€uro: Herr Mundt, werfen Ihnen Ihre Kinder manchmal vor: "Papa, du machst uns Facebook kaputt"?
Andreas Mundt: Nein, das nicht. Meine Kollegen und ich stellen weder das Geschäftsmodell von Facebook noch das von Amazon infrage. Wir wollen im Sinne der Nutzer die Effizienz dieser Unternehmen erhalten, aber auch dafür sorgen, dass sie ihre Marktmacht nicht zulasten der Kunden ausnutzen.

Wie soll das funktionieren? Schließlich sammelt Facebook nicht nur die Daten, die wir im Netzwerk Facebook, sondern auch bei den Töchtern Instagram und dem ­Chatdienst Whatsapp hinterlassen.
Wir fordern, dass Facebook die Daten nur dann zusammenführen und verwerten darf, wenn der Nutzer dem auch zustimmt. Und wenn er nicht einwilligt, soll er dennoch ­Facebook nutzen können. Das darf er nämlich bislang nicht. Ein funktionierender Wettbewerb zeichnet sich dadurch aus, dass der Verbraucher die freie Wahl hat.

Facebook leistet Widerstand. Die Verhandlung läuft vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Wie effektiv können Sie denn als nationale Behörde gegen einen inter­nationalen Konzern sein?
Da mache ich mir, ehrlich gesagt, keine Sorge. Wir können jede Wettbewerbsbeschränkung aufgreifen, die sich auf die Bundes­re­publik Deutschland auswirkt. Und dass uns das auch bei ausländischen Unternehmen ­gelingt, haben wir schon mehrfach unter ­Beweis gestellt.

Sie haben erreicht, dass Amazon bessere Bedingungen für die Händler auf seinen Plattformen weltweit einrichten muss. Würden Sie sich wehren, wenn man Sie ­wegen solcher Entscheidungen den mächtigsten Beamten Deutschlands nennt?
Dieser Titel passt sicher nicht. Wir schützen den Wettbewerb, und dazu gehört es heut­zutage selbstverständlich, dass man sich auch mit den großen Internetplayern aus­einandersetzt. Das muss Priorität haben.

Gegen das Hotelbuchungsportal Booking.com haben Sie verloren, wurmt Sie das?
Wir waren enttäuscht, dass das Oberlandesgericht anderer Auffassung war. Booking.com hat mittlerweile einen Marktanteil von über 60 Prozent, viele Hotels müssen auf dem Portal sein, um gefunden zu werden. Und deshalb hätten wir das Gericht eben ­gern davon überzeugt, dass eine Klausel, die es den Hotels verbietet, auf ihren ­eigenen Websites einen besseren Preis als bei Booking.com zu nehmen, den Wett­bewerb be­einträchtigt.

Wie gehen Sie nun vor?
Wir haben beim Bundesgerichtshof eine Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht. Mit deren Hilfe wollen wir erreichen, dass das Verfahren noch einmal aufgerollt wird.

Kaufen Sie bei Amazon ein?
Unter anderem auch dort, ja.

Wie sehen Sie - als Kunde und Nutzer von Amazon, Facebook, Google und Co - den Spagat zwischen Bequemlichkeit und der Preisgabe von Daten?
Es stellt ja niemand infrage, dass diese Unternehmen gute Dienstleistungen bieten und dann auch noch, ohne dass ich dafür Geld zahlen müsste. Wir zahlen vor allem mit unseren persönlichen Daten. Diesen von Ihnen angesprochenen Spagat muss jeder Verbraucher für sich selbst hinbekommen. Um entscheiden zu können, muss der Verbraucher aber informiert sein. Die Funktionsweise der Plattformen und ihrer Geschäftsmodelle muss transparent sein. Und dann müssen wir sicherstellen, dass der Verbraucher auch tatsächlich eine echte Wahl hat und wirklich bestimmen kann, welche Daten er wo hinterlässt und was damit dann geschieht.

Derzeit stehen die amerikanischen Unternehmen am Pranger, was ist mit chinesischen wie Baidu, Alibaba und Tencent?
Die chinesischen Anbieter kommen allmählich nach Europa. Wir beobachten das, aber deren Aktivitäten sind derzeit noch kein ­Thema für die Wettbewerbsbehörden. Aber das kann sich natürlich bald ändern.

Ein anderes Feld, auf dem Sie derzeit unterwegs ist, sind Nutzerwertungen im Netz. Wie kann man solche Beurteilungen objektiv überprüfen, ob sie echt sind oder nicht?
Das versuchen wir gerade herauszufinden. Nutzerbewertungen haben für immer mehr Kaufentscheidungen und Auftragsvergaben eine sehr große Bedeutung. Dabei spielt nicht nur die Qualität, sondern auch die Anzahl der Bewertungen eine wichtige Rolle. Wir wollen ganz genau wissen, wie sie zustande kommen, und zum Beispiel untersuchen, in welchem Ausmaß es sich nicht um echte, objektive Nutzer handelt, die Bewertungen abgeben.

Solche Untersuchungen machen Verbraucherverbände wie der Verbraucherzen­trale Bundesverband (VZBV) mit seinen Marktwächtern doch schon lange.
Das stimmt, aber als Behörde haben wir weitgehende Ermittlungsbefugnisse. Wir können die Unternehmen nötigenfalls auch zwingen, uns ihre Daten und Strategien zu erklären und offenzulegen. Gerade bei Unternehmen aus der Internetwirtschaft ist das ein entscheidender Vorteil.

Sind der VZBV und Co also überflüssig?
Auf keinen Fall, nein! Sie sind wichtig und machen hervorragende Arbeit. Wir sind nur ergänzend tätig. Das sieht man schon daran, dass in unseren Abteilungen, die an den ­einzelnen Themen arbeiten, vielleicht zehn Leute sitzen. Die würden die Arbeit der Verbände im Leben nicht ersetzen können. Selbst wenn wir mehr Leute wären oder weiter ­reichende Befugnisse hätten.

Was tun Sie, wenn Google Pay oder Apple Pay auf den Markt für Zahlungsdienstleistungen kommen?
Wir beobachten das jetzt schon genau. Facebook geht sogar noch weiter und versucht sich an einer eigenen Währung. Natürlich hat das auch wettbewerbliche Implikationen.

Können Sie solche Themen überhaupt aufgreifen? Schließlich sind das ja neue Geschäftsfelder, in denen die Unternehmen bislang noch nicht tätig sind.
Das ist tatsächlich ein großes Thema. Diskutiert werden Gesetzesänderungen, um künftig so etwas wie eine vorbeugende Missbrauchsaufsicht machen zu können.

Wie sähe diese aus?
Wenn große Internetplattformen sich neue Geschäftsfelder erschließen möchten, könnten wir dies kritisch prüfen, dem Gedanken folgend: "Ihr unterliegt besonderen Vorgaben. Ihr habt noch keinen großen Marktanteil, aber Ihr bringt Abermillionen Kunden mit all deren Daten mit und habt das Poten­zial, diesen Markt aufzurollen."

Denken Sie, dass die Höhe der Bußgelder, die Sie verhängen, abschreckend genug ist?
Ich finde die Regelung, maximal zehn Prozent des Umsatzes eines Unternehmens als Buße verhängen zu können, gut. In der Regel liegen die Strafen deutlich darunter. Und wir werden scharf von Gerichten kontrolliert. Die Unternehmen sind heute darüber hinaus damit konfrontiert, dass es kaum einen Kartellfall gibt, bei dem es neben dem verhängten Bußgeld nicht auch noch zivilrechtliche Schadenersatzforderungen gibt. Das finanzielle Risiko bei einer Kartellbeteiligung steigt. Aber das Bußgeld hat nun einmal einen rein ahndenden Charakter, die zivilrechtlichen Forderungen dienen dem Ausgleich des er­littenen Schadens der Opfer des Kartells.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will nationale oder europäische Champions schaffen, um den Unternehmen aus China entgegenzutreten. Ist das nicht staatlich verordnete Wettbewerbsverzerrung?
Man muss hier zwei Dinge unterscheiden. Es kann nur richtig sein, über eine deutsche und europäische Industriestrategie zu diskutieren. Unternehmen, die aus der Marktwirtschaft kommen, treffen auf Unternehmen aus einer protektionistischen und subventionierenden Staatswirtschaft. Ich halte es aber für problematisch, in diesem Rahmen Anpassungen des Wettbewerbsrechts zu fordern. Gerade wegen unseres gut funktionierenden Wettbewerbs in Europa haben wir ja schon heute viele global erfolgreiche Unternehmen. Es gibt aber andere Themen, die wir anpacken müssen.

Welche?
Wieso können sich Unternehmen aus China in Europa um öffentliche Aufträge bewerben, wenn es europäische Firmen in China nicht können? Das passt doch nicht. Der Schutz ausländischer Investitionen, Schutz des geistigen Eigentums, da gibt es Unwuchten, und es ist gut, wenn die Politik diese ­beseitigen will.

Welche Rolle kann da Ihre Behörde spielen?
Ich glaube auch, dass wir europäische Champions brauchen, aber ich glaube nicht, dass das Wettbewerbsrecht diesen im Weg steht. Wir haben hier in Europa einen funktionierenden Wettbewerb, der für niedrige Preise, gute Qualität und vor allem auch für Inno­vationen sorgt. Das kommt den Kunden und den Verbrauchern zugute und sorgt auch ­dafür, dass europäische Unternehmen international erfolgreich sein können. Wenn wir den Wettbewerb vermindern oder ihn nicht hinreichend schützen, haben wir auch we­niger Innovationen, Unternehmen können höhere Preise durchsetzen, und wir haben weniger Wohlstand.

Andreas Mundt wurde 1960 in Bonn geboren und studierte dort und in Lausanne Jura. Zunächst arbeitete er ab 1991 als Referent, unter anderem zuständig für den ­Aufbau Ost, im Bundeswirtschaftsministerium. Danach war als Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion und der Abgeordneten Gisela Babel tätig. Im Jahr 2000 kam er zurück nach Bonn ins Bundeskartellamt, wo er Ende 2009 zu dessen Präsidenten ernannt wurde. Er ist der ­erste Kartellamtspräsident, der die Verfahren seiner Behörde regelmäßig in die Öffentlichkeit trägt. Mundt gilt als unaufgeregt, überaus höflich, aber hart in der Sache. Der dreifache Familienvater entspannt beim Wandern in den Bergen oder hinter dem Steuer von kleinen schnellen Autos. Er schwärmt noch heute von seinem Alfa Romeo Spider und seinem ­Fiat Panda, die er einst besaß.

Das Bundeskartellamt
Die 1958 - übrigens gegen den Widerstand der Wirtschaft - gegründete Behörde soll für einen freien und ungehinderten Wettbewerb in Deutschland sorgen. Solange die umstrittenen Geschäfte in Deutschland gemacht werden, kann das Amt auch gegen ausländische Unternehmen Verfahren eröffnen und nötigenfalls Bußgelder verhängen. Lange Jahre hatten die Kartellwächter ihren Sitz in Berlin. 1999 wurde das Amt im Zuge des Berlin-Bonn-Gesetz nach Bonn verlegt. Derzeit kümmern sich 350 Mitarbeiter um den ­freien Wettbewerb. Neben Experten für die einzelnen Branchen und Juristen ­werden immer mehr ­IT-Fachleute eingestellt.