Von Haus aus ist Thomas Treß weder Westfale noch Borusse. Der langjährige Finanzchef des börsennotierten Fußballklubs Borussia Dortmund stammt aus Baden-Württemberg. Fußball hat nach eigenem Bekunden bis zum Dezember 2004 in seinem Leben quasi nicht stattgefunden. Damals übernahm der Finanzexperte gemeinsam mit Hans-Joachim Watzke die Aufgabe, den BVB aus "dem Vorraum zur Pathologie", wie Treß es formuliert, ins Leben zurückzuholen. Der Ballspielverein hatte seinen sportlichen Höhenflug mit Schulden erkauft. Nun drohten die Insolvenz und der Entzug der Profilizenz. Die Sanierung gelang. Wenig später wechselte Treß ganz auf die Seite der Schwarz-Gelben.

€uro am Sonntag traf ihn in der Geschäftsstelle von Borussia Dortmund. Im Unterschied zu den anderen Räumlichkeiten dort hängen in seiner Abteilung nicht die üblichen Bilder von Spielszenen oder den Helden von damals, sondern ausschließlich Werke zeitgenössischer Maler zieren die Wände in der Umgebung des Kunstliebhabers.

€uro am Sonntag: Nach der Hälfte des Geschäftsjahres weist Borussia Dortmund einen Verlust aus. Wie ist Ihre Erwartung für das Gesamtjahr?

Thomas Tress: Wir haben bei der Veröffentlichung der Zahlen zum vergangenen Geschäftsjahr eine Schätzung für das laufende Jahr unter hohen Unsicherheiten abgegeben. Damals haben wir von einem möglichen Verlust von 70 bis 75 Millionen Euro gesprochen. Auch aktuell bekommen wir die Schätzung nicht besser gegriffen, weil etliche, wesentliche Berechnungsgrößen weiter offen sind.

Welche sind das?

Wir wissen nicht, wie lange wir wegen Corona noch auf Zuschauereinnahmen verzichten müssen. Auf der positiven Seite sind wir in allen Wettbewerben noch im Rennen. Das kann sich weiter zum Guten entwickeln. Außerdem sind die Entwicklungen am Transfermarkt in diesem Sommer nicht klar abzusehen. Im Bereich außerordentlicher Transfers von Topstars sieht es sicher nicht so schlecht aus, wie wir das für die "normalen" Transfers im niedrigen und mittleren Preissegment erwarten. Insgesamt ist es daher auch heute extrem schwierig, wenn nicht unmöglich, eine belastbarere Prognose abzugeben. Aber dass es ein positives Ergebnis sein wird, davon ist nicht auszugehen.

Was bedeutet das für die Dividende?

Unser Kerngeschäft Fußball ist massiv durch Corona belastet. Und dies wird sich erst wieder erholen, wenn ein einigermaßen normales Fußballgeschehen stattfindet. Eine Dividende kann man vernünftigerweise aber nur dann zahlen, wenn Überschüsse erwirtschaftet werden. Anderenfalls würden wir Substanz ausschütten. Das bringt auch den Aktionären nichts. Es geht jetzt darum, stabil durch die Corona-Krise zu kommen.

Können Sie den Schaden durch Corona beziffern?

Den Schaden durch Corona in einer Zahl greifbar zu machen, das mag mit groben Schätzungen machbar sein, wenn man allein die Verluste betrachtet, aber da ist vor allem das Thema Transfer nicht drin. Im vergangenen Jahr hatten wir einen Verlust von rund 44 Millionen Euro. Doch der Rückgang unserer Marktkapitalisierung im vergangenen Jahr hat deutlich nichts mehr damit zu tun, was tatsächlich an Ertragswegfall stattgefunden hat, zumal wir auf der Kostenseite gegengesteuert haben.

Wie haben Sie das getan?

Wir haben sämtliche größeren Projekte im Investitionsbereich, soweit sie verschiebbar waren, verschoben. Unsere Reduktion beim sonstigen betrieblichen Aufwand war substantiell. Das hat auch damit zu tun, dass wir unseren Vermarktungsvertrag mit Sportfive ökonomisch umstrukturieren und dort erhebliche Einsparungen realisieren konnten. Da reden wir aufs Jahr gerechnet von 15 Millionen Euro. Wir waren auch im Transferbereich zurückhaltend. Der Kader hