Inmitten der allgemeinen Turbulenzen weltweit ist auch die aktuelle Edwards-Publikation gefragt, in der er die Prognose einer Börsen-Eiszeit bekräftigt und einen Rückfall des S&P 500 auf Stände wie im März 2009 nicht ausschließt.

Der Einbruch der Renditen bei vielen langlaufenden Staatsanleihen auf unter Null hat laut Albert Edwards bei vielen Kunden der Société Générale den Eindruck bestätigt, dass die nächste Phase im Zuge der von ihm vertretenen Eiszeit-These erreicht ist. Wie der Anlagestratege bei der französischen Großbank einräumt, wüssten die Kunden auch, dass seine depressiven Vorhersagen mit Blick auf die Aussichten an den Finanzmärkten vielfach unstrittig zu früh gekommen seien. Doch gleichzeitig sei man sich auf Kundenseite darüber bewusst, dass die Prognosen jederzeit auch sehr schnell doch noch Wirklichkeit werden könnten.

In einer aktuellen Publikation hat es sich Edwards auf vielfachen Wunsch der Kunden hin deshalb zur Aufgabe gemacht, seine Grundüberlegungen zur Ice Age-These noch einmal auszuführen und den Anleger zu erklären, warum sie insbesondere bei Aktien auf potenziell katastrophalen Folgen achten sollten.

Bei seinen Ausführungen erinnert Edwards zunächst daran, dass es bei der Ice Age-These nicht nur, aber auch um die Japanifizierung der westlichen Volkswirtschaften geht, bei der Inflation und Anleiherenditen angesichts zunehmender politischer Impotenz auf Null sinken. Als er seine These 1996 erstmals formulierte, nahm er an, dass die USA und Europa bald eine säkulare Herabstufung ihrer Aktien im japanischen Stil erleben würden.

Diese Prognose sei allerdings nicht so schnell aufgegangen wie von ihm zunächst angenommen und sich stattdessen eine deutliche zeitliche Verzögerung ergeben habe. Der dafür wiederum verantwortliche Hauptfehler dürfte laut Edwards daran bestanden haben, dass er davon ausging, dass die US-Konjunktur nach der Weltfinanzkrise 2008 wieder zu Konjunkturzyklen mit kürzeren Laufzeiten (normale Konjunkturzyklen mit Längen von gut 40 Monaten) zurückkehren würde.

Der US- Konjunkturzyklus ist wieder länger und nicht kürzer geworden


Quellen: NBER, Société Générale



Wäre die Annahme richtig gewesen, hätten stärkere Schwankungen bei den Gewinnen zu steigenden Risikoprämien bei Aktien geführt. Aber so sei es bekanntlich nicht gekommen und stattdessen würden die USA derzeit mit 122 Monaten den längsten Konjunkturzyklus in ihrer Geschichte genießen. Die zuletzt ausgebliebenen Rezessionen seien der Grund dafür, warum seine negativen Prognosen zu den Aktien nicht aufgegangen seien.

Quantitativen Lockerungspolitik bremsen die Eiszeit-Theorie zuletzt etwas aus

Nach dieser Bestandsaufnahme stellt sich Edwards die Frage, wo wir aktuell stehen. Bei seiner Antwort hält der Anlagestratege zunächst fest, dass sich der Teil zu den Anleiheprognosen in der Ice Age-These wie erwartet sehr gut entwickelt habe (siehe Grafik). Dagegen seien die US-Aktienrenditen nicht der in dem Chart gestrichelt rot eingezeichneten Linie nach dem japanischen Vorbild gefolgt. Letztlich sei diese Divergenz nur auf die von der US-Notenbank durchgeführten quantitativen Lockerungspolitik zurückzuführen. Denn diese habe die Vermögenspreise aufgeblasen und dazu geführt, dass sich die Aktienrendite (inverses KGV) nicht nach oben, sondern nach unten entwickelt habe.

In den USA gehen seit 2012 sinkende Aktienrenditen wieder mit sinkenden Anleiherenditen einher - laut Edwards ist dahinter QE der wichtigste Treiber


Quellen: Datastream, Société Générale



Damit lautet gemäß Edwards die entscheidende Frage nun, was bei der nächsten Rezession passiert. Werden die Aktienrenditen weiter sinken und die KGVs damit steigen oder so wie es Edwards vermutet, ein Abgleiten in die Rezession wieder von einem Platzen von Kredit- und Vermögensblasen begleitet sein. Basierend auf dieser These bleibt der Stratege auch dabei, dass der US-Aktienmarkt in der nächsten Rezession auf ein neues Tief fallen wird, da die Anleger eine weitere kreditinduzierte, wirtschaftliche Implosion erleben werden.

Optimisten könnten dagegen natürlich einwenden, dass mit Hilfe des Mittels von Hubschraubergeld, von dessen Einsatz auch Edwards im Falle eines deflationären Impulses ausgeht, damit hilft, den Kursabstieg an den Aktienmärkten abzufedern? Aber auch Dran glaubt Edwards nicht. Denn es sei nicht zu erwarten, dass die nächste Rezession sich von der letzten unterscheiden werde und da seien die Aktiennotierungen trotz massiver monetärer Impulse zusammengebrochen.

Bei einer Rezession geht Edwards von neuen Runden mit quantitativen Lockerungen und/oder Helikoptergeld aus, wobei auch die Modern Monetary Theory als verzweifelte Lösung Einsatz finden dürfte, um den wirtschaftlichen Einbruch auszubügeln. Es sei jedoch keineswegs gewährleistet, dass diese Liquidität in Aktien oder sonstiges Risikoaktiva fließe, solange der wirtschaftliche Abschwung in vollem Gange ist. Wie auch frühere Beispiele gezeigt hätten, dürfte viel von der Liquidität zunächst in den Momentum-Handel fließen und das dürften dann höchstwahrscheinlich Staatsanleihen sein.

Wenn er mit dieser Einschätzung Recht habe, dann sei es besonders problematisch, dass die US-Aktienbewertungen sich gemessen an verschiedenen Kriterien in extrem hohen Bereichen bewegten. Eine meiner Lieblingsdatenquellen ist die Website von Advisor Perspectives, die einige sehr aktuelle und langfristige Bewertungscharts enthält. So zeige der nächste Chart, dass sich der S&P Composite Index um 119 Prozent über seinem gemessen an dem bis 1871 zurückgerechneten realen (inflationsbereinigten) Monatsdurchschnitt bewege.

Entwicklung des S&P Composite Index seit 1871 auf inflationsbereinigter Monatsdurchschnittsbasis


Quellen: Advisor Perspectives, Société Générale



Auch andere, allerdings anders als im ersten Beispiel zeitlich nicht ganz so lange zurückreichenden Bewertungsindikatoren wie Tobin's Q (Börsenwert / Wiederbeschaffungskosten der Vermögenswerte) oder das von Warren Buffett favorisierte Verhältnis der Marktkapitalisierung aller US-Aktien geteilt durch das Bruttoinlandsprodukt bewegten sich auf historisch betrachtet hohen Niveaus. Wenn er mit seiner Einschätzung richtig liege, müssten sich Anleger in der nächsten Rezession auch deshalb auf einen weiteren spektakulären Einbruch der Aktienmärkte einstellen. Dieser werde dazu führen, dass der S&P Composite unter das Tief vom März 2009 von 666 Punkten fällt - das wäre ein Minus von 77,8 Prozent.

Quantitativen Lockerungspolitik bremsen die Eiszeit-Theorie zuletzt etwas aus

Dann stellt Edwards bei seinen Betrachtungen auch noch auf das so genannte Fed-Modell ab. Dieses sei in den 1980er- und 1990er-Jahren ein wichtiges Instrument bei der Asset Allocation gewesen. Die Annahme dabei habe gelautet, dass das Verhältnis der zehnjährigen US-Anleiherenditen und dem inversen KGV sich bei einem Stand von 1,0 in einer Art Gleichgewicht befinde, da die Relation in der Vergangenheit abgesehen zu Blasenperioden zumeist um diesen Wert geschwankt habe.

Edwards vertrat allerdings bereits 1996 die These, dass im Zuge der von ihm erwarteten Eiszeit dieses Verhältnis immer niedriger werden würde, weil Aktien gegenüber Anleihen abwerten dürften. Und wie der nachfolgende Chart zeigt, ist es dazu auch in der Tat gekommen. Ab 2012 habe sich die Lage zwar stabilisiert, was erneut auf den Einfluss der quantitativen Lockerung zurückzuführen sei, aber im Zuge der nächsten Rezession geht Edwards davon aus, dass sich diese Relation auf einem neuen Tief wiederfinden wird.

Entwicklung des Fed-Modells


Quellen: Datastream, Société Générale



Aus dem nachfolgenden Chart ist laut Edwards außerdem zu ersehen, dass die nominale Anleiherendite zur Aktienrendite (Verwendung finden hier allerdings die Dividendenrenditen) langfristig nicht immer stabil war, wenn man bis in die 1950er-Jahre zurückblickt. Vielmehr sei der Zeitraum von 1982-2000 eine Anomalie im längerfristigen Kontext gewesen. Eine der grundlegendsten und wichtigsten Prognose im Zuge der Eiszeit-Theorie sei es gewesen, dass wir in eine Welt zurückkehren würden, in der die Aktienrendite wieder über die der Anleiherendite steigen und auch über ihr bleiben werden. Denn aus der Sicht von Edwards war die Periode 1965-2000 eine Anomalie. Während also andere Marktbeobachter zuletzt überrascht festgestellt hätten, dass die Rendite der 30-jährigen US-Staatsanleihen unter die Dividendenrendite gefallen sind, hält Edwards dies für die ganz natürliche Ordnung.

