Analysten rechnen mit Milliarden-Einnahmen - auch Morphosys, Roche und Lilly steigen. Von Julia Groß
Rund elf Milliarden Euro an Börsenwert gewann das amerikanische Biotech-Unternehmen Biogen nach der Erfolgsmeldung, ein Kursplus von 40 Prozent. Die Aktie des Kooperationspartners Eisai sprang um 60 Prozent nach oben. Die Ergebnisse könnten einen Durchbruch in der Alzheimer-Behandlung bedeuten: Eine großangelegte Studie an rund 1800 Patienten mit Alzheimer im Frühstadium hat gezeigt, dass das Medikament Lecanemab den kognitiven und funktionellen Verfall im Vergleich zur Kontrollgruppe um 27 Prozent verlangsamt. Damit stehen den Entwicklern Biogen und Eisai möglicherweise Einnahmen in Milliardenhöhe bevor.
Lecanemab wäre das erste Medikament überhaupt, dass einen positiven Effekt auf den Verlauf der Demenzerkrankung hat. Die vollständigen Zulassungsanträge in den USA, Europa und Japan sollen bis Ende März 2023 eingereicht werden, in den USA hat Lecanemab bereits das Recht auf beschleunigte Begutachtung. Nach dem Desaster mit dem Vorgänger-Mittel Aduhelm, das sich aufgrund mangelhafter Belege für seine Wirksamkeit als kommerzieller Flop erwies, sind die neuen Daten ein Triumph für Biogen. In den vergangenen Jahrzehnten sind alle Versuche, ein Alzheimer-Medikament zu entwickeln, fehlgeschlagen. Biogen wurde an der Börse für das Festhalten an Produktkandidaten, die krankheitstypische Ablagerungen im Gehirn entfernen, hart abgestraft. Jetzt beeilen sich Analysten, neue Kursziele für die Aktie festzusetzen. Evan Seigermann von BMO Capital etwa erhöhte von 217 auf 360 Dollar.
Natürlich bleiben Fragen offen. Zwar deuten die wenigen bislang von Biogen veröffentlichten Daten, anders als beim Vorgänger Aduhelm, auf ein schlüssiges, statistisch signifkantes Wirkprofil hin. Dennoch dürfte es Diskussionen darüber geben, ob die Verlangsamung des Krankheitsfortschritt im Alltag für Patienten wirklich bedeutsam ist. Lecanemab verbessert oder stoppt die Krankheit nicht, und Analysten hatten sich einen größeren Abstand als 27 Prozent zur Kontrollgruppe erhofft. Die prozentuale Angabe entspricht nur einem Unterschied von 0,45 Punkten beim Diagnose-Test „CDR-SB“, der die Demenz mit Scores zwischen Null und 18 bewertet. Es gibt aber auch Potenzial für positive Überraschungen: Möglicherweise wird die Wirkung bei längerer Einnahme stärker. Die detaillierten Studienergebnisse werden auf einer Tagung am 29. November vorgestellt.
Anleger sollten mit dem Einstieg abwarten, in den kommenden Tagen dürfte es zu Gewinnmitnahmen kommen. Die Zulassung erscheint sicher. Wenn Biogen einen akzeptablen Preis fordert, dürfte der Konzern in den kommenden Jahren sehr gut an Lecanemab verdienen - vorausgesetzt, die Konkurrenz kann die Daten nicht toppen.
Das Ergebnis lässt auch andere Firmen hoffen, die Produktkandidaten aus der gleichen Wirkstoffklasse erforschen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für diese ist gestiegen, entsprechend zogen auch die Aktienkurse von Eli Lilly, Roche und Morphosys an. Insbesondere die Titel der Münchner profitierten nach zuletzt starken Kursverlusten. Sie haben zusammen mit Roche ein ähnliches Molekül in der Entwicklung, wobei ein Teil der möglichen Lizenzeinnahmen an Royalty Pharma verkauft wurde. Roche wird dazu ebenfalls Ende November Daten vorlegen. Heimlicher Gewinner der Alzheimer-Rally ist jedoch die kleine schwedische Firma Bioarctic, aus deren Labor Lecanemab ursprünglich stammt. Die Aktie konnte sich nach den News mehr als verdoppeln.