Mehr als 30 000 Teilnehmer, rund 5000 Vorträge beziehungsweise Präsentationen - die jedes Jahr Anfang Juni stattfindende Konferenz der American Society for Clinical Oncology (ASCO) ist für Wissenschaftler, Mediziner und Investoren ein Event der Superlative. Und für Börsianer ist der ASCO-Kongress ein wichtiges Stimmungsbarometer: Klinische Ergebnisse, die Unternehmen im Vorfeld oder während der Konferenz veröffentlichen, bewegen die Aktienkurse.
So gab es etwa bei Loxo Oncology ein Kursfeuerwerk von mehr als 50 Prozent, nachdem die US-Firma exzellente Wirksamkeitsdaten für ihren Hoffnungsträger Loxo-101 präsentiert hatte. Der Wirkstoff blockiert das Protein TRK, das eine wichtige Rolle beim Entstehen von Tumoren spielt. Loxo-101 zeigte eine gute Wirksamkeit bei 76 Prozent sämtlicher Patienten aus den unterschiedlichsten Altersgruppen mit verschiedenen Tumorarten, die bereits Metastasen gebildet hatten. Auf Basis dieser Daten will Loxo bis Anfang 2018 einen Zulassungsantrag in den USA einreichen.
Bis Krebs zu einer chronischen oder gar heilbaren Krankheit wird, ist es noch ein langer Weg. Neue Therapieansätze, die direkt in den Krankheitsprozess eingreifen und die Lebensdauer deutlich verlängern, machen jedoch zunehmend Fortschritte. Immuntherapien nehmen hier eine Schlüsselrolle ein. Dabei wird das körpereigene Immunsystem dahingehend aktiviert, dass es die Tumorzellen identifiziert und ausschaltet. Entscheidend ist hier, die Immunzellen auf Antigene, also geeignete Angriffspunkte der Tumorzellen, zu programmieren.
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Maßgeschneiderte Arzneien
Angesichts der weltweit zunehmenden Zahl an Krebserkrankungen (siehe auch Grafik auf Seite 21) beziffert der Brancheninformationsdienst IMS Health das Umsatzpotenzial von immuntherapeutischen Arzneien für die nächsten zehn Jahre auf bis zu 35 Milliarden Dollar. Checkpoint-Inhibitoren zählen hier zu den Pionieren. Diese molekularen Substanzen heben zentrale Mechanismen der Immununterdrückung auf, mit denen es den Tumorzellen gelingt, sich der Enttarnung durch die körpereigenen T-Zellen zu entziehen. Pharmakonzerne wie Bristol-Myers Squibb oder Merck & Co. waren hier die Vorreiter mit den ersten zugelassenen Produkten. Jetzt geht es darum, in Kombination mit anderen immunonkologischen Verfahren die Wirkung zu optimieren. Diagnoseverfahren wie Biomarker ermöglichen es, die genetischen Mutationen der Krankheitsbilder von Krebsarten zu erkennen - und damit die Patientengruppen genauer einzugrenzen, bei denen Therapien anschlagen.
Je kleiner die Patientengruppen, desto größer die Chance für Biotechfirmen, Kosten für klinische Studien und die spätere Vermarktung allein zu stemmen. "Biotechs können mit neuen Therapien, die einen deutlichen Wirkungsvorteil gegenüber Wettbewerbern bieten, in bestimmten Nischenindikationen ein Quasi-Monopol ausüben", meint Mario Linimeier, Geschäftsführer von Medical Strategy.
Ein Beispiel sind CAR-T-Therapien. Dabei greifen die T-Zellen die Tumoren direkt an. Um das zu erreichen, werden den Patienten T-Zellen aus dem Blut entnommen, im Labor genetisch verändert, vermehrt und dann wieder per Infusion verabreicht. Die derart aufgeladenen Immunzellen erkennen die Tumorzellen und greifen diese an.
Das Hauptproblem dieses Ansatzes besteht darin, dass die veränderten T-Zellen das Immunsystem zu sehr anregen können. Als Folge können lebensbedrohliche Immunüberreaktionen auftreten. Hinzu kommen hohe Kosten für Behandlung und Produktion, die sich pro Patient auf 500 000 bis zu einer Million US-Dollar belaufen können.
Für Anleger sind die nächsten Wochen ein guter Zeitpunkt zum Einstieg, weil Investoren direkt nach der Konferenz zu Gewinnmitnahmen neigen. Mit Ausnahme unseres Favoriten Incyte schreiben unsere Kaufkandidaten noch rote Zahlen. Sie sind allesamt hochspekulative Depotbeimischungen.
Kite Pharma steht dieses Jahr vor der ersten Zulassung eines CAR-T-Produkts, das gegen eine Leukämieart gegeben wird. In derselben Medikamentenklasse lieferte auch Bluebird Bio starke klinische Daten auf der ASCO 2017. Die Aktie der US-Firma bleibt ein Kauf. Das gilt auch für Cellectis mit Sitz in Frankreich. Bei ihren CAR-T-Heilmitteln werden statt körpereigener fremde T-Zellen einbezogen. Diese erkennen das Antigen CD19 und bekämpfen die Tumorzellen.
Die US-Gesellschaft Tesaro verfolgt mit dem sogenannten PARP-Inhibitor Niraparib einen weiteren Ansatz, um das Tumorwachstum zu hemmen. Auf der ASCO zeigte Niraparib sehr gute Wirksamkeitsdaten als Kombinationstherapie gegen Eierstockkrebs. Damit erhöhen sich auch die Chancen, dass sich das Einsatzspektrum erweitert. Im März wurde Niraparib bereits zur Behandlung von Eierstockkrebs vorgeschlagen - für Patienten, bei denen Chemotherapien nicht mehr anschlagen.