Der Kreis schließt sich im Berliner Stadtteil Mitte. Ende des 19. Jahrhunderts machte die Victoria-Versicherung, heute in Düsseldorf ansässig, die klassische Lebensversicherung populär. Im Bundesfinanzministerium, unweit des damaligen Firmensitzes, wurde nun die wohl grundlegendste Reform ausgeheckt, die es je in der Branche gegeben hat.

Bundestag und Bundesrat stimmten vor Kurzem dem Gesetzespaket zu, das zum Teil noch im Juli in Kraft treten wird. Betroffen sind rund 60 Millionen Kapitallebens- und private Rentenversicherungen mit gesetzlich festgelegtem Garantiezins - und zusätzlich all jene Kontrakte, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten abgeschlossen werden.

Hintergrund sind die historisch niedrigen Renditen auf Anleihen. Ein Großteil des Geldes, das Versicherer für ihre Kunden anlegen, steckt in solchen Papieren. Sie werfen oftmals nicht genug ab, um hohe Garantien der Vergangenheit zu bedienen. Folglich droht einer Reihe von Anbietern eine Schieflage.

Im vergangenen Jahr ergab ein Stresstest der Bundesbank, dass bis 2023 - anhaltend niedrige Zinsen vorausgesetzt - 32 von 85 deutschen Lebensversicherern nicht mehr genug Eigenkapital haben könnten. Im Zuge der Gesetzesänderungen schrumpft nach Auskunft der Bundesbank die Negativliste auf 13 Unternehmen.

Die Reform hat das klare Ziel, dass die Anbieter in jedem Fall die Garantien erfüllen können. Das bringt Härten für viele Kunden mit sich. Im Gegenzug ging das Ministerium auf einige Wünsche von Verbraucherschützern ein. Hier die Änderungen im Einzelnen - und was sie für Kunden und Aktionäre bedeuten:

Auf Seite 2: Garantiezins

Garantiezins Der Garantiezins für Neuverträge sinkt Anfang 2015 von 1,75 auf 1,25 Prozent. Der Wert bezieht sich auf den Sparanteil, also Einzahlungen minus Kosten. Ein Großteil der Kosten entsteht durch die Abschlussprovisionen, die in den ersten Jahren fällig werden. Das bedeutet: Gerade kurz laufende Verträge würden angesichts der hohen Anfangsbelastung durch Abschlusskosten per saldo ein Minus einfahren, wenn lediglich der Garantiezins bezahlt würde. Somit ist es nur eine Absicherung für die Anleger, die extrem pessimistische Zinserwartungen haben. Bislang schafften es die Versicherer noch in jedem Jahr, mehr als 1,75 Prozent zu bezahlen - in Form der sogenannten Überschussbeteiligung. Deren Höhe ist angesichts der niedrigen Marktzinsen zuletzt stark rückläufig und schwankt je nach Gesellschaft stark.

Auf Seite 3: Risikogewinne

Risikogewinne Versicherte werden stärker am Unternehmensgewinn beteiligt. Bislang erhalten Versicherte mindestens 75 Prozent des sogenannten Risikoüberschusses. Der entsteht etwa, wenn Versicherer mit einer zu hohen Lebenserwartung ihrer Kunden rechnen. Sterben die Leute im Schnitt früher, müssen die Anbieter weniger auszahlen - ein Überschuss entsteht. Nun sollen die Kunden mindestens 90 Prozent davon erhalten. Hintergrund: Verbraucherschützer haben den Unternehmen vorgeworfen, sie kalkulierten manchmal mit unrealistisch hohen Lebenserwartungen, um hinterher kräftig Reibach zu machen.

Auf Seite 4: Kosten

Kosten Wer eine Lebensversicherung abschließt, muss ab 1. Januar die Effektivkosten des Vertrags erfahren. Ein Prozentwert gibt an, um wie viel sich die jährliche Rendite durch Kosten verringert. Die exakten Kriterien für diese Maßzahl liegen noch nicht fest. Im ursprünglichen Gesetzentwurf war vorgesehen, die Abschlussprovision in Euro und Cent auszuweisen. Nach Protesten von Vermittlern und Gewerkschaften wurde dies gestrichen.

