Besser hätte Leon Goretzka den jüngsten Stimmungsumschwung in Deutschland nicht beschreiben können. "Es ist schön, dass wir jetzt mal wieder 82 Millionen Bundestrainer haben und nicht 82 Millionen Virologen", sagte der Nationalspieler am Rand der Fußball-Europameisterschaft (EM). Bis vor Kurzem hatten Corona-Schlagwörter wie Inzidenz, Impfstoff oder FFP2-Maske die öffentliche Debatte bestimmt. Vor dem Achtelfinalschlager gegen England (nach Redaktionsschluss) erhitzte die Frage die Gemüter, in welchem taktischen System das deutsche Team auflaufen sollte.

Spätestens mit dem EM-Finale am 11. Juli wird Bundestrainer Jogi Löw - 15 Jahre nach seinem Start als Chefcoach - abtreten. Noch ein Jahr länger saß Angela Merkel im Kanzleramt. Am 26. September stimmt Deutschland darüber ab, wer die Bundesrepublik in die Zukunft führt. Zwar dürften Investoren die Programme der Parteien studieren. Doch wenn es um die Depotaufstellung für das zweite Halbjahr geht, spielen andere Faktoren eine wichtigere Rolle. Dazu zählt auch und gerade die Pandemie. Die gefährliche Delta-Variante sorgt dafür, dass Anleger trotz steigender Impfquoten und sinkender Infektionszahlen an diesem Thema nicht vorbeikommen.

Inflation: Ein neuer Spieler

Zur Halbzeit 2021 überwiegen die positiven Vorzeichen. Egal ob DAX, ATX oder Euro Stoxx 50: Europaweit stehen häufig prozentual zweistellige Gewinne zu Buche. Allerdings ist die Rally zuletzt aus dem Tritt geraten. Mit dem Inflationsgespenst hat ein länger nicht gesehener Akteur das Börsenspielfeld betreten. In der Eurozone lag die Teuerung im Mai gerade noch im Bereich der Zielmarke von zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank (EZB) ausgegeben hat. Derweil sind die Konsumentenpreise in den USA mit einem Plus von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat weit über das Zwei-Prozent-Wunschniveau der Notenbank Fed hinausgeschossen.

Geldpolitik: Die Taktik bleibt offensiv

Noch geben sich die Währungshüter gelassen. Sowohl die EZB als auch die Fed erachten den Preisauftrieb als vorübergehend. Sie verweisen dabei unisono auf Basiseffekte im Zusammenhang mit den Lockdowns im letzten Jahr. Konsequenterweise haben beide Institutionen ihre expansive Gangart im Juni bestätigt. Neben dem Nullzins setzt die EZB auf das billionenschwere Notfallprogramm PEPP, um die Eurozone aus dem Corona-Tal zu führen. "Jede Diskussion über einen Ausstieg aus dem PEPP wäre voreilig, verfrüht", ist EZB-Präsidentin Christine Lagarde überzeugt.

Derweil ließ ihr US-Amtskollege Jerome Powell mit einer veränderten Wortwahl aufhorchen. Sofern der Aufschwung der weltgrößten Volkswirtschaft anhält, könnte ein Abschmelzen der Anleihekäufe, im Fachjargon "Tapering", bei den kommenden Sitzungen zum Thema werden. Während die Wall Street relativ gelassen auf dieses Statement reagierte, wertete der Dollar deutlich auf. Möglicherweise sah sich Powell deswegen dazu veranlasst nachzulegen. Jedenfalls betonte er bei einer Anhörung vor dem Kongress, dass sein Haus trotz des jüngsten Inflationsschubes Ruhe bewahren will.

Gespannt warten Beobachter nicht nur auf die nächsten Sitzungen von EZB und Fed. Zu einer Weichenstellung könnte es auch bei der Notenbankkonferenz in Jackson Hole Ende August kommen. Nachdem die Veranstaltung im Vorjahr virtuell ausgetragen worden war, kehren die Teilnehmer jetzt wieder vor die malerische Kulisse der Rocky Mountains zurück. Die US-Währungshüter haben das seit annähernd vier Jahrzehnten stattfindende Format schon öfter genutzt, um die Märkte auf einen Kurswechsel einzustimmen.

"Die Fed wird die Zinsen nicht zu früh erhöhen", erwartet Maximilian Kunkel, Chefanlagestratege der UBS für Deutschland. Zwar geht er davon aus, dass die US-Notenbank 2022 mit dem Tapering beginnen wird. Eine Normalisierung des Zinsniveaus ist dem Experten zufolge allerdings schon allein wegen der hohen Verschuldung in vielen Ländern nicht zu erwarten. Kunkel skizziert einen weiteren Treiber für die Aktienmärkte: "Wir haben einen oft unterschätzten Wirtschafts- und Gewinnaufschwung."

In der Tat machen sich die Corona-Lockerungen sowohl makro- als auch mikroökonomisch immer stärker bemerkbar. Im Juni ist der von IHS Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex für die Eurozone um 2,1 auf 59,2 Punkte gestiegen. Ab 50 Zählern signalisiert das Stimmungsbarometer Wachstum. "Angesichts der rasanten Nachfrage boomt die Eurozone wie seit 15 Jahren nicht mehr", kommentierte Chris Williamson, Chefökonom von Markit, die jüngste Umfrage. Der Aufschwung gewinnt zusehends an Breite und geht von der Industrie verstärkt auf den Dienstleistungssektor über.

Dazu passend haben die Analysten ihre Gewinnschätzungen deutlich nach oben geschraubt. Laut Factset lag das über einen Zeitraum von zwölf Monaten erwartete Ergebnis je Aktie für den DAX Ende 2020 bei umgerechnet 876 Indexpunkten. Mittlerweile traut der Konsens den 30 heimischen Large Caps einen kumulierten Überschuss von annähernd 1100 Zählern zu. Im bisherigen Jahresverlauf hat die Aufwärtsrevision die DAX-Performance übertroffen. Dementsprechend ist die Bewertung des Index geschrumpft.

Bewertung: Relativ in Ordnung

Laut Maximilian Kunkel handelt es sich hierbei keinesfalls um ein rein deutsches Phänomen. "Die Prognosen für die Gewinne sind global um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen", sagt der UBS-Experte. Entsprechend ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis vielerorts zurückgekommen. Kunkel macht keinen Hehl daraus, dass das absolute KGV bei so manchem Index im historischen Kontext hoch ausfällt. Gerade in Relation zum weiter notorisch tiefen risikolosen Zins kann er allerdings keine Übertreibung erkennen. "Wir sind für die Aktienmärkte weiterhin positiv", fasst der Stratege den UBS-Ausblick zusammen. Zu den Favoriten der Eidgenossen zählen zyklische Aktien und Unternehmen, die von den laufenden Wiedereröffnungen profitieren.

BÖRSE ONLINE setzt sowohl defensive als auch offensivere Anlagen auf die Favoritenliste. In der "11 für das zweite Halbjahr" stehen Aktien, Fonds sowie ein Zertifikat. Bei der "Kaderplanung" spielten neben der Form der Kandidaten zwei in den kommenden Monaten anstehende Ereignisse eine Rolle. Im Herbst stockt die Deutsche Börse den DAX um zehn auf 40 Mitglieder auf. Wir sind der Ansicht, dass die Reform ein weiteres Argument für den heimischen Leitindex als Ganzes liefert. Gleichzeitig stehen mit Symrise und Zalando zwei Aufstiegskandidaten in der Auswahl für das zweite Halbjahr.

Unter anderem die Weltklimakonferenz in Glasgow spricht dafür, dass der C02-Preis weiter steigt. Dort ringt die Staatengemeinschaft Anfang November um die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Möglicherweise hat CDU-Chef Armin Laschet in Schottland seinen ersten großen internationalen Auftritt als Kanzler. Wobei Annalena Baerbock alles daransetzen wird, als erste grüne Regierungschefin auf der globalen Bühne zu stehen. Möglicherweise kommen die beiden als Vertreter einer Koalition gemeinsam zum Gipfel. Immerhin 60,4 der 82 Millionen Deutschen haben hier - anders als bei der Corona-Bekämpfung und der Nationalmannschaft - tatsächlich ein Wörtchen mitzureden. Sie können wählen und damit einem spannungsgeladenen zweiten Halbjahr ihren Stempel aufdrücken.



Wichtige Termine:


26. bis 28. August
Jackson Hole: Seit 1982 kommen Währungshüter, Politiker und Inves toren zur Notenbankkonferenz in die Rocky Mountains. Fed-Präsident Jerome Powell könnte das Symposium in diesem Jahr nutzen, um den Weg in Richtung einer Straffung der Geldpolitik zu skizzieren.

26. September
Bundestagswahl 60,4 Millionen Wahlberechtigte stimmen über die künftige Zusammensetzung des Parlaments ab. Noch ist offen, ob Armin Laschet als Spitzenkandidat der Union ins Kanzleramt einzieht oder es zum Linksrutsch mit Regierungsbeteiligung der Grünen kommt.

31. Okt. bis 12. November
Weltklimakonferenz: Die Erderwärmung soll auf 1,5 Grad begrenzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen in Glasgow striktere Maßnahmen zur Reduzierung der C02-Emissionen beschlossen werden.

Siemens Balanced Fonds: Ein sicherer Rückhalt


Im September jährt sich die Auflage des Siemens Balanced zum 15. Mal. Erst in den vergangenen Jahren haben immer mehr Investoren die Leistung der Portfoliomanager für sich entdeckt. Der Mischfonds überzeugt mit einer stabilen Performance und niedrigen Gebühren. Aktuell liegt knapp ein Drittel des Vermögens in Aktien. Die Verantwortlichen setzen hier beispielsweise auf den Technologiekonzern Apple. Zu rund 64 Prozent ist der Fonds in Anleihen investiert.

Danone-Aktie: Pressing von außen


Auf Druck aktivistischer Investoren hat Danone den Chef vor der Tür gesetzt. Mitte September übernimmt Antoine de Saint-Affrique beim Molkereigiganten den Posten als CEO. Er hat in seiner Zeit beim Schokoladenhersteller Barry Callebaut gezeigt, wie man ein globales Nahrungsmittelunter- nehmen auf Wachstum trimmt. Der Ehrgeiz, diesen Erfolg zu wiederholen, sorgt bei der Danone-Aktie bereits für mehr Schwung. Wir trauen dem Large Cap viel mehr zu.

Deutsche Börse-Aktie: Zeit für mehr Tiefe


Im September ist es so weit, der DAX wird um zehn auf 40 Mitglieder aufgestockt. Die Vergrößerung ist das Kernelement einer Reform, mit der die Deutsche Börse ihr Leitbarometer noch mehr an die internationalen Gepflogenheiten anpassen will. Verstecken braucht sich der DAX schon jetzt nicht. Neben der Zusammensetzung gilt das auch für Performance und Bewertung. - im globalen Vergleich sind die heimischen Large Caps relativ günstig zu haben.

Deutsche Telekom-Aktie: Jede Menge Ehrgeiz


Stabile Dividenden und ein relativ konjunkturunabhängiges Geschäftsmodell machen die Deutsche Telekom eigentlich zum defensiven Investment. Das Unternehmen zeigt jedoch auch Offensivqualitäten. Vorstandschef Tim Höttges hat dem Konzern ehrgeizige Wachstumsziele verpasst. Neben der Tochter T-Mobilie US soll der Über- gang in das 5G-Zeitalter für Schwung sorgen. Börsianer jubeln, die T-Aktie notiert auf dem höchsten Niveau seit vier Jahren.

