An den Märkten werden derzeit Szenarien gespielt, nach denen nicht nur die Corona-Krise, sondern auch deren wirtschaftliche Folgen rascher bewältigt werden könnten als erwartet. Unterstützt von abnehmenden Infektionszahlen, den Lockdown-Lockerungen und den Konjukturstützen von Bundesregierung und EZB hat dieser zunehmende Konjunktur-Optimismus die Börsenkurse in den vergangenen Tagen kräftig angetrieben. Bereits am Dienstag überschritt der DAX erstmals seit 4. März die 12 000-Punkte-Marke. Seit dem Tiefststand von 8256 Punkten am 16. März hat das Börsenbarometer mehr als 50 Prozent zugelegt. Inzwischen rückt selbst die 13000er Marke wieder in greifbare Nähe.

Vor allem Aktien, die durch die Corona-Krise überproportional unter die Räder gekommen waren, legten zu. Dazu zählten Autohersteller wie Daimler, BMW und Volkswagen, aber auch der Triebwerkskonzern MTU. Am Mittwoch standen die Versicherer Allianz und Munich Re im Fokus. Am Freitag profitierten europäische Bankaktien vom EZB-Beschluss - hierzulande vor allem Commerzbank. Trotz des besiegelten DAX-Abstiegs führte Lufthansa mit einem Plus von sieben Prozent den Leitindex an. Die Airline weitet ihren Flugplan aus. Für das DAX-Gründungsmitglied steigt der Wohnkonzern Deutsche Wohnen am 22. Juni in den DAX auf.

Hauptantreiber für die Rally sind jedoch die Konjunkturhilfen. Die Bundesregierung hatte am Mittwoch ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket beschlossen. Die Europäische Zentralbank (EZB) weitete am Donnerstag ihr Anleihenkaufprogramm um fast das Doppelte auf 1,35 Billionen Euro aus.

Dünne Luft


"Die Investoren wagen sich weit vor", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die scheinbar grenzenlose Euphorie an den Börsen. Gemessen an den eingebrochenen Erwartungen für die 2020er-Gewinne der DAX- Unternehmen, seien Aktien inzwischen teuer. "Das entsprechende Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei rund 20, weit über dem langjährigen Durchschnitt von 13." Krämer bezweifelt, dass die DAX-Konzerne die Erwartung der Analysten erfüllen können, ihre Gewinne im kommenden Jahr um 50 Prozent zu steigern. "Insofern besteht an den Aktienmärkten das Risiko zwischenzeitlicher Rückschläge - auch wenn die Geldflut der EZB grundsätzlich für steigende Kurse spricht." Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel, erkennt in der Rally bereits eine Rückkehr in den Vorkrisen-Modus: Niedrigzinsen und fehlende Anlagealternativen treiben die Investoren - und natürlich die Furcht, den Aufschwung zu verpassen.

Viele Anleger hatten mit einem noch größeren Einbruch gerechnet und entsprechend Liquidität gebunkert - und bekommen nun angesichts steigender Kurse Torschlusspanik. "Die Hausse nährt die Hausse", sagt Mumm. Die realwirtschaftliche Situation spreche gegen den starken Kursanstieg. "Ich erwarte keine V-förmige Konjunkturerholung. Deshalb werden wohl gerade kurzfristig erzielte Gewinne durch Verkäufe realisiert, was eine Kurskorrektur auslösen könnte." Eine veränderte Wahrnehmung könnte die Risiken schnell wieder in den Vordergrund rücken.