Herr Halver, das erste Halbjahr ist rum. Dem Dax ist nach dem Rekord bei knapp über 10.000 Punkten zuletzt etwas die Puste ausgegangen. Wo erwarten Sie den Leitindex am Jahresende 2014?

Mindestens bei 10.500 Punkten.


Und den Dow?

Bei 3450 Punkten.


Das heißt, Aktien bleiben für Sie die erste Wahl?

Ja. Denn das Zinsvermögen bleibt aus Renditesicht unattraktiv. Dies gilt zunehmend selbst für Staatspapiere der Euro-Peripherie, die seit dem Euro-Rettungsversprechen der EZB vom 26. Juli 2012, zur Not unbegrenzt Staatspapiere notleidender Euro-Mitgliedsländer aufzukaufen, bereits eine beträchtliche Kurs-Rallye hingelegt haben. Die Risikoaufschläge fünfjähriger italienischer und spanischer Staatsanleihen im Juli 2012 von sieben und sechs Prozentpunkten sind bis dato auf ca. einen Prozentpunkt zurückgegangen. Da zusätzlich die Alternative " Mittelstandsanleihen" zwar hohe Renditen, aber auch hohe Risiken bietet, erhalten insgesamt sachkapitalistische Anlageformen, insbesondere Aktien, eine zusätzliche Unterstützung.


Konkret?

Die pro-Aktienargumente sind mehrdimensional. Zunächst bleibt die Geldpolitik ein massiver Aktientreiber. Die typische Fed-Historie wird sich nicht wiederholen.

Die Fed betont immer wieder, dass es keine festgelegte, automatisierte Formel für eine erste Zinserhöhung gibt und dass das Niedrigzinsniveau auch nach dem voraussichtlichen Ende des Anleihenaufkaufprogramms im Herbst 2014 noch für längere Zeit bestehen wird. Übrigens, liquiditätspolitisch droht dann kein Ungemach. Denn auch wenn kein Cent neue Liquidität mehr die US-Finanzmärkte erreicht, könnte mit der dann bestehenden US-Liquiditätsschwemme die gesamte US-Volkswirtschaft noch ca. viermal finanziert werden.

Zinspolitik wird in den USA mit der konjunkturellen Brille betrieben. Die von der Fed als elementar betrachtete Erholung am US-Arbeitsmarkt verläuft ihr noch zu langsam. Vollbeschäftigung ist für die Fed erst bei einer Arbeitslosenquote von 5,2 bis 5,6 Prozent erreicht. Eine Zinswende ist daher frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2015 - und dann auch nur in behutsamen Trippelschritten - zu erwarten.

Denn die Fed hat aus ihren früheren Fehlern gelernt. Ihre deutlichen Zinserhöhungen im Vorfeld der Dotcom- und Immobilienblase haben nicht nur diese zum Platzen gebracht. Anschließend musste auch die US- und Weltwirtschaft massive Kollateralschäden ertragen. Ein starker zinspolitischer Gegenwind der Fed bleibt den globalen Aktienmärkten also dieses Mal erspart.

Bedeutsamer als die Notenbankzinsen ist für die Beurteilung der Finanzmärkte die Zinsstrukturkurve. Ist diese steil, d.h. sind die Renditen von länger laufenden US- Staatsanleihen höher als die US-Notenbankzinsen, liegt ein insgesamt positives Investitionsklima vor, bei dem es sich lohnt, kurzfristig zinsgünstig aufgenommenes Notenbankgeld längerfristig in höher rentierliche Anlageformen wie Aktien anzulegen. Selbst bei Annahme steigender US-Notenbankzinsen bis 1,75 Prozent und zunehmender Renditen bei 10-jährigen US-Staatsanleihen von etwa 3,9 Prozent, jeweils bis Ende 2016, bleibt die Zinsstrukturkurve investitions- und damit auch aktienfreundlich. Diese strukturell veränderte US-Zinspolitik wird die Aktienmärkte zunehmend überzeugen. Davon abgesehen, haben die anderen großen Notenbanken der Welt, die EZB und Bank of Japan, ihre geldpolitische Höchstgeschwindigkeit noch gar nicht erreicht.


