Wenn beide Industriezweige enger zusammenwüchsen, böte dies ganz neue Möglichkeiten, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche am Dienstag auf dem Genfer Automobilsalon, der ersten großen Automobilmesse des Jahres in Europa. Die Fahrzeugbranche sei zugleich stark genug, nicht von der Digitalisierungswelle überrollt zu werden. "Wir heißen jeden Wettbewerber willkommen, wir haben keine Angst. Wir vertrauen auf unsere eigenen Stärken." Auch BMW-Chef Norbert Reithofer und VW-Konzernlenker Martin Winterkorn begrüßten eine Annäherung. Apple, Google & Co. könnten helfen, Mobilität und Digitalität zusammenzubringen.

Die lange auf PS und Verkaufszahlen fixierte Autobranche steht vor gewaltigen Umbrüchen: Da die Abgasvorschriften in aller Welt immer strenger werden, müssen die Hersteller mit Milliardenaufwand alternative Antriebe auf den Markt bringen. Doch die verwöhnte Kundschaft zeigt Elektroautos oft die kalte Schulter und kauft lieber teure und spritfressende Geländewagen. Und viele Junge lassen sich von der oft beschworenen Faszination Auto erst gar nicht mehr anstecken. Bei der Generation bis Mitte 30 habe das Automobil "als Statussymbol ausgedient, es wird zum Gebrauchsgegenstand", hieß es in einer Studie der Beratungsfirma Prophet.

Statt mit dem eigenem Wagen einfach von A nach B zu fahren, koordinieren viele Jüngere inzwischen lieber mit internetfähigen Alleskönner-Telefonen Car-Sharing, Bahn- und Busfahrten oder Mitfahrgelegenheiten. Für gut die Hälfte der in Deutschland befragten Verbraucher ist das neueste Smartphone inzwischen laut der Prophet-Studie weit wichtiger als das aktuellste Automodell. Dass die Fahrzeugbauer solche Entwicklungen mit Stirnrunzeln verfolgen, versteht sich von selbst, auch wenn sie angesichts von weltweit wachsenden Verkaufszahlen noch keine Angst vor dem Ende des privaten Pkw haben müssen.

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"KLARE GRENZEN AUFZEIGEN"

BMW -Chef Norbert Reithofer verglich die eigene Branche dennoch mit der Schreibmaschinen- oder Fotoindustrie, die in den vergangenen Jahren durch Neuentwicklungen wie Laptops und Digitalkameras an den Rand gedrängt wurden. Davor sei auch die stolze Automobilindustrie nicht gefeit. "Das geht am Anfang ganz langsam, und man unterschätzt das, und plötzlich geht die S-Kurve für die neue Technologie hoch." Die digitale Vernetzung von Fahrzeugen sei deshalb enorm wichtig.

Für Reithofer ist vor allem der US-Computergigant Apple ein Kandidat, der durchaus in der Lage sein könnte, die etablierte Autobranche umzukrempeln. Gerüchte und Berichte über Pläne des IT-Riesen aus dem Silicon Valley für ein Elektroauto zogen vor Kurzem die gesamte Branche in ihren Bann. Konzerne aus der High-Tech-Industrie könnten die Umbruchphase der Pkw-Bauer gezielt nutzen, um bestehende Geschäftsmodelle anzugreifen, hieß es in einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey.

BMW-Vorstandsmitglied Peter Schwarzenbauer rechnet mit einer neuen Arbeitsteilung: IT-Konzerne wie Google könnten in selbst fahrenden Autos künftig Online-Dienste anbieten. Funktionen, die unmittelbar mit Mobilität zu tun hätten, wie zum Beispiel Car-Sharing, dürften die Autobauer aber nicht aus der Hand geben. "Wir müssen klare Grenzen aufzeigen - wenn es um Mobilität geht, sind wir diejenigen, die das liefern."

Reithofer mahnte, die Branche dürfe die neue Konkurrenz nicht unterschätzen: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass Wettbewerber in Zukunft Autos bauen, die bisher noch nicht am Markt waren." Ein Beispiel ist Tesla. Der Elektroauto-Pionier aus den USA hat die herkömmlichen Autobauer nach Meinung von Experten mit seinen leistungsstarken Wagen überhaupt erst dazu gebracht, ernsthaft über Elektromobilität nachzudenken. Ob Apple oder Google tatsächlich in größerem Stil in die komplexe Pkw-Produktion einsteigen, wollen die Konzerne abwarten. VW-Chef Winterkorn sagte in Genf zwar, ein Auto bestehe nicht nur aus Digitaltechnik, sondern auch aus Mechanik. Allerdings stammen bei den klassischen Autobauern drei Viertel der Komponenten von Zulieferern. Von denen haben aber schon heute viele Abnehmer außerhalb der Autobranche.

Reuters