Als Axel Weber, Präsident der Schweizer Großbank UBS, seine Befürchtungen äußerte, stand der DAX noch weit über 13.000 Punkten. Das war am Wochenende vor den Faschingstagen. Weber weilte zu dieser Zeit auf dem G20-Treffen in Riad und warnte in einem Interview davor, dass die Finanzmärkte die Risiken des Coronavirus unterschätzten.

"Es wird eine ganze Reihe von Auswirkungen geben, die über das erste Quartal hinausgehen", sagte der ehemalige Bundesbankchef. Er erwarte einen massiven Rückgang des globalen Wachstums. Es könne von 3,5 auf nur noch 0,5 Prozent sinken. Ein halbes Prozent Wachstum: Die Weltwirtschaft befände sich damit praktisch in der Rezession - so definieren es Ökonomen für alle Werte unter der Ein-Prozent-Grenze.

So weit ist es zwar noch lange nicht. Doch die vergangenen Tage haben den Marktteilnehmern vor Augen geführt, dass sich das neuartige Coronavirus wohl nicht so schnell eindämmen lässt wie und eine unkontrollierte Verbreitung des Erregers die Konjunktur in vielen Ländern schwer treffen würde. Bis dahin hatten sich Börsianer ihren Optimismus eisern bewahrt.

Wenige Tage später sieht die Finanzwelt komplett anders aus: Am Freitag rutschte der DAX unter die Marke von 12.000 Punkten. Seit der Finanzkrise 2008 gab es keine so schlechte Börsenwoche mehr. Die Ölnotierungen sind eingebrochen, Anleger flüchten in Staatsanleihen und Gold. Und erneut richten sich die Augen vieler Marktteilnehmer auf die Notenbanken. Viele rechnen bereits mit zwei Zinssenkungen durch die amerikanische Fed. Auch die Erwartung an die Europäische Zentralbank, die Geldpolitik weiter zu lockern, wächst.

Es zeigt sich: Die Hoffnung auf eine rasche Eindämmung des Virus hat sich nicht erfüllt. Sie gründete darauf, dass der Ausbruch der Lungenkrankheit Covid-19 eng auf China und insbesondere die Provinz Hubei beschränkt war. Wegen der drastischen Maßnahmen, mit denen Peking eine Ausbreitung des Erregers Sars-CoV-2, wie das Virus offiziell heißt, zu verhindern suchte, rechneten viele mit begrenzten Auswirkungen.

Heikle Lage


Doch das Coronavirus breitet sich immer weiter aus - zuletzt verstärkt in Europa. Auch Deutschland wird gerade von einer zweiten Welle an Ansteckungen erfasst. Am schlimmsten erwischt hat es jedoch Italien. Quasi über Nacht wurde die Nation zum Land mit den meisten Ansteckungen hinter China und Südkorea. Mehr als 650 Fälle wurden bis zum Wochenende gezählt. Italien ist im Krisenmodus. Zahlreiche Veranstaltungen wurden abgesagt. Rund ein Dutzend Ortschaften, in denen die meisten Fälle aufgetreten sind, stehen unter Quarantäne. Betroffen sind vor ­allem die wirtschaftsstarken Regionen Lombardei und Venetien. Zusammen erzielen sie mehr als 30 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung, zudem sind viele deutsche und französische Firmen auf ­Zulieferungen aus den nord­italienischen Regionen angewiesen.

Die Entwicklung in Italien zeigt, was auch anderen Ländern blühen könnte, wenn die Verbreitung des Virus nicht gestoppt wird und sich Hunderte oder gar Tausende weiterer Menschen anstecken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft das Risiko einer weiteren Ausbreitung von Covid-19 auf globaler Ebene mittlerweile als "hoch" ein. Sollte es tatsächlich zu einer Pandemie kommen, dürfte das vielerorts zu drastischen Schutzmaßnahmen wie Reise­beschränkungen und Quarantänemaßnahmen führen.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Anordnungen können gravierend sein. Ebenso die Folgen für Finanzmärkte und Investoren. Die Analysten der DZ Bank haben in einer aktuellen Publikation die Lungenkrankheit Covid-19 deshalb als "konjunkturelles Großrisiko" beschrieben. Ihrer Ansicht nach hängt es maßgeblich vom weiteren Verlauf der Epidemie ab, wohin sich die chinesische, aber auch die globale Wirtschaft in den kommenden Monaten bewegen werden.

Für die Analysten ist es nach wie vor aber sehr wahrscheinlich, "dass China die Gesundheitskrise in den nächsten Wochen unter Kontrolle bekommt und die chinesische Wirtschaft bis Ende März wieder zur Normalität zurückfindet". Tatsächlich geht die Zahl der Neuansteckungen in China seit ihrem Höhepunkt Anfang Februar tendenziell zurück. In der abgelaufenen Woche gab es erstmals seit Ausbruch des Virus mehr neue Fälle außerhalb Chinas als in der Volksrepublik selbst. Sollten auch andere Länder die Situation in den kommenden Wochen gut in den Griff bekommen, "dürfte sich die wirtschaftliche Situation schnell wieder erholen", sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt von M.M. Warburg. "Ein ,v‘- oder zumindest ,u‘-förmiger Konjunkturverlauf ist dann wahrscheinlich."

Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist auch das Szenario einer schweren Pandemie nicht ausgeschlossen. Die würde die Weltwirtschaft an ihrer empfindlichsten Stelle treffen: dem eng vernetzten internationalen Handel und der komplexen, arbeitsteiligen globalen Indus­trie. "Der Welthandel würde aus unserer Sicht so stark einknicken wie seit der Finanzkrise 2008/09 nicht mehr", so die Analysten der DZ Bank. In der Folge würde die globale Konjunktur annähernd zum Stillstand kommen.

Klar ist: Bei größeren weltweiten Ausbrüchen von Covid-19 und den damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen würden besonders exportabhängige und eng in die internationalen ­Lieferketten eingebundene Volkswirtschaften leiden. Neben südostasiatischen Ländern zählen dazu auch die Niederlande, einige osteuropäische Länder wie Tschechien und Ungarn sowie nicht zuletzt Deutschland.

Schatten des Virus


Hauptverlierer wären außerdem rohstoffexportierende Nationen wie Russland, Kanada oder Australien. Auch Länder, in denen der Tourismussektor eine hohe Bedeutung hat, würden erheblich in Mitleidenschaft gezogen.

Besonders hart getroffen hat es die Aktien der Fluggesellschaften. Airlines rund um den Globus, darunter auch die Lufthansa, haben Tausende Flüge gestrichen. Bei vielen Maschinen, die abheben, dürfte die Auslastung sinken, weil Geschäftsleute und Urlauber lieber zu Hause bleiben. Prominenter Fall ist Nestlé: Der Nahrungsmittelkonzern hat vorläufig alle Reisen abgesagt. Airlines gehen somit Einnahmen verloren, viele Kosten laufen weiter. Etwas Erleichterung verschafft der Ölpreis, der im Zuge der Krise unter Druck ist.

Unter dem Strich bleibt ein klar negativer Effekt. Air France-KLM hat bereits eine erste Schadensmeldung erstellt: Bis zu 200 Millionen Euro würden verloren gehen. Ähnlich geht es den Betreibern von Hotels und Casinos oder auch Autovermietern: Je weniger Menschen reisen, desto weniger Geld setzt die Branche um. Besonders in den Schlagzeilen sind die Kreuzfahrtveranstalter. Geschichten von Passagieren in Quarantäne dürften bei Urlaubern, die gerade ihre Sommerferien buchen, keinen guten Eindruck hinterlassen.

In China ist das Geschäft für viele Unternehmen phasenweise zum Erliegen gekommen. Der britische Spirituosenhersteller Pernod Ricard erwartet Einbußen in Höhe von 325 Millionen Pfund, weil viele Bars und Restaurants geschlossen sind. Adidas meldete, dass das Geschäft zwischenzeitlich 85 Prozent unter dem Vorjahr liege. Auch andere Branchen leiden: Ohne Komponenten aus China würde die Produktion in vielen Fabriken rund um den Globus zum Stillstand kommen. Das allerdings sind extreme Szenarien.

Aus deutscher Sicht richtet sich der Blick vor allem auf die Autoindustrie: Für BMW, Daimler und Volkswagen ist China der wichtigste Absatzmarkt. "Produktionsausfälle könnten durch Überstunden aufgeholt werden. Die wirkliche Gefahr ist, dass sich die Krise über Monate hinzieht und die Weltwirtschaft spürbar belastet. Wenn das Wachstum abbricht, hätte das einen bleibenden Effekt auf die Autoindus­trie", warnt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen.

Konzerne aus klassisch defensiven Branchen können die Aufregung recht entspannt verfolgen. Immobilienfirmen wie Vonovia verdienen Geld mit Miet­einnahmen und Services. Brenzlig würde es erst, wenn eine Wirtschaftskrise die Immobilienpreise unter Druck setzt. Auch Versorger wie RWE und Eon oder die Deutsche Telekom sind kaum abhängig von der Großwetterlage.

Jede Krise hat auch ihre Gewinner. Bei etlichen Biotechfirmen schossen die Kurse in der Hoffnung auf einen Corona-Wirkstoff zweistellig nach oben. Die Realität ist allerdings nicht so schnell wie die Kurse. "Im besten Fall wird es noch mehrere Monate dauern, bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff auf den Markt kommt", kalkuliert Hanns Frohnmeyer, Portfoliomanager des Fonds BB Adamant Biotech.

Berechtigte Hoffnungen hat der US-Konzern Gilead mit seinem Wirkstoff Remdesivir. Dieser "wurde ursprünglich zur Behandlung von Ebola und SARS entwickelt, hat aber ein breites Wirkungsspektrum gegen Viren und könnte auch gegen den Corona-Erreger wirken. Auch dieses Produkt wird jetzt erst in einer klinischen Phase III getestet, mit Ergebnissen ist im April zu rechnen", erklärt Frohnmeyer.

Die Bank of America kalkuliert, dass Remdesivir Gilead einen Umsatzschub von bis zu 2,5 Milliarden Dollar bringen könnte. Wie viel Geld letztlich zu verdienen ist, hängt von vielen Faktoren ab. Die Nachfrage nach Grippemedikamenten schwankt je nach Jahreszeit und ­Intensität deutlich. "Sollte sich der Erreger festsetzen, werden Regierungen größere Vorräte anlegen. Roche erzielt mit Tamiflu noch immer einen Jahresumsatz im dreistelligen Millionenbereich", kalkuliert Frohnmeyer.

Einfacher ist das Kalkül für Investoren bei einem anderen Unternehmen: Clorox. Der vor allem in den USA aktive Konsumgüterkonzern macht rund ein Drittel seines Geschäfts mit Reinigungsmitteln, unter anderem Hygienetüchern. Sollte die Epidemie auf die USA übergreifen, würde die Nachfrage nach entsprechenden Produkten anziehen.

Attacke auf Microsoft


Die Masse der Unternehmen dürfte einen negativen Effekt in ihrer Bilanz haben. Sogar der Softwarekonzern Microsoft, dessen Sorge eigentlich den digi­talen Viren gilt, kürzte seine Jahres­prognose. Die Aktienmarktstrategen der Citigroup gehen davon aus, dass die weltweiten Unternehmensgewinne in diesem Jahr stagnieren werden. Und selbst diese reduzierte Prognose könne zu optimistisch sein, so die Bank.

Alles hängt davon ab, wie schnell die Verbreitung des Virus eingegrenzt werden kann. Allianz-Chef Oliver Bäte rechnet mit einem kurzfristigen negativen Effekt für die Weltwirtschaft, warnt aber vor Übertreibungen: "Es ist nicht so, dass die Welt morgen zu Ende geht." Etliche Branchen können, sobald die Angst verflogen ist, auf einen Nachhol­effekt hoffen. Wer ein Auto kaufen will, wird darauf nicht wegen einer Grippewelle verzichten. Auch der Kauf eines neuen Handys, Fernsehers oder neuer Sportschuhe dürfte nur aufgeschoben werden. Im günstigsten Fall wird die Krise am Ende des Geschäftsjahres eine untergeordnete Rolle spielen.

Anatomie eines Kursbebens


Wann genau die Kurse nach oben drehen, hängt auch von der Gemütslage der Anleger ab. Nach der langen Rally waren viele Aktien hoch bewertet und damit anfällig für eine Korrektur. Durch die massiven Kursverluste der vergangenen Tage haben sich die Bewertungsrelationen ein wenig normalisiert. Die Gewinnschätzungen der Analysten, auf deren Basis Kennziffern wie das KGV ­berechnet werden, sind im aktuellen Umfeld allerdings unzuverlässiger.

Ein Minus von rund 15 Prozent, wie es der DAX in dieser Woche verdauen musste, ist in einem lang anhaltenden Bullenmarkt keine Seltenheit. Seit Start des Index im Jahr 1988 hat es knapp zwei Dutzend Kurseinbrüche von mehr als zehn Prozent gegeben. Rechnet man die große Finanzkrise heraus, fielen die Kurse im Schnitt um rund 17 Prozent.

Bislang aber war jeder Absturz eine gute Gelegenheit, in die lang laufende Rally einzusteigen. Investmentlegende Warren Buffett, mit 89 Jahren immer noch bemerkenswert fit, äußerte sich in dieser Woche in einem Gespräch mit dem Fernsehsender CNBC: Die Virus- Epidemie sei unheimlich, als Anleger aber solle man sich nicht zu sehr ver­unsichern lassen, meint Buffett. Seine Meinung zum Kursbeben: "Das ist gut für uns." Langfristige Anleger sollten sich freuen: Fallende Kurse bieten die Möglichkeit, günstiger zu kaufen.

Investor-Info

Wertschöpfungsketten
Südostasien stark vernetzt


Im Fall einer starken weltweiten Ausbreitung von Covid-19 sind jene Volkswirtschaften am anfälligsten, die tief in globale Fertigungsketten eingebunden sind. Also jene Länder, die viele Vorleistungsgüter exportieren oder stark von der Zulieferung von Vorprodukten abhängig sind. Südostasiatische Staaten sind besonders anfällig, die USA dagegen kaum.

Tourismus
Hauptverlierer bei Pandemie


Auch der internationale Tourismus würde im Fall einer Pandemie erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Länder, deren Wirtschaft besonders stark vom Tourismus abhängt, müssten mit gravierenden Einbußen rechnen. In Hongkong und Thailand sind schon jetzt erhebliche Verluste entstanden, die im weiteren Jahresverlauf nur schwer aufzuholen sind.

China und Singapur
Hoffnung auf Eindämmung


Die Zahl der gemeldeten Covid-19-Fälle in China und Singapur hat sich zuletzt stabilisiert. Ein ermutigendes Zeichen. Es würde bedeuten, dass China und Singapur die Ausbreitung des Virus deutlich schneller eingedämmt haben als 2003 im Fall von SARS.

Breit gestreute Investments
Anlagetipps für die Krise


Wer sich aufgrund der Unsicherheit etwas defensiver aufstellen möchte, sollte seinem Depot Staatsanleihen verlässlicher Staaten hinzufügen - etwa mit dem ETF Xtrackers Global Government Bond. Denn neben Gold zählen diese zu den Fluchtburgen für Anleger. In einen defensiven Wirtschafts­sektor investiert man mit dem Fonds nova Steady Health Care. Gesundheitsaktien sind wenig konjunkturabhängig, einige von ihnen profitieren im Umfeld der Corona-Krise. Auch ein guter Mischfonds wie der FvS Multiple Opportunities hilft, mit breiter Streuung und reduziertem Risiko das Depot zu stabilisieren.

Name ISIN Rendite 1 J.
FvS Multiple Opport. LU0323578657 12,8 %
Nova St. Health Care DE000A1145J0 11,2 %
Xtr. Glo. Govern. Bd. LU0908508731 11,3 %
Quelle: fondsweb

Krisengewinner
Jagd auf Corona


Die Biotechfirma Gilead ist im Rennen um ein Gegenmittel gut positioniert. Die Aktie hat deutlich zugelegt, eignet sich aber weiterhin als Absicherung gegen eine Eskalation der Krise. Breit in den Biotech­sektor investiert die Schweizer Beteiligungsgesellschaft BB Biotech. Reinigungsprodukte von Clorox wären im Fall einer Epidemie in den USA stark gefragt. Nebenbei ist die Aktie ein zuverlässiger Dividendenwert.

Name ISIN Wertentw. 1)
BB Biotech CH0038389992 -6,7 %
Clorox US1890541097 +13,4 %
Gilead US3755581036 +17,2 %
1) Wertentwicklung 1 Jahr; Stand: 27.02.20; Quelle: Bloomberg

Defensive Aktien
Stark in der Krise


Einige Unternehmen verdienen auch in wirtschaftlich schweren Zeiten zuverlässig Geld. Vonovia ist der größte börsennotierte Immobilienbetreiber in Deutschland und steht damit auf einem soliden Fundament. RWE sollte sich als Stromversorger in einer schärferen Krise ebenfalls besser behaupten als der DAX. Der Konsumgüterkonzern PepsiCo liefert Brause und Knabberkram - darauf wollen Konsumenten ungern verzichten.

Name ISIN Wertentw. 1)
PepsiCo US7134481081 +25,2 %
RWE DE0007037129 +56,3 %
Vonovia DE000A1ML7J1 +22,9 %
1) Wertentwicklung 1 Jahr; Stand: 27.02.20; Quelle: Bloomberg

Dauerläufer
Langfristig denken


Kaufen, wenn die Kanonen donnern. Sagt sich leicht, ist in der Praxis aber schwer um­zusetzen. Schließlich kann niemand seriös sagen, wann die Wende kommt. Nach starken Kursverlusten sind qualitativ gute Aktien deutlich günstiger: Techriese Apple etwa bleibt mit seinem riesigen Kundenstamm ein Basisinvestment in der digitalen Welt. Der Versicherer Allianz ist Top-Dividendenwert im DAX. Der Luxuskonzern LVMH bleibt dank starker Marken langfristig attraktiv.

Name ISIN Wertentw. 1)
Allianz DE 00 40 005 +10,2 %
Apple US0378331005 +20,9 %
LVMH FR0000121014 +25,6 %
1) Wertentwicklung 1 Jahr; Stand: 27.02.20; Quelle: Bloomberg