BÖRSE ONLINE: Kryptowährungen - allen voran der Bitcoin - befinden sich momentan in einer Rally. Setzt sich diese 2021 fort?
Timo Emden: Die Chancen stehen gut, dass sich die seit dem Corona-Crash bestehende Rally auch im nächsten Jahr weiter fortsetzen könnte.
Mit COVID-19 besteht ein entscheidender Trigger, welcher auch im Jahr 2021 für Engagements bei Kryptowährungen sorgen dürfte. Zudem liebäugeln vermehrt Unternehmen mit der Implementierung digitaler Devisen, wie etwa der Zahlungsdienstleister Paypal. Gleichzeitig wollen die Notenbanken Fed und EZB über die Einführung einer eigenen E-Währung entscheiden. Aus technischer als auch aus fundamentaler Sichtweise bleiben die Voraussetzungen damit positiv zu bewerten. Kurzfristig könnten nach wie vor jederzeit Gewinnmitnahmen und damit Rücksetzer einsetzen. Übergeordnet rechne ich aber mit einer Fortsetzung der Rally.
Wie unterscheidet sich diese Rally von der Rally 2017?
Die Gemengelage um Bitcoin und Co. gestaltet sich in diesem Jahr in vielerlei Hinsicht anders. Das institutionelle Interesse ist deutlich höher als im Vergleich zum Jahr 2017. Die Nachfrage durch spekulative Privatanleger fällt im Gegenzug signifikant geringer aus. Dies erklärt die vergleichsweise überschaubaren Kursaufstiege aber auch Kursverwerfungen. Zudem bleiben Hiobsbotschaften und damit größere Kurskapriolen aus. Im Jahr 2017 hatten verstärkt Botschaften über erfolgreiche Hackerangriffe auf Krypto-Börsen, Drohgebärden der Regulierungshüter über ein Verbot von Bitcoin und Co. beziehungsweise strengere Regulierungen größere Verkäufe ausgelöst. Diese bleiben in diesem Jahr aus. Anleger sehen etwaigen Negativschlagzeilen deutlich gelassener entgegen. All dies spricht für eine äußerst ungewöhnliche relative Stärke, welche sich nicht zuletzt im Kurs widerspiegelt.
Für den Bitcoin-Anstieg scheint derzeit keine Prognose zu hoch gegriffen. Bis Ende 2021 sind Kursziele von 100.000 bis 318.000 Dollar im Umlauf. Worauf stützen sich diese Einschätzungen und wie hoch kann der Bitcoin Ihrer Ansicht nach noch steigen?
Zum großen Teil stützen sich diese Kursziele darauf, dass der Bitcoin vor allem angesichts der expansiven Geldpolitik der US-Notenbank Fed in den kommenden Monaten und Jahren verstärkt als Wertaufbewahrungsmittel angesehen wird und im Vergleich zum Edelmetall Gold gleichwertig oder effizienter ist. Beschleunigt wurde diese Preisentwicklung durch die Coronavirus-Pandemie. Ein weiterer Punkt bleibt zudem das Bitcoin-Halving. Die Angebotsmenge wurde künstlich reduziert. Dies sorgt auf mittel- und langfristige Sicht für eine Angebotsverknappung. Während die Entwicklung der Geldmenge angepasst und reduziert wurde, erhöhen die Zentralbanken zum Vergleich ihre Bestände.
Derartig hohe Kursziele gelten für mich als weniger seriös und sind vor allem irreführend. Weniger erfahrene Anleger könnten so das Gefühl einer vermeintlich "sicheren Wette" erhalten, was nicht den Tatsachen entspricht. Im Gegenteil: Bitcoin und Co. sind und bleiben nicht für jedermann geeignet. Ich verweise in diesem Kontext lieber auf die Abwärtsrisiken.
Sehen wir hier nicht eine riesige Blase, die droht zu platzen?