Auf Seite 2: Welche Aktien und Branchen sind besonders vielversprechend?

Welche Aktien und Branchen sind besonders vielversprechend?

In den USA profitieren konjunktursensible Aktien von der Erholung der Weltwirtschaft. Daneben sind Technologie- und Konsumtitel attraktiv. Japan wird seine notenbankseitige Yen-Abschwächungspolitik fortsetzten, was den für Japan typischen Exporttiteln zugute kommt. Hier sollte über eine Währungsabsicherung nachgedacht werden. Die Schwellenländer bekommen zunehmend die wirtschaftliche Kurve. Die Risikoaversion und Befürchtungen über konjunkturelle Verwerfungen haben sich reduziert. Das gibt den Blick auf ihre auch strukturellen Vorteile wie geringe Verschuldung wieder frei.

Interessanterweise hat sich auch die jahresanfängliche Zweiklassengesellschaft der Aktienmärkte der Schwellenländer zuletzt wieder aufgelöst. Die Rückbesinnung auf die grundsätzlichen Wachstumspotenziale der Schwellenländer begünstigt nicht zuletzt die Aufhebung der zweigeteilten Entwicklung ihrer Aktienmärkte.

Nachdem die Parlamentswahlen in Indien eine wirtschaftsliberale Regierung hervorgebracht haben, wird der attraktive indische Produktionsstandort wieder im Fokus der Anleger stehen. Für den südkoreanischen Aktienmarkt, dessen Industrie- und Technologieunternehmen eine ernste Konkurrenz zu denen der westlichen Welt darstellen, machen sich die Standortqualitäten in Folge der stetigen Wirtschaftsreformen bezahlt. Das gilt ebenso für Malaysia, das seinen Status als Zentrum für Technologie- und Chemieunternehmen im südostasiatischen Raum festigt. In China sind die hard landing-Ängste dank von der Regierung vorgezogener Infrastrukturprojekte in den Hintergrund getreten. Diese drei zuletzt genannten Märkte können im zweiten Halbjahr ihre Underperformance gegenüber der Türkei oder Argentinien angesichts ihrer fundamentalen Stärke wieder ausgleichen.

Thailand profitiert trotz Militärregierung von seinem kostengünstigen Produktionsstandort. Und russische Aktien können sich abseits einer Eskalation auch wieder behaupten.

Brasilianischen Aktien werden von der erwarteten Rohstoffpreiserholung profitieren. Zudem ist davon auszugehen, dass die brasilianische Notenbank ihre Zügel nicht weiter anziehen wird. Auch hoffen die Finanzmärkte auf einen wirtschaftsfreundlichen Regierungswechsel im Herbst.

Und wie sehen Sie die deutschen Aktien?
Die weltweite konjunkturelle Stabilisierung kommt insbesondere deutschen konjunktur- und exportlastigen Aktien zugute, denen zudem ein im Trend nachgebender Euro hilft. Auch die für deutsche Wirtschaftsverhältnisse viel zu niedrigen EZB-Leitzinsen kommen diesen Aktien zugute. Insofern dürften im zweiten Halbjahr 2014 auch Nachholeffekte deutscher Aktien gegenüber sich seit dem Euro-Rettungsversprechen vom Juli 2012 stark entwickelnden spanischen und italienischen Aktien zum Tragen kommen. Denn in diesem Jahr waren bislang eher defensive Aktien favorisiert, die sich eher in den anderen europäischen und weniger in deutschen Aktienindices finden.

Welche Branchen favorisieren Sie?

Auf Branchenebene dürften auch die Restrukturierungswerte aus dem Stahlsektor sowie Versorger aufholen können. Technologie und Konsumwerte auch aus den USA profitieren von ihrer Innovationskraft und dem weltweit wachsenden Markenbewusstseins.