Eine weitere Neuerung betrifft die Abschlusskosten. Versicherer dürfen hierfür künftig nur noch 2,5 Prozent der Gesamtsumme, der im Laufe der Zeit zu zahlenden Beiträge auf ihre Kunden umlegen. Bisher waren vier Prozent erlaubt. Zahlen Gesellschaften ihren Vertretern trotzdem mehr, müssen sie fortan selbst in die Tasche greifen. Das könnte zu Druck auf die Provisionen führen. Die Unternehmensberatung Towers Watson erwartet, dass in Verbindung mit dem geringeren Garantiezins die Gesamtkosten für neue Verträge sinken. "Zugleich erhöhen sich die Rückkaufswerte in den ersten Vertragsjahren."

Auf Seite 5: Dividenden

Dividenden Die Finanzaufsicht Bafin kann Versicherern verbieten, Dividenden auszuzahlen, wenn die Garantieleistungen an Kunden gefährdet sind. Ein Ende der Ausschüttungen ist in der Realität jedoch nicht absehbar, zumindest bei den großen börsennotierten Versicherern. So erklärte Dieter Wemmer, Finanzvorstand des DAX-Mitglieds Allianz SE, auf einem Investorentag, dass eine Dividendensperre das Verhältnis zwischen Mutter Allianz SE und Tochter Allianz Leben nicht betreffe. Grund sei ein Beherrschungsvertrag, der beide verbinde, sagte Wemmer laut "Börsen-Zeitung". Gewinne würden mit der Mutter verrechnet.

Ähnlich äußert sich Ergo Leben über das Verhältnis zum Mutterkonzern Ergo, der zum DAX-Mitglied Munich Re gehört. Auch die Nürnberger Leben, die zur Nürnberger Beteiligungs-AG gehört, sieht sich von der Dividendensperre nicht betroffen. Hingegen erklärte Württembergische Leben, der einzige deutsche börsennotierte Lebensversicherer, dass er trotz erwarteter Gewinne "bis auf Weiteres" keine Dividende zahlen werde. Das Unternehmen gehört zum Konzern Wüstenrot & Württembergische und hat keinen Gewinnabführungsvertrag.

Auf Seite 6: Bewertungsreserven

Bewertungsreserven Sie entstehen, wenn der aktuelle Wert von Investments über dem Kaufpreis liegt. Durch die sinkenden Renditen an den Finanzmärkten sind Anleihen mit hohen Nominalzinsen stark gefragt, weshalb die Bewertungsreserven derzeit umfangreich sind. 50 Prozent solcher Bewertungsreserven müssen bislang als Schlussbonus an die Kunden ausgeschüttet werden. Momentan erhöht das im Branchenschnitt die Auszahlungen um etwa fünf Prozent.

Künftig müssen Versicherer auf diese Ausschüttungen auf Anleihen verzichten, wenn sie nicht genügend Finanzkraft haben (eine Ausnahme ist im folgenden Absatz beschrieben). Laut Experten ist die gesetzliche Latte so hoch gelegt, dass kein einziger Anbieter dann noch komplett ausschütten darf. "Wir gehen davon aus, dass die Gesetzesänderung zu den Bewertungsreserven marktweit Anwendung findet", sagt Torsten Utecht, Finanzvorstand der zweitgrößten deutschen Versicherungsgruppe Generali Holding, zu der unter anderem die Versicherer Generali, AachenMünchener und CosmosDirekt gehören.

Auf Seite 7: Vertrag kündigen?

Vertrag kündigen? Angesichts der Reform bei den Bewertungsreserven liegt die Frage nahe, ob Versicherte ihre Ausschüttungen retten können, indem sie kündigen. Antwort: Komplett retten lassen sie sich auf keinen Fall. Die Änderungen gelten schon mit Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt, was voraussichtlich schon bis Ende Juli erfolgt. Und die Kündigungsfrist eines Vertrags beträgt mindestens einen Monat (bei monatlicher Zahlweise), oft sogar mehr. Eine Kündigung kommt in der aktuellen Lage also zu spät.

