An der Goldgrube 12, so lautet die Adresse von Biontech in Mainz. Was das Einsammeln von Geld angeht, eine treffende Ortsbezeichnung: Das ohnehin exzellent finanzierte Biotech­unternehmen - in den vergangenen 22 Monaten hat Biontech rund 590 Millionen Euro bei Investoren eingeworben - sammelte diese Woche beim Börsengang an die Nasdaq noch einmal 136 Millionen Euro ein. Auch wenn Ausgabepreis und Volumen gesenkt werden mussten, ist das ein riesiger Erfolg.

Ob Biontech sich auch für Anleger als Goldgrube erweist, ist dagegen noch alles andere als klar. Die 2008 vom umtriebigen Mainzer Krebsforscher Ugur ­Sahin gegründete Firma gilt als einer der Vorreiter einer ganz neuen Strategie zur Bekämpfung von Krankheiten. Im Zen­trum steht dabei die "messenger-RNA" (mRNA), auf Deutsch "Boten-RNA". Die Moleküle sind so etwas wie Arbeitskopien des Erbguts.

Die im Zellkern verpackte DNA mit der berühmten Doppelhelix-Struktur enthält den Bauplan für alle Proteine, aus denen der menschliche Körper aufgebaut ist. In einer einzelnen Zelle wird jedoch nicht jedes dieser Eiweißmoleküle benötigt. Muskelzellen brauchen andere Bausteine als zum Beispiel Leber­zellen, jede Zelle stellt außerdem in unterschiedlichen Lebensstadien unterschiedliche Proteine her.

Nur gerade benötigte Baupläne werden daher abgelesen und in eine mRNA kopiert. Nach der darin enthaltenen Anleitung setzen die Proteinfabriken der Zellen komplexe Eiweißstrukturen zusammen - zum Beispiel auch Abwehrmoleküle des Immunsystems.

Riesiges Potenzial


Gelingt es nun, synthetisch hergestellte mRNAs in den Körper einzuschleusen, stellen Zellen die darauf kodierten Proteine her: beispielsweise Moleküle, die Patienten aufgrund einer Krankheit fehlen, Anti­körper oder Bausteine von Krankheitserregern, die wie eine Impfung wirken. Anstatt diese Stoffe von außen zuzuführen, bringt man also den Körper dazu, sie selbst zu produzieren.

Die Einsatzmöglichkeiten von mRNA-Medikamenten sind deshalb extrem vielseitig. Gleichzeitig wären sie potenziell schneller und billiger herzustellen als viele heute verfügbare Therapien. Außerdem können sie womöglich Stellen im Körper erreichen, die größeren Molekülen verschlossen bleiben. Und anders als bei einer Gentherapie kann die Behandlung problemlos gestoppt werden.

"Vor allem das potenzielle Spektrum an Anwendungen und Möglichkeiten hat großes Interesse am Börsengang von Biontech geweckt", sagt Mina Marmor, Senior-Portfoliomanagerin bei Sectoral Asset Management. Ähnlich war es auch beim US-Konkurrenten Moderna, dem im vergangenen Jahr mit einem Erlös von fast 550 Millionen Euro der größten Biotech-Börsengang aller Zeiten an der Nasdaq gelang. Sowohl Biontech als auch Moderna haben Partnerschaften mit diversen großen Pharmakonzernen, was einerseits die Anziehungskraft der Technologie, andererseits auch die Forschungsqualität der Firmen unterstreicht.

Doch das Engagement der Pharmariesen sollte Anleger nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die mRNA-Technologie noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung befindet. Viele institutionelle Investoren stiegen ein, als Moderna zeigen konnte, dass ihre mRNAs in Tierversuchen auch bei wiederholter Gabe keine Immunreaktion hervorriefen. Verlässliche Belege dafür, dass dies auch beim Menschen zutrifft oder dass die Therapien tatsächlich wie gewünscht wirken, stehen jedoch noch aus. Das dürfte auch zu den 38 Prozent Minus bei der Moderna-Aktie seit dem Börsengang beigetragen haben.

Die Amerikaner sind vor allem mit vielen mRNA-Impfstoffen am Start. Branchenexperten halten das für etwas weniger riskant als Biontechs aktuelle Konzentration auf Krebs-Vakzine, die teilweise individuell für einzelne Patienten angefertigt werden. Dafür haben die Mainzer zusätzlich aber auch Programme mit anderen Therapieansätzen ohne mRNA am Start. Wer zu diesem frühen Zeitpunkt auf die neue Technologie setzen will, kann deshalb ruhig kleine Positionen in beiden Aktien aufbauen. Das diversifiziert das erhebliche Risiko etwas. Denn wer von beiden wirklich an der Goldgrube sitzt, steht noch lange nicht fest.