Die Börsenkurse haben sich völlig von der Wirtschaft entkoppelt. Das signalisiert zumindest der Buffett-Indikator, eine Faustformel des milliardenschweren US-Börsengurus Warren Buffett. Diese setzt die amerikanische Wirtschaftsleistung ins Verhältnis zum Wert aller an der US-Börse notierten Unternehmen. Demnach liegt der Börsenwert aller US-Aktien derzeit bei 228 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit fast doppelt so hoch wie der langjährige Durchschnitt von 120 Prozent, den Experten auch als fairen Preis für Aktien ansehen. Nicht einmal vor dem Platzen der Internetblase waren die Aktienpreise so stark von der wirtschaftlichen Realität entkoppelt.
Nachdem der US-Börsenblog "Current Market Valuation" die Kennzahl vor wenigen Tagen veröffentlicht hatte, zeigten sich diverse US-Börsenexperten schockiert. "Das unterstreicht die bemerkenswerte Manie am US-Aktienmarkt, deren Zeuge wir gerade werden", warnte etwa Marktstratege Michael O'Rourke von JonesTrading gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die ultralockere Geldpolitik der US-Notenbank zum Dauerzustand werde, "rechtfertigt das nicht, dass man das doppelte des 25-jährigen Durchschnitts für Aktien zahlt."
In der Vergangenheit stürzten die Kurse nach solchen Höchstbewertungen regelmäßig ab. Der heutige Rekord von 228 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht laut Börsenblog "Current Market Valuation" einer Überbewertung von 88 Prozent. In der Internetblase um die Jahrtausendwende hatte die Überbewertung ihren letzten Höchststand von 71 Prozent erreicht. Damals stürzten US-Aktien im Jahr 2000 um ein Drittel und im Jahr 2002 um ein weiteres Drittel ab. Auch vor der Finanzkrise im Jahr 2008 waren Aktien deutlich teurer als der langjährige Durchschnitt. Damals kollabierten die Kurse sogar um rund 60 Prozent.
Gleichwohl ist die Faustformel von Starinvestor Buffett nicht unumstritten. Zu ihren Kritikern gehört zum Beispiel John Greenwood, Chefökonom der US-Fondsgesellschaft Invesco, die rund 1,2 Billionen US-Dollar an Kundengeldern verwaltet. Er weist zum einen darauf hin, dass der Indikator die Rolle der Notenbanken und der Geldpolitik unterschätzt. So würden die Bewertung von Aktien schon seit langer Zeit eher im Gleichklang mit der in Umlauf befindlichen Geldmenge steigen. Die wachse schon seit den 50er Jahren mit 7,2 Prozent pro Jahr und damit schneller als die Wirtschaftsleistung, die seither nur um 6,3 Prozent gestiegen sei. Zum zweiten seien die US-Aktienkonzerne längst keine rein amerikanischen Konzerne mehr, da sie - siehe Apple, Microsoft, Tesla oder Amazon - ihre Geschäfte weltweit machen. Die US-Wirtschaftsleistung greife als Vergleichsmaßstab für die Bewertung von in den USA notierten Aktien viel zu kurz. "Wer die Marktkapitalisierung von US-Aktien dem nominalen BIP der USA gegenüberstellt, vergleicht also Äpfel mit Birnen", so Greenwood.