche zum Beispiel nach Unternehmen, von denen ich glaube, dass sie sich an einen weitaus größeren Markt richten, als der Aktienkurs widerspiegelt. Ein gutes Beispiel ist Netflix. Wir haben Aktien des Internet-Filmanbieters 2012 für 60 Dollar das Stück gekauft. Zu diesem Preis war der Markt von Netflix mit ungefähr drei Milliarden Dollar bewertet. Doch der weltweite Markt, den das Unternehmen erschließen kann, ist Hunderte von Milliarden Dollar schwer. Heute ist die Aktie rund 480 Dollar wert, und die Börsianer haben ihre Meinung zu dem Unternehmen grundlegend geändert.


Nicht immer muss es bei Internetaktien so gut laufen wie bei Netflix.

Ja, darum muss ich mir vor einem Einstieg sicher sein, dass ein Un- ternehmen seinen Markt dominiert.


Wie wollen Sie das denn in einem frühen Stadium erkennen?

Zu diesem Thema gibt es interessante Forschungsergebnisse. Kurz zusammengefasst besagen die, dass man im frühesten Stadium einer alles verändernden Technologie die verschiedensten konkurrierenden Ansätze hat. Nach einer Weile wird sich eine dieser Technologien durchsetzen. Und das muss nicht unbedingt die beste sein. Ein schönes Beispiel ist das Internetprotokoll. In den frühen Tagen des Internets dachten viele Experten: Was ist das denn für eine plumpe, umständliche Art der Datenübertragung? Da gibt es doch viel bessere Wege. Am Ende spielte das keine Rolle.


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Wie erklärt die Forschung das?

Der Ökonom Brian Arthur hat als einer der Ersten das Konzept der Pfadabhängigkeit in der Wirtschaft beschrieben. Gerade bei neuen Technologien besteht großes Interesse vonseiten der Nutzer und Investoren, den Siegerstandard so schnell wie möglich zu ermitteln. Dadurch werden konkurrierende Ansätze rasch an den Rand gedrängt, und es kommt zu einer Lock-in-Situation. Das heißt, ein vielleicht wenig funktioneller Standard wird eingefroren und alle weiteren Entwicklungen müssen auf ihm aufbauen. Wenn man diese Abläufe ver- standen hat, kann man sehr früh in interessante Unternehmen investieren.


Neben Techfirmen haben es Ihnen auch Bitcoins angetan, wie zu lesen war.

Richtig, ich investiere privat in diese Währung. Warren Buffett hält Bitcoins für wertlos. Nach seiner Argumentation ist die Kryptowährung zwar nützlich als Zahlungsmechanismus, aber der Bitcoin per se sei wertlos wie ein Papierscheck. Meinen allergrößten Respekt für Herrn Buffett, aber hier macht er einen Kategorienfehler, wie die Philosophen sagen. Denn er verkennt folgende Tatsache: Schecks können in unbegrenzter Menge gedruckt werden, aber die Zahl an maximal möglichen Bitcoins ist auf 21 Millionen begrenzt.


Das heißt?

Wenn es nur 21 Millionen Schecks auf der Welt gäbe und Sie müssten Schecks nutzen, wäre jeder von ihnen zig Milliarden Dollar wert.


Aber weshalb sollte ich Bitcoins nutzen wollen?

Sehen Sie, genau bei solchen skeptischen Fragen beginne ich mich für ein Thema zu interessieren. Denn die Technologiegeschichte zeigt, dass das oft der Anfang von gewaltigen Umbrüchen war. Denken Sie nur an Personal Computer: Wer braucht so was, wurde am Anfang gefragt. Und selbst namhafte Branchengrößen schätzten den weltweiten Bedarf für solche Geräte auf vielleicht 50 Stück. Heute amüsieren wir uns über solche Prognosen.


Welche Story erkennen Sie hinter Bitcoins, die andere nicht sehen?

Für mich sind Bitcoins in gewisser Weise mit Gold vergleichbar. Es ist eine unabhängige Währung, die keinem staatlichen Einfluss unter- liegt. Der Preis wird von Angebot und Nachfrage getrieben. Und man kann damit bezahlen. Zwar erst vereinzelt, aber die Möglichkeiten nehmen zu. Der Punkt ist: Gold ist ein Acht-Billionen-Dollar-Markt. Wenn Bitcoins nur ein Zehntel der Bedeutung von Gold erlangen, be- deutet das einen Markt von 800 Milliarden. Aktuell liegt das Volumen bei sieben Milliarden Dollar.

Interview: Andreas Hohenadl