Über der Produktionshalle mit den Präzisionsmaschinen, die Metallteile auf einen Millionstel-Meter genau zurechtschneiden, stellt Stephen Cheetham die Weichen für die ungewisse Zukunft seines Unternehmens. Seit der Ankündigung der britischen Regierung, die Bevölkerung am 23. Juni über den Verbleib des Landes in der Europäischen Union abstimmen zu lassen, hat er Investitionen verschoben und keine hoch qualifizierten Mitarbeiter mehr eingestellt. Damit will er das Unternehmen PK Engineering, das Flugzeugteile an Firmen wie Airbus oder Boeing liefert, darauf vorbereiten, dass der Umsatz einbrechen dürfte, wenn die Briten für den sogenannten Brexit stimmen. "Es ist extrem schwer, sich darauf einzustellen und macht mir unbeschreibliche Sorgen", klagt Cheetham.
Die großen Firmen auf der Insel halten sich öffentlich zu ihren Notfallplänen bedeckt, weil sie sich nicht in die Politik einmischen wollen. Der Mittelstand, der die Hälfte des gesamten Umsatzes in Großbritannien beisteuert und das Rückgrat der Wirtschaft ist, zeigt sich dagegen weniger zimperlich. Cheetham befürchtet, dass er die Hälfte seiner 30 Mitarbeiter entlassen muss, wenn nach einem Brexit Zölle in die EU anfallen, die Lieferzeiten sich wegen neuer Grenzkontrollen verlängern oder die Landeswährung Pfund auf Achterbahnfahrt geht.
Gareth Jenkins, der die Werkzeugbau-Firma FSG Tool and Die führt, hat sich die Kunden genau angesehen und ausgerechnet, dass ein Viertel des Umsatzes wegbrechen könnte - und damit auch ein Viertel der derzeit 91 Arbeitsplätze. "Unsere Produkte verlassen unser Werk am Montag und werden am Donnerstag schon eingesetzt. Wenn das nicht mehr geht, schauen sich die Kunden nach Alternativen um."
Tritt Großbritannien tatsächlich nach 43 Jahren aus der EU aus, dürfte das Land zwar ein Freihandelsabkommen mit der Union vereinbaren. Geschäftsleute gehen aber davon aus, dass sich der bürokratische Aufwand für Transaktionen nach Europa dann deutlich erhöht. Adam Shuter, Chef der Speditionsfirma Exact Logistics, zieht für die erwarteten Mehrkosten die Geschäfte mit Kunden in der Schweiz oder in Norwegen heran: Für beide Länder erhebt er einen Aufschlag für die Zollformalitäten von 50 bis 60 Pfund, zusätzlich zu den Frachtkosten von 40 bis 50 Pfund.
Die Brexit-Befürworter bezeichnen solche Sorgen als unbegründet. Sie verweisen darauf, dass für viele Unternehmen strenge Vorschriften aus Brüssel wegfallen und dass die Regierung Freihandelsabkommen mit Indien, China oder den USA aushandeln könnte. In den Umfragen zeichnet sich ein enges Rennen zwischen Brexit-Gegnern und -Befürwortern ab.
Cheethams Blick richtet sich vor allem auf Europas Festland, wo seine Zulieferer und wichtige Kunden sitzen. Normalerweise unterstützt er die Konservativen von Premierminister David Cameron. Doch jetzt ist er wütend, weil die Regierung mit der Ankündigung des Referendums Unsicherheit verbreitet hat. "Sie spielen Roulette mit der wirtschaftlichen Zukunft des Landes. Wir hoffen jetzt auf das Beste. Aber ich habe schon fast aufgegeben."
rtr