Bei sich bessernder weltkonjunktureller Stimmung profitiert insbesondere der MDAX als sogenannter Mittelstandsindex. Er ist der eigentliche Seismograph der deutschen Wirtschaft, der sich durch mittelgroße, konjunktur- und exportsensitive Aktien auszeichnet. Insofern ist er einer der beliebtesten Konjunkturaktien-Indices der Welt. Internationale Anleger, die in Konjunkturaktien anlegen, kommen an ihm definitiv nicht vorbei. Außerdem sprechen die Konjunkturerwartungen schon lange für den MDAX. So signalisieren die Geschäftserwartungen für die Weltwirtschaft, die das ifo Institut durch direkte Unternehmensbefragungen errechnet, weiter eine weltkonjunkturelle Erholung. Hiervon werden vor allem die im Vergleich zum DAX deutlich konjunktur- und exportsensitiveren Aktienwerte aus dem Mittelstandsindex MDAX profitieren, die durchschnittlich 75 Prozent ihrer Umsätze - beim DAX sind es 50 Prozent - außerhalb Deutschlands erwirtschaften. Zahlreiche mittelständige Werte besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur vielfach die Position als Weltmarktführer auch in Nischenmärkten. Der MDAX sollte gegenüber dem DAX gut mithalten können. Aber ich favorisiere Titel der Autozuliefer-, Elektro-, Chemie- und Maschinenbauindustrie, die über weltkonjunkturelle Aktivitäten verfügen.

Die in Liquidität badende Finanzwelt heizt im Übrigen auch die internationale Fusions- und Übernahmephantasie an. Und angesichts der hervorragenden Positionierung der MDAX-Werte sind sie ein grundsätzlich beliebtes Übernahmeziel. Vor diesem Hintergrund ist dem MDAX bis Ende des Jahres ein Indexstand von 18.500 Punkten und mehr zuzutrauen.


Auf Seite 3: Was werden die entscheidenden Kurstreiber des zweiten Halbjahres sein?

Was werden die entscheidenden Kurstreiber des zweiten Halbjahres sein?

Zunächst wird uns die EZB so etwas wie den Aktien-Kapitalismus bescheren. Zur fortgesetzten Rettung der Finanzmärkte der Eurozone und ihrer Konjunktur nimmt die EZB die Aufblähung von Anlageklassen wie Aktien bewusst in Kauf. Und je länger diese Blasenbildungen anhalten, desto weniger kann die EZB den Rückwärtsgang einlegen. Denn ein Liquiditätsdrogenentzug könnte zu unkontrollierbar großen, panikartigen Entblähungen an den Finanzmärkten führen, die schließlich auch die Konjunktur wieder in eine Eiszeit wie 2009 schicken könnten. Es ist einfach, Zahnpasta aus der Tube zu drücken. Aber sie wieder zurück in die Tube zu befördern, führt zu heftigen Verschmutzungen, sprich Kollateralschäden.

Nutznießer bleiben Aktien, die von schuldenfinanzierter Konjunktur bei geldpolitischem Feuerschutz gleich doppelt profitieren. So gibt es wenigstens einen Trost für entgangene geldpolitische Stabilität. Daneben werden sich die Schwellenländer und die USA schneller als gedacht wirtschaftlich erholen. Hinzu kommt die mangelnde Anlagealternative des Zinsvermögens zu Aktien.


Auf Seite 4: Wo rechnen Sie mit Überraschungen?

Wo rechnen Sie mit Überraschungen?

Wir werden überrascht sein, wie schnell unter italienischer EU-Ratspräsidentschaft die Neuinterpretation des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Duldung einer erhöhten Neuschuldenaufnahme durchgewunken wird. Damit bekommt das konjunkturstützende Element für Aktien in der Eurozone noch mehr Unterstützung. Die großen Kapitalsammelstellen werden angesichts der der erbärmlich geringen Renditen gezwungen sein, ihre bisherige Aktienrenitenz zu mildern.