Am Sonntag hatte die Regierungschefin auf dem Landsitz in Chequers aufgebrachte Brexit-Verfechter aus der eigenen Partei beruhigen müssen. Dazu gehörten vor allem Ex-Außenminister Boris Johnson, der einflussreiche Abgeordnete Jacob Rees-Mogg und die Minister David Lidington and Michael Gove. Ein Medienbericht, wonach sie May stürzen wollten, wurde dementierte. In London berieten die Minister am Montag über eine Reaktion auf den Versuch des Parlaments, die Kontrolle über den Brexit zu übernehmen. Dieses Treffen begann am Vormittag, verlautete aus Regierungskreisen. Danach werde das Kabinett zusammen mit May tagen. Am Nachmittag sollte dann das Parlament zusammenkommen.
Dabei wird das Unterhaus zunächst über einen Vorschlag Mays debattieren, die EU "auf geordnete Art und Weise" zu verlassen. Danach wird Parlamentspräsident John Bercow gegen 16.30 Uhr (MEZ) bekanntgeben, ob er Abstimmungen über Ergänzungsanträge zulässt. Von denen liegen insgesamt sieben vor. Einer der wichtigsten kommt vom Abgeordneten Oliver Letwin und soll für Mittwoch Testabstimmungen über eine Reihe von alternativen Brexit-Vorgehensweisen ermöglichen. Damit soll ausgelotet werden, welcher Plan eine Mehrheit finden kann. Die Voten wären unverbindlich, hätten aber trotzdem politisches Gewicht und wären für May nur schwer zu ignorieren. Bei einem Erfolg würde im Endeffekt das Parlament von der Premierministerin die Kontrolle über den festgefahrenen Ausstiegsprozess übernehmen.
May stellte einem Bericht des Senders ITV zufolge partei-internen Kritikern ihren Rücktritt in Aussicht, sollten sie doch noch dem Austritts-Deal mit der EU zustimmen. Dies habe May bei dem Treffen am Sonntag zugesichert, erklärte der ITV-Journalist Robert Peston unter Berufung auf Insider. May habe aber keine Einzelheiten genannt. Daher bestehe Skepsis, dass sie diesen Schritt tatsächlich vollziehen werde.
EU: KONZERNE GUT AUF HARTEN BREXIT VORBEREITET
Die britische Arbeitsministerin Amber Rudd stärkte May den Rücken. May solle nicht zurücktreten, sagte Rudd. Auf die Frage, ob das Parlament eine Lösung finden werde, ergänzte sie, es bestehe die Verpflichtung, Mays Brexit-Deal zu verabschieden. Handelsminister Liam Fox hat nach eigener Aussage keine Forderungen aus der konservativen Partei gehört, dass May zurücktreten solle. "Ich höre nicht, dass Parteimitglieder wollen, dass May geht", sagte Fox.
In der Bevölkerung wächst gleichzeitig der Unmut über die Brexit-Politik der Regierung. Hunderttausende Briten demonstrierten am Wochenende in London gegen einen Austritt aus der EU und forderten ein zweites Brexit-Referendum. Die Organisatoren sprachen von mehr als einer Million Teilnehmern und damit deutlich mehr als bei einer ähnlichen Kundgebung im Oktober. Diese war mit etwa 700.000 Demonstranten die bislang größte Kundgebung gegen Brexit.
Die EU hat Großbritannien Ende voriger Woche einen Aufschub gewährt, so dass das Land nicht wie ursprünglich geplant am kommenden Freitag aus der Gemeinschaft austreten muss. Sollte sich das Unterhaus in einer dritten Abstimmung nun doch noch für die von May mit der EU ausgehandelte Vereinbarung entscheiden, käme es am 22. Mai zu einem geregelten Brexit. Setzt May sich nicht durch, läuft eine Frist bis zum 12. April, in der Großbritannien der EU einen neuen Vorschlag unterbreiten oder sich für einen ungeregelten Brexit entscheiden kann. Nach Aussagen eines EU-Vertreters sind die übrigen 27 Länder der Staatengemeinschaft auf einen abrupten Brexit vorbereitet. Große Konzerne seien ebenfalls gewappnet, doch fehle kleinen Firmen häufig die Erfahrung mit Zollkontrollen.
rtr