Allerdings gibt es die Chance, zumindest einen Teil der Reserven zu retten. Das liegt an der sogenannten Sockelbeteiligung. Sie wird von vielen Versicherern zu Beginn eines jeden Jahres ausgewiesen und gilt für Verträge, die im genannten Jahr auslaufen. Nach alter Rechtslage ist diese Sockelbeteiligung nur ein Mindestwert. Falls die tatsächlichen Bewertungsreserven höher lagen, gab es entsprechend mehr. Nach Angaben des Versichererverbandes GDV betrug die Sockelbeteiligung im Durchschnitt ein Drittel der gesamten Bewertungsreserven.

Die Sockelbeteiligung für 2014 ist von der Gesetzesänderung unberührt, sagen übereinstimmend der GDV und das Finanzministerium. So könnten Kunden theoretisch spätestens zum 1. Dezember kündigen, um die Sockelbeteiligung zu retten. Ist das praktisch sinnvoll? Um das zu beurteilen, müssen Kunden sich intensiv mit ihrem Vertrag auseinandersetzen. Helfen kann ein Vergleich zwischen dem, was bei baldiger Kündigung und was bei normalem Auslaufen des Vertrags zu erwarten ist. Die meisten Versicherer betonen, dass sie den Kunden die Sockelbeteiligung nennen. Das geschieht entweder in der alljährlichen schriftlichen Information, genannt Standmitteilung, oder auf Anfrage. Somit gibt es einige Anhaltspunkte für den aktuellen Wert.

Jedoch existieren keine definitiven Äußerungen aus der Branche, ob die Sockelbeteiligungen in den kommenden Jahren verringert werden oder komplett wegfallen. Für ein partielles Weiterführen spricht: Es gibt keine Pflicht, alles zu streichen - immerhin müssen die Bewertungsreserven aus Aktien und Immobilien weiterhin zur Hälfte den Kunden zugutekommen. Außerdem ist eine hohe Sockelbeteiligung ein Verkaufsargument: Wenn die Versicherer jeweils zu Jahresende ihre künftige Gesamtverzinsung deklarieren, rechnen sie den Wert gern mit ein - das sieht besser aus.

Zudem wanderte in den vergangenen Jahren immer mehr Geld weg von sogenannten Schlussüberschüssen, die als freiwilliges Extra fürs Durchhalten bezahlt werden, hin zur Ausschüttung von Bewertungsreserven. Nun könnte es eine Bewegung zurück zu den Schlussüberschüssen geben.

Wer seinen Vertrag durchhält, könnte also mehr bekommen als heute erwartet. Geförderte Policen zu kündigen ist generell wenig sinnvoll. Das ist entweder sogar verboten (Rürup) oder würde teilweise erhebliche Rückzahlungen bedeuten (Direktversicherung zur betrieblichen Altersvorsorge, Riester). Fondsgebundene Policen sind bei der Neuregelung sowieso außen vor.

Auf Seite 8: Wo finde ich Hilfe?

Wo finde ich Hilfe? Wer trotz dieser Einschränkungen über eine Kündigung nachdenkt, kann den jetzigen Stand der Alternativen im Internet durchrechnen. Einen solchen kostenlosen Kalkulator gibt es beispielsweise unter wegweiser.partnerinlife. com. Er wird von Partner in Life betrieben, einem Unternehmen, das Lebensversicherungen bewertet und gegebenenfalls ankauft.

Laut Firmenchef Dean Goff kann die Sockelbeteiligung bis zu sechs Prozent des Policenwerts ausmachen, entweder als Anteil am Rückkaufswert (bei Kündigung) oder der Ablaufleistung (bei Durchhalten des Vertrags). "Für Verträge mit geringer Restlaufzeit kann es deshalb sinnvoll sein, diese noch vor Jahresschluss zu beenden", sagt Goff. Er räumt allerdings ein, dass Laien mit den Ergebnissen des Rechners allein wohl kaum eine Entscheidung treffen könnten - letztlich müsse ein Fachmann hinzugezogen werden.

Rat gibt es bei Versicherungsberatern (Liste unter bvvb.de) oder Verbraucherzentralen (Verzeichnis unter vzbv.de). Auch Makler, die auf Lebensversicherungen spezialisiert sind, können helfen.