Diese Gefahr besteht definitiv. Jedoch halte ich dieses Szenario für weniger wahrscheinlich, da Kryptowährungen deutlich erwachsener geworden und bereits an der Wall Street angekommen sind. Zahlreiche namhafte Unternehmen versuchen ihre Produktpalette zu erweitern und nehmen Bitcoin, Ether und Co auf. Dies führt dazu, dass vor allem institutionelle Investoren den Bitcoin wahrnehmen und mehr respektieren als noch im Jahr 2017. Ein Platzen einer Blase wie vor drei Jahren bleibt zwar möglich, halte ich aber für weniger wahrscheinlich.
Wie entwickeln sich Kryptowährungen jetzt weiter?
An erster Stelle sei gesagt, dass ein Großteil der Kryptowährungen einen stillen Tod erleiden und nicht überleben werden. Ein kleiner Teil, wie etwa die Top 10, gemessen an der Marktkapitalisierung und vereinzelt andere Währungen könnten sich langfristig etablieren. Grundsätzlich bleibe ich für die kommenden Monate optimistisch gestimmt. Die Börsenampeln in fundamentaler als auch in technische Hinsicht bleiben auf Grün.
Könnte es neue Anwendungsgebiete geben, die das Thema auch für private Investoren attraktiver machen?
Die Branche lebt und das Entwicklungsumfeld bleibt hochdynamisch. Es wird meiner Einschätzung nach nur eine Frage der Zeit sein, bis die teils zugrundeliegende Blockchain-Technologie im Alltag ankommt. Anwendungsfälle gibt es bereits jetzt sehr viele. Hierbei bleibt es insofern interessant, dass diese auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden und nicht nur auf dem Papier in der Schublade verstauben. Vor allem der Bereich der Mikrotranskationen, das Bezahlen an der Kasse oder im Parkhaus, könnte in den nächsten Jahren interessant werden. Hierbei dürfte der ohnehin bestehende digitaler Wandel durch die aktuelle Coronavirus-Pandemie nochmal beschleunigt werden. Kommen derartige Anwendungsfälle im Alltag beim Otto-Normalverbraucher an, erhalten diese auch größere Aufmerksamkeit.
Nicht zuletzt ein möglicher "E-Euro" dürfte die Thematik rund um die Technologie attraktiver gestalten. Schon bald könnte die Europäische Zentralbank Pläne kommunizieren und den Startschuss für ein derartiges Projekt abgeben. Im Sommer 2021 will der Währungshüter darüber eine Entscheidung fällen.
Was halten Sie von dieser seit vielen Jahren diskutierten Einführung einer Digitalwährung der Notenbanken?
Als ein Nutznießer der Debatten um die Einführung von digitalen Staatswährungen erweist sich zudem ebenfalls der Bitcoin. Während rund um den Globus über den Einsatz einer digitalen Währung gerätselt wird, können Bitcoin und Co. wieder vermehrt Aufmerksamkeit gewinnen, was die Preisfantasien der Anleger am Leben hält. Dass wichtige Notenbanken wie die Fed oder die EZB womöglich Pläne schmieden und mit der Implementierung eigener digitaler Währungen liebäugeln, lenkt das Interesse der Investoren ungewollt auf Bitcoin und Co. Die Spekulationen um eine Einführung einer digitalen Staatswährung dies- und jenseits des Atlantiks lässt Kryptowährungen an Attraktivität dazugewinnen. Die Debatten sind gleichzeitig bestes Marketing für bestehende Kryptowährungen. Vor dem Hintergrund, dass die EZB Mitte 2021 eine Entscheidung über die Einführung einer E-Währung treffen will, könnten die anhaltenden Spekulationen dem Bitcoin tendenziell weiter Rückenwind verleihen und immer wieder eine neue Rallye entfachen.
Der US-Zahlungsdienstleister Paypal hat sich für den Handel mit Bitcoins geöffnet. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Dass Paypal in der Krypto-Branche Fuß fassen will, erweist sich als Ritterschlag. Paypal-Kunden sollen ausgewählte Währungen wie Bitcoin, Ether, Bitcoin Cash oder Litecoin auf der Plattform verwenden können. Für die Branche erweist sich diese Neuigkeit als absoluter Glücksgriff. Angesichts der Corona-Pandemie sehen sich Staaten und Unternehmen weiterhin gezwungen, ein Umdenken im digitalen Zahlungsverkehr einzuleiten. Der Startschuss für die nächste Runde im Wettrennen in der Ära digitaler Währungen ist längst gefallen. Für die Branche könnte der Einstieg Paypals in das Krypto-Geschäft zudem Signalwirkung für andere Unternehmen haben, welche schon länger über die Implementierung digitaler Währungen grübeln. Diese könnten sich nun ermutigt fühlen, ähnliche Wege zu gehen. Der Eintritt Paypals in das Geschäft der digitalen Gelder darf bereits jetzt als das Highlight des Jahres angesehen werden.
Immer mehr Menschen interessieren sich für Investments in Krypto-Assets. Woran machen Sie diese zunehmende Nachfrage fest?
Das Interesse an Krypto-Assets würde ich tatsächlich aktuell weniger hoch einschätzen als im Jahr 2017. Unter anderem an den Suchanfragen bei "Google Trends" lässt sich dies erkennen. Hier machen die Anfragen nicht einmal die Hälfte des Interesses im zeitlichen Verlauf aus, als noch vor drei Jahren. Dies ist insofern zu erklären, dass das Interesse bei großen Adressen, sprich Hedgefonds, Family Offices und anderen deutlich gestiegen ist. Tatsächlich ist der Hype wie im Jahr 2017 nicht zu erkennen, was äußerst positiv für den Kurs zu bewerten ist, da sich weniger spekulative Anleger im Markt befinden, sondern verstärkt langfristig orientierte und überzeugte Marktteilnehmer. Unter anderem reicht auch ein Blick in die Tagespresse. Während der Bitcoin es während des Hypes stellenweise auf die erste Seite geschafft hatte, bleibt dieser bis dato nur eine Randerscheinung.
Ethereum wird für das neue Jahr ein großes Potenzial zugesprochen. Was ist Ihre Einschätzung?
Nach wie vor sorgt das Update um Ethereum 2.0 in der Community vielerorts für reichlich Gesprächsstoff. Mit Ethereum 2.0 ist womöglich das bis dato ambitionierteste Projekt gestartet, welches die Mannschaft um Co-Founder Vitalik Buterin an die Startlinie gebracht haben. Die Ethereum Blockchain soll damit langfristig vor allem sich in puncto Transaktionsvolumen signifikant verbessern. Damit sollen in Zukunft mehrere Tausend Transaktionen pro Sekunde abwickelbar sein.
Grundsätzlich profitiert Ether auch von einem Bitcoin-Boom. Steigt der Bitcoin, steigen tendenziell auch Währungen aus den hinteren Reihen, wie etwa Ether.
Auf welche Kryptowährung würden Sie 2021 setzen?
Für mich bleibt vor allem der Bitcoin interessant, da dieser womöglich auch im kommenden Jahr verstärkt als vermeintlich "sicherer Hafen" angesehen werden dürfte. Die Coronavirus-Pandemie dürfte uns noch eine ganze Weile begleiten und die hiesigen Notenbanken könnten ihre expansiven Maßnahmen verstärken.
Zudem könnten die Gedankenspiele der EZB und Fed um digitale E-Währungen den Bitcoin aber auch Währungen wie Ether oder Ripple interessant machen. Die Notenbanker könnten womöglich auf bereits bestehende Technologien zurückgreifen. Diese Gemengelage dürfte dem Bitcoin tendenziell in die Karten spielen. Zudem rechne ich damit, dass verstärkt Banken aber auch E-Commerce- und Digitalunternehmen über die Implementierung von Kryptowährungen nachdenken werden. Vor allem das Kryptoverwahrgeschäft könnte für den Bankensektor in den kommenden Jahren ein interessantes Geschäftsfeld bieten.