Verhältnis der zehnjährigen US-Anleiherendite und der S&P-Dividendenrendite


Quellen: Datastream, Société Générale



Darüber hinaus versucht Edwards eine weitere Parallele zur Eiszeit in Japan herzustellen, wenngleich er einräumt, dass es verglichen mit den USA große Unterschiede gebe. Dazu zählten die Demografie, die Tatsache, dass die Fed als aggressiver als die Bank von Japan agiere und die USA vom Status des Dollar als Reservewährung profitierten. Merkwürdig dabei sei jedoch, dass die historischen Cashflow-Renditen in den USA einen ähnlichen Weg wie jene in Japan eingeschlagen hätten. Auch hier hätten die quantitativen Lockerungen zuletzt den übergeordneten Trend wieder etwas unterbrochen, aber die jüngsten Daten deuteten darauf hin, dass dieser bald wieder aufgenommen werde.

Verhältnis von Anleihen und Aktien-Cashflow-Renditen: Die USA sind Japan überraschend dicht auf den Fersen


Quellen: Datastream, Société Générale


In einer echten Eiszeit stützen tiefe Anleiherenditen die Aktien-KGVs nicht mehr

Seine wichtigste These im Rahmen der Eiszeit-Theorie sei es gewesen, dass niedrigere Anleiherenditen, welche die KGVs in den 90er-Jahren noch in die Höhe getrieben hatten, künftig nicht mehr die gleiche Arbeit leisten werden. Denn in einer Welt nach der Blase würden die KGVs trotz weiter sinkender Anleiherenditen sinken, so seine Annahme.

Vereinfacht formuliert basiere diese Vorhersage auf der Prognose, dass ein volatilerer und unkontrollierbarerer Konjunkturzyklus nach der Blase die Risikoprämien bei Aktien höher treiben (geringere KGVs) und gleichzeitig deflationäre Rahmenbedingungen die langfristigen Erwartungen zum Gewinnwachstum dämpfen und sie mehr in Richtung des nominalen BIP-Wachstum drücken, was ebenfalls für niedrigere KGVs sprechen würde).

In einer Eiszeit würde demnach die KGV-Kompression aufgrund sinkender langfristiger Gewinnschätzungen und steigender zyklischer Risikoprämien schwerer wiegen als die Kraft, die von sinkenden Anleiherenditen in Richtung steigender KGVs ausgehe. Gleichzeitig habe die Praxis aber auch gezeigt, dass eine zyklische Konjunkturerholung zu einer Pause oder sogar einer Umkehrung bei den beiden skizzierten Faktoren führen können, welche laut Edwards die KGVs eigentlich drücken sollten. Und je länger sich die wirtschaftliche Erholung fortsetze, desto mehr würden die Märkte glauben, dass eine Rückkehr zur Normalität gelinge und umso leichter falle es, die Eiszeit-Theorie zu ignorieren. Genau das sei in den vergangenen Jahren, mit Hilfe der quantitativen Lockerungen passiert.

Die folgende Grafik zeige, dass die langfristigen Gewinnerwartungen in den USA zuletzt genau das getan hätten, was auch Ende der 1990er Jahre während der Nasdaq-Blase passierte. Nur sei der Glaube an den aktuellen Bullenmarkt geprägt von neuen Technologien, wie sie von den großkapitalisierten FAANGs (Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google von Alphabet) repräsentiert werden und nicht durch die Technologie-Medien- und Telekom-Branchen im Allgemeinen, so wie das Ende der 199034 -Jahre der Fall gewesen ist.

Während der Nasdaq-Blase Ende der 1990er-Jahre rechtfertigte Greenspan hohe KGVs mit hohe langfristige Gewinnwachstums-Erwartungen


Quellen: Datastream, Société Générale


Den Unternehmensgewinnen droht bei einer Rezession ein Einbruch

Aufgrund der außergewöhnlichen Länge dieses Konjunkturzyklus seien die Sorgen um die Volatilität des Zyklus vorübergehend ausgeräumt worden. Sie werden laut Edwards zweifellos mit Nachdruck in der nächsten Rezession wieder auftauchen. Das Gleiche gelte für die langfristigen Erwartungen bei den Gewinnen je Aktie. Diese würden wie Ende der 90er Jahre dazu beitragen, die KGVs hoch zu halten. Dabei laute allgemein das Argument, die Bewertungen seien gerechtfertigt, weil der US-Aktienmarkt voll sei mit Wachstumswerten wie den so genannten FAANGS, was hohe Bewertungsprämien rechtfertige. Edwards erinnert aber daran, dass genau das auch im Jahr 2000 gesagt wurde.

Die Prämien von Wachstumswerten gegenüber zyklischen Werten bewegten sich in Extrembereichen, die seit 2000 nicht mehr zu beobachten gewesen seien. Der Markt habe alles das, was er für sicher und nicht zyklisch hält, entsprechend den sinkenden Anleiherenditen neu bewertet. In diesem Zusammenhang verweist Edwards auch auf eine Aussage seines Kollegen Andrew Lapthorne, der kürzlich folgendes schrieb: "Wachstumsaktien, die wir oft einfach als zu junge Aktien bezeichnen, um eine Rezession erlebt zu haben, können auch bisher unbekannte Nachteile verbergen. Tatsächlich gab es während der TMT-Blase viele Zykliker, die sich als Wachstumswerte ausgaben, und heute gibt es eine lange Liste von (manchmal sehr großen) Unternehmen, die während der letzten Rezession noch nicht dabei waren. Ihre Sensibilität bei einem wirtschaftlichen Abschwung ist dadurch oft unbekannt."

Lapthorne hat passend dazu auch den nachfolgenden Chart kreiert, der auf dem FT World Universum der Aktien aus entwickelten Ländern basiert. Der Chart zeigt den prozentualen Anteil jener Aktien mit einer Kurshistorie von weniger als zehn Jahren. Demnach ist es derzeit so, dass es so viele börsennotierte Aktien wie noch nie gibt, die noch keine Rezession erlebt haben.

Prozentualer Anteil jener Aktien mit einer Kurshistorie von weniger als zehn Jahren


Quelle: SG Quant


Edwards ist der Ansicht, dass wir erst in der nächsten Rezession herausfinden werden, welche der derzeit benannten Wachstumswerte einfach zyklische Werte sind, die sich derzeit noch als Wachstumswerte ausgeben. Wie viele das seien, wisse er selbst nicht und auch sonst niemand mit Gewissheit. Allerdings wisse er eines aus Erfahrungen mit dem Nasdaq-Zusammenbruch im Jahr 2000: Wenn sich ein Unternehmen, das als Wachstumswert für augenfällig hohe Multiplikatoren bewertet wurde, als zyklischer Betrüger herausstellt, bricht diese Aktie zusammen, da sowohl die Erträge als auch die zyklische Risikoprämie schnell neu bewertet werden.

Trotz des jüngsten Rückgangs lägen die langfristigen Erwartungen beim S&P in Sachen Gewinne je Aktie noch immer weit über dem nominalen BIP und insbesondere auch über dem Wachstum der Gewinne der Gesamtwirtschaft (siehe nächste Grafik). Im Zuge einer Rezession sei zu erwarten, dass die gestrichelte Linie in dem Chart stark nach unten geht, so wie das in den beiden letzten Rezessionen (schattierte Bereiche) der Fall gewesen sei. Das sie der Zeitpunkt, an dem man die Aktienkurse werde schmelzen sehen.

Die langfristigen Gewinne pro Aktie bewegen sich beim S&P weit über dem nominalen BIP-Wachstum und dem Wachstum der Gewinne der Gesamtwirtschaft


Quellen: Datastream, Société Générale


Abschließend erklärt Edwards auch noch, wie er darauf kommt, dass der S&P wieder unter sein Tief von 666 Punkten vom März 2009 fallen könnte? Das sei im Grunde ganz einfach, weil er annimmt, dass das KGV auf Basis der Gewinne für die kommenden zwölf Monate auf ein neues niedrigeres Tief sinken wird. Denn auf dem Höhepunkt einer Baisse, während des Sturms, werde bei der Bewertung die Talsohle erreicht. In der nächsten Rezession, sofern sich die Kräfte der Ice Age-These mit dem zyklischen Chaos einer globalen Finanzkrise verbinden, dass sich das geschätzte KGV von zuletzt 16,5 auf nur noch rund sieben zurückbildet. Im Zuge dessen dürfte es auch mit den Gewinnschätzungen um rund 40 Prozent auf nur noch 100 Dollar zurückgehen.

Hinzu kämen die Auswirkungen eines Vertrauensverlustes gegenüber der Fed (so wie es in Japan einen Vertrauensverlust gegenüber der Bank von Japan und dem Finanzministerium gegeben habe). Zusammengefasst sei so gesehen die Annahme eines Rückgangs unter das Tief vom März 2009 gar nicht so unrealistisch. Am Ende schreibt Edwards zwar noch, dass er hofft, sich zu irren, doch er befürchte, dass er letztlich Recht behalten wird.