Auf dem EU-Gipfel hat EZB-Chef Mario Draghi demnach von einem verringerten Wachstum um insgesamt bis zu einem halben Prozentpunkt in den kommenden drei Jahren gewarnt. Auch die deutsche Wirtschaft muss sich auf Gegenwind einstellen: Banken und Institute senken reihenweise ihre Prognosen für 2017, rechnen aber nicht mit einem Einbruch wie in der Finanzkrise.

Auch die US-Wirtschaft dürfte nicht ungeschoren davonkommen, wie Direktor Jerome Powell von der US-Notenbank Fed befürchtet. Es bestehe das Risiko einer Verschlechterung der Weltwirtschaftslage, sagte er in Chicago. Die US-Notenbank sei auf alles vorbereitet.

In Europa dringt Draghi dem EU-Vertreter zufolge darauf, dass die Haushalte der EU-Staaten stärker auf Wachstum ausgerichtet werden. Bislang hat die EZB für 2016 ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Währungsraum von 1,6 Prozent und für 2017 und 2018 jeweils 1,7 Prozent veranschlagt. Diese Prognose dürften nun Makulatur sein.

"EZB WARTET VORERST AB"



Wie Reuters von mehreren mit den EZB-Plänen vertrauten Personen erfuhr, haben es die Frankfurter Währungshüter jedoch mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik nicht eilig. Sie wollen demnach abwarten. "Jede Schätzung der tatsächlichen Auswirkungen des Brexit ist derzeit reine Spekulation", sagte einer der Insider. Die Rating-Agentur Fitch geht indes davon aus, dass die EZB ihr groß angelegtes Wertpapierankaufprogramm zum Ankurbeln der Konjunktur letztlich über den März 2017 hinaus verlängern wird.

Die EZB kauft Staatsanleihen im Volumen von 80 Milliarden Euro monatlich auf, um eine Deflation abzuwenden, die durch eine Spirale fallender Preise und rückläufiger Investitionen in Gang kommen kann. Sollte sich die Konjunktur abkühlen, erwarten Börsianer zusätzliche Geldspritzen: "In den kommenden Wochen werden Anleger voraussichtlich zwischen der Hoffnung auf Konjunkturstimuli und der Furcht vor den Folgen des Brexit schwanken", sagte Anlagestratege Martin Van Vliet in der ING Bank.

Die Entscheidung für den Brexit dürfte nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auch die Exporteure in Deutschland treffen. Ein Rückgang der britischen Importe um ein Achtel würde nach DIW-Berechnungen die deutschen Ausfuhren für sich genommen um einen Prozentpunkt dämpfen. Ohne Berücksichtigung indirekter Effekte würde dies das Wachstum der deutschen Wirtschaft um einen halben Prozentpunkt drücken.

"Der Brexit wird ein paar blaue Flecken hinterlassen", meint der Deutschland-Chefvolkswirt von UniCredit, Andreas Rees: "Kauffreudige Konsumenten und der boomende Bausektor bleiben aber tragende Säulen des Aufschwungs." Die bislang boomende Wirtschaft Großbritanniens werde die Folgen des Brexit-Votums hingegen stärker zu spüren bekommen, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau dem "Handelsblatt". Er rechnet damit, dass das Vereinigte Königreich sogar kurzzeitig in eine Rezession abgleiten wird: "Anfang des kommenden Jahres könnte das der Fall sein."