IBM-Aktie: Das Spiel beginnt neu


Bis Ende 2021 will IBM den Bereich Netzwerkdienstleistungen abspalten. Im Kern wird sich der Technologiekonzern fortan auf das Software-und Cloud-Geschäft konzentrieren. An der Wall Street dürfte für "Big Blue" danach eine Art neues Spiel beginnen. Als fokussierter Akteur in einem Wachstumsmarkt verdient die IBM-Aktie eine deutlich höhere Bewertung. Durch- schimmern sollten die Stärken bereits in den Zahlen für das zweite Quartal.

DWS Group-Aktie: Vielfalt im Mittelfeld


DWS Group öffnet Anlegern mit seinen Fonds das gesamte Kapitalmarktspektrum. Wobei die in der Corona-Zeit aufgekommene Börseneuphorie vor allem das Geschäft mit Exchange Traded Funds hat florieren lassen. Die Deutsche-Bank-Tochter will das eigene Wachstum mit Übernahmen zusätzlich forcieren. Neben den Offensivtugenden lockt die DWS-Aktie gut drei Jahre nach ihrem Börsendebüt mit einer Dividendenrendite von 4,9 Prozent.

Apple-Aktie: Der nächste Vorstoß


Unbestätigten Meldungen zufolge arbeitet Apple an einem autonom fahrenden Pkw. 2024 soll das Fahrzeug auf den Markt kommen und nebenbei die Akkutechnologie revolutionieren. Zuzutrauen ist dem iPhone- Konzern diese Offensive angesichts prall gefüllter Kassen allemal. Ungeachtet dessen holt die Apple-Aktie gerade zum nächsten Vorstoß aus - sie lebt davon, dass die bestehenden Geräte und Dienstleistungen der Kalifornier mehr denn je gefragt sind.

Symrise-Aktie: Torriecher für den DAX

Symrise zählt zu den Aufstiegskandidaten, wenn der DAX im Herbst um zehn Aktien erweitert wird. Der Hersteller von Geschmacksstoffen und Aromen würde den Leitindex um ein diversifiziertes und krisen- festes Geschäftsmodell erweitern. Konsumriesen wie Unilever oder Colgate-Palmolive kaufen bei Symrise genauso ein wie die Parfümsparte des Luxusriesen LVMH. Wenngleich die Aktie nicht günstig ist, trauen wir ihr deutlich höhere Kurse zu.

CO2 Future: Ein neuer Offensivstar


Verschärfte Klimaziele und eine anziehende Konjunktur haben den C02-Preis im ersten Halbjahr abheben lassen. Es gibt gute Gründe für eine Fortsetzung der Rally. Im Juli will die EU ihre Reformpläne für das Handelssystem vorstellen. Sie dürfte die Verknappung der Verschmutzungsrechte forcieren. Für Fantasie sorgt zudem der Klimagipfel im November. Per Zertifikat können sich Anleger den ziemlich volatilen C02-Kontrakt ins Depot holen.

Varta-Aktie: Flinkes Energiebündel


Ende März kündigte Varta mit der Entwicklung einer Lithium-Ionen-Rundzelle den Vorstoß in das Wachstumsfeld E-Mobilität an. Keine drei Monate später hat mit Porsche ein prominenter Kunde zugegriffen. Die Hochleistungsbatterien können in den Modellen Taycan und 911 verbaut werden. Während Varta hier am Anfang steht, läuft das Kerngeschäft mit Lithium-Ionen-Zellen auf Hochtouren. Kurzum: Diese Aktie hat noch jede Menge Strom im Akku.

Zalando-Aktie: Ein echter Volltreffer


Europas größter Online-Modehändler baut das Kosmetikgeschäft aus. Über eine Kooperation mit der französischen Firma Sephora holt Zalando mehrere Tausend Artikel auf seine Plattform. Ausgehend von Deutschland im vierten Quartal sollen nach und nach immer mehr der rund 42 Millionen Zalando-Kunden Zugriff auf dieses Sortiment haben. Die E-Commerce-Aktie hat ihre Formschwäche zu Recht abgelegt und drängt mit viel Momentum in den DAX.