Chart 1 - DAX Intradaychart auf Fünf-Minuten-Basis
Der Verstand sagt, dass nach den steilen Kursgewinnen von mehr als 30 Prozent in nur vier Monaten ohne größere Korrektur der Spielraum nach oben stark beschränkt sein sollte. Zumindest ist das Chance-Risiko-Verhältnis für Neuinvestitionen längst nicht mehr so vorteilhaft wie noch beim letzten mittelfristigen Kaufsignal, dem Mitte Januar erfolgten Sprung über die Zone 10.000/10.100. Seitdem hat der Index in der Spitze schon wieder fast 1000 Zähler zugelegt (erkennbar im Chart auf der folgenden Seite).
Der Abstand des schnell gestiegenen Index zu seinem 200-Tage-Durchschnittskurs, der im laufenden Aufwärtstrend seit 2010 nie mehr als 13 bis 14 Prozent betragen hat, beläuft sich aktuell bereits wieder auf zwölfeinhalb Prozent (siehe Seite 3). Erst Ende Januar waren die Kurse nicht nur langfristig, sondern auch kurzfristig extrem heiß gelaufen, der DAX notierte acht Prozent über seinem Monatsdurchschnittskurs.
Nach solchen Übertreibungsphasen folgte in der Vergangenheit oft das ernüchterte Erwachen, wenn die Notierungen dann durch Gewinnmitnahmen ebenso stark in die Gegenrichtung ausgeschlagen haben. Zugegeben, der Markt hat gestern so hoch geschlossen wie noch nie. Doch den im Tagesverlauf des 3. Februar markierten Allzeit-Spitzenwert bei 10.984 verfehlten die Kurse um 30 Punkte, so nahe wollten sich Anleger jetzt noch nicht wieder an die 11.000er-Marke heran wagen. Soweit die Fakten, die gegen ein erneutes starkes Kursplus sprechen.
Dann ist da aber noch das unbestimmte Gefühl, dass die Rally ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Böse Zungen könnten von Gier sprechen, doch auch das ein oder andere Argument lässt sich dafür finden. So hat der Markt am Donnerstag erstmals wieder auch an einem Tag mit Kursgewinnen zugleich deutlich steigende Umsätze gezeigt (Chart auf Seite vier). Der Anstieg wird also nicht nur von Wenigen getragen. Dann wäre da noch der US-Leitindex S&P 500 (siehe Chart unten), der dem DAX oft gut messbar voraus läuft und gestern aus seiner seit Jahresanfang bestehenden Trading-Range nach oben ausgebrochen ist. Zuvor hatte der Index an die 200-Tage-Linie korrigiert, damit ist er auch nicht überhitzt und hat nun frisches Aufwärtspotenzial, da viele verkaufswillige Anleger ihre Anteile im Zuge der jüngsten Korrektur abgegeben haben dürften.
Und ein paar Punkte extra sind auf der Oberseite für den DAX immer drin, wenn das Umfeld günstig ist. Im zurückliegenden Jahrzehnt hatte der Index auch schon einmal Abstände von 20 Prozent zu seiner 200-Tage-Linie und mehr. Damit sind Kurse jenseits der 11.600er-Marke zumindest theoretisch wieder möglich. Der Ausbruch über die 11.000 könnte das Startsignal für den nächsten Aufwärtsimpuls liefern. Schon die Rückeroberung der Zone 10.800/10.830 war ein erstes positives Vorzeichen. Erst unterhalb 10.550/10.600 gerät die positive Prognose wieder ins Wackeln, doch davon ist der Index aktuell weit entfernt.
Um den Verstand nicht völlig auszuschalten, sollten Anleger mit kurzfristigem Zeithorizont einen Kompromiss eingehen: Neue Positionen sollten entweder nur an schwächeren Tagen, oder aber mit kleineren Summen eröffnet werden. Während in der Liebe oft nur alles oder nichts geht, gibt es an der Börse glücklicherweise auch eine stufenlos verschiebbare Grauzone zwischen Vernunft und Gefühl, je nach persönlicher Risikoneigung - Panikattacken bei fallenden Kursen gilt es zu vermeiden. Eine Auswahl passender Zertifikate finden Sie am Ende der Analyse (Seite 6).
Chart 2 - S&P 500 Tageschart
Tradesignal Online. Tradesignal® ist eine eingetragene Marke der Tradesignal GmbH. Nicht autorisierte Nutzung oder Missbrauch ist ausdrücklich verboten.
Chart 3 - Tageschart mit Abstand zur 21-Tage-Linie in %
Nach der starken Rally, die im Oktober 2014 startete, ist das Potenzial nach oben beschränkt. Der in den vergangenen Jahren gemessene maximale Abstand zur 21-Tage-Linie (dem Monatsdurchschnittskurs) des DAX beträgt knapp über neun Prozent - ein Extremwert, der im zurück liegenden Jahrzehnt nur in vier Fällen erreicht wurde, meist nach stärkeren Korrekturen. Zuletzt notierte der Index Ende Januar mehr als acht Prozent über seinem Durchschnitt, was bereits auf eine massive Überhitzung des Marktes hin deutet.
Das letzte Mal war der DAX im Herbst 2011 so überkauft. Damals schlugen die Kurse anschließend fast in gleichem Maße nach unten aus und fielen um 8 Prozent unter ihren Monatsmittelpreis. Umgerechnet auf das aktuelle Kursniveau ergäbe sich daraus beträchtliches Korrekturpotenzial bis fast an die 9700er-Marke. Es gibt zwar keine Wiederholungsgarantie, doch folgt auf eine Übertreibung in eine Richtung häufig auch ein stärkerer Ausschlag zur Gegenseite - das ist mehr oder weniger ein Gesetz der Marktphysik und lässt sich auch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen. Anleger mit längerem Zeithorizont sollten entsprechend vorsichtig agieren und nicht zwangsläufig jetzt frisches Kapital investieren. Es ist aus dem oben geschilderten Blickwinkel wahrscheinlich, dass wir auf absehbare Zeit noch einmal tiefere Indexstände zu sehen bekommen.
Chart 4 - Wochenchart mit Abstand zur 200-Tage-Linie
Wie weit kann es langfristig nach den neuen Allzeithochs nun noch gehen? Die Statistik hilft, diese Frage zu beantworten: Unter dem Kursverlauf des DAX haben wir im Wochenchart den Abstand der Kurse zur 200-Tage-Linie (entspricht etwa dem 40-Wochen-Durchschnitt) abgebildet. Mit dieser Methode lassen sich Kursziele auf der Oberseite bei maximal rund 11.000 bis 11.600 Zählern errechnen - diese Werte entsprechen den in der Vergangenheit im Idealfall gemessenen 14 bis 20 Prozent Abstand des Index zu seinem langfristigen Durchschnittspreis.
Zu Beginn des Jahrtausends waren es auch mal 33 Prozent und mehr - doch das sollten sich Anleger lieber nicht wünschen, auch wenn der DAX dadurch noch rechnerisches Potenzial bis jenseits der 12.800er-Marke hätte. Denn anschließend startete damals der dreijährige Abwärtstrend, im Zuge dessen sich der Indexstand fast viertelte.
Chart 5 - Kerzenchart auf Tagesbasis
Unterstützungen und Widerstände
Andreas Büchler ist Herausgeber des "Index-Radar", der größte tägliche Börsenstatistik-Report Deutschlands. Der Experte für Handelssysteme ist zudem Vorstand der Qarat AG, einer auf Quantitative Analyse und Algorithmic Trading spezialisierten Forschungsgesellschaft.
www.index-radar.de