Am kommenden Montag und Dienstag wird sich der Finanzausschuss des Bundestags erneut mit dem Wirecard-Bilanzskandal befassen. Danach könnte ein Untersuchungsausschuss mit deutlich mehr Befugnissen wie Zeugenvernehmung und umfassender Akteneinsicht die Aufklärung vorantreiben.
Während das Insolvenzverfahren bereits seit vergangenem Dienstag läuft, das Unternehmen praktisch zerschlagen wird und mehr als der Hälfte der 1300 Mitarbeiter in Deutschland gekündigt wurde, soll es in Berlin um die politische Verantwortung des Bilanzskandals gehen.
Personelle Konsequenzen hat inzwischen der Finanzexperte der FDP, Florian Toncar, gegenüber €uro am Sonntag gefordert. "Bei Wirecard ist es zu einer unheilvollen Solidarisierung der Aufsicht mit dem Unternehmen gekommen, mit katastrophalen Folgen", erläutert der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion. "Ich rechne damit, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird und dessen Arbeit am Ende zu organisatorischen, aber auch zu personellen Konsequenzen führt. Als einen Hauptverantwortlichen im Bundesfinanzministerium sehe ich Finanzstaatssekretär Jörg Kukies." Die dem Finanzministerium unterstellte Finanzaufsicht Bafin steht in der Kritik, Wirecard nur unzureichend geprüft zu haben. "Unsere Vermutung ist, dass Wirecard aus politischen Gründen als nationaler Champion aufgebaut werden sollte und dass deshalb die Aufsicht nicht durchgegriffen hat."
Auch Bayerns Steuerbehörden und die Justiz geraten zunehmend in die Schusslinie: "Warum hat das für Wirecard zuständige Finanzamt die Abschlüsse nicht strenger untersucht?", fragt Toncar. "Warum wurden Geldwäschevorwürfe nicht verfolgt? Warum hat sich die Staatsanwaltschaft München mit Ermittlungen so lange zurückgehalten? Die bayerischen Verwaltungsbehörden hätten die Missstände und Manipulationen bei Wirecard möglicherweise aufdecken können."
Nach wie vor wird gemauert
Für Oppositionsparteien wie FDP, Linke oder Grüne ist der Bilanzskandal eigentlich eine Steilvorlage. Doch bis zuletzt haben die Grünen beim Untersuchungsausschuss gezögert - aus wahltaktischen Überlegungen, wie spekuliert wurde. Der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz deutete jetzt gegenüber €uro am Sonntag jedoch Zustimmung an: "Wenn sich der Eindruck nicht verändert, dass uns wichtige Informationen oder Dokumente vorenthalten oder nur widerwillig bereitgestellt werden, sehe ich keine Alternative zu einem Untersuchungsausschuss", sagte Bayaz im Interview. Als Ursache für den Wirecard-Skandal, der "gigantischen Schaden" für den Finanzplatz Deutschland und die Aktienkultur angerichtet habe, sieht Bayaz ein "System der kollektiven Unverantwortlichkeit". Finanzaufsicht Bafin und Wirtschaftsprüfer spielten eine zentrale Rolle. Die politische Verantwortung liege aber bei Finanzminister Olaf Scholz. "Scholz hat sicher nicht mutwillig falsch gehandelt, aber möglicherweise fahrlässig, wenn er trotz Hinweisen keine genauere Prüfung veranlasst hat." Zu Spekulationen über eine Ablösung von Bafin-Chef Felix Hufeld sagte Bayaz: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die dringend nötige Neuaufstellung der Finanzaufsicht ohne eine personelle Neuaufstellung funktioniert."
Unterdessen hat Insolvenzverwalter Michael Jaffé das Insolvenzverfahren über Wire- card eröffnet. Vom einstigen Börsenstar wird kaum etwas übrig bleiben. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sei angesichts fehlender Liquidität und der skandalösen Begleitumstände äußerst schwierig, sagte Jaffé. Von den 1300 Mitarbeitern am Firmensitz in Aschheim blieben zunächst noch 570 an Bord, darunter 220 der nicht insolventen Wirecard Bank. Von den Kündigungen sind auch die beiden verbliebenen Vorstände Susanne Steidl und Finanzchef Alexander von Knoop betroffen. Ex-Chef Markus Braun sitzt in Haft, Asien-Vorstand Jan Marsalek ist auf der Flucht.