Börsen sind bereit für den Mittelstand
· Börse Online Redaktion"Snap" ging vor Kurzem in Amerika an die Börse. Die beiden Gründer Evan Spiegel und Bobby Murphy sammelten mit ihrem Messagerdienst Snapchat 3,4 Milliarden US-Dollar ein. Das Unternehmen hat noch nie Gewinne erzielt. Trotzdem könnte es nach aktueller Marktkapitalisierung in der Königsklasse, dem deutschen Aktienindex DAX, sein. Am ersten Tag kletterte die Aktie um 44 Prozent über den Emissionspreis. Auch wenn jüngst eine Korrektur stattfand, der Börsengang ist ein Erfolg. Wäre das in Deutschland (wieder) möglich?
Wir Deutschen haben ein Elefantengedächtnis für schlechte Nachrichten. In Erinnerung sind der Kursverfall der Deutschen Telekom und das Ende des Neuen Marktes. Die Börse als Ort zur Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital wird skeptisch beäugt. Ein fünf Jahre altes Unternehmen wie Snap, das noch Verluste im dreistelligen Millionenbereich erzielt, hätte bei uns eher keine Chance gehabt. Andererseits: die Börsenumsätze zeigen, dass auch deutsche Anleger mit den Aktien von Snap handeln. Der Erfolg von Snap beweist: Investoren in Amerika richten den Blick in die Zukunft, statt auf die Vergangenheit zu starren. Da ist es kein Wunder, dass sich auch deutsche Unternehmen dort höher bewertet sehen und besser aufgehoben fühlen. Die Börse ist bei besten selbst geschaffenen Rahmenbedingungen davon abhängig, dass die Politik den Kapitalmarkt wertschätzt.
Das Qualitätssegment der Börse München, m:access, bietet kleineren und mittleren Unternehmen beste Rahmenbedingungen. Der deutsche Mittelstand kann einfach, unbürokratisch und günstig einen Börsengang durchführen. Aktuell sind mehr als 50 Unternehmen mit einer Börsenkapitalisierung von etwa neun Milliarden Euro gelistet. Die an der Börse München organisierten Analystenkonferenzen stoßen bei Analysten, Journalisten und Investoren auf großes Interesse. Aus organisatorischer Sicht gibt es keinen Handlungsbedarf. Nur: Angesichts von mehr als 1000 Unternehmen, die schon heute "börsenfähig" sind, ist Deutschland laut OECD in allen Belangen des Kapitalmarkts auf dem Niveau eines Entwicklungslands. In einer immer mehr vom Staat dominierten Wirtschaft muss dies ein Warnsignal sein.
Politiker aller Fraktionen müssen deshalb Börsen darin unterstützen, die Finanzierung über den Kapitalmarkt zu erleichtern. Unternehmen brauchen den Kapitalmarkt in Zukunft mehr denn je, um sich im globalen Markt zu behaupten. Die aktuelle Niedrigzinsumgebung verschleiert den Handlungsdruck. Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken werden durch sinkende Erträge und steigende Eigenkapitalanforderungen eingeschränkt, Kredite zu begeben. Deshalb muss jetzt der Boden für Börsengänge in den nächsten Jahren bereitet werden. Eigenkapital macht Unternehmen krisenfest. Das nutzt in eher volatilen Zeiten sogar ihren Gläubigern, den Banken. So bleiben Kreditlinien erhalten, Anschlussfinanzierungen sind unkritisch, und die unternehmerische Zukunft wird nicht von Finanzierungsfragen getrübt.
Doch dafür ist noch einiges zu tun. Die EU-Kommission hat dies mit ihren Anregungen zur Kapitalmarktunion richtig erkannt. Es stimmt, dass eine Stärkung der Kapitalmärkte Wachstum fördert. Nur: Zeitgleich werden regulatorische Hürden in Kraft gesetzt, die abschrecken. Es kann nicht sein, dass man als Gründer oder Unternehmer Aktienkäufe und -verkäufe bereits ab einem Betrag von 5000 Euro melden muss. Die Strafrahmen bei Verstößen lassen manches Maß vermissen. All dies ist zu verbessern. Investoren sind neu von Aktien zu überzeugen. Vergünstigungen der Staatsfinanzierung im Wettbewerb um Kapital sind aufzuheben. Steuerliche Anreize für Risikokapitalgeber müssen ohne Scheuklappen neu überlegt werden, gerade auch weil diese in Großbritannien selbstverständlich sind. Und die Finanztransaktionsteuer ist von der politischen Agenda zu nehmen.
Andreas Schmidt, Absolvent der juristischen Fakultät der Universität Augsburg, ist Vorstandsmitglied der Bayerischen Börse AG und Geschäftsführer der Börse München. Seit September 2012 ist er Sprecher der Finanzplatz München Initiative (FPMI). Er arbeitete als Referent im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft im Bereich Börsenaufsicht und Börsengesetznovellierung, bis er an die Bayerische Börse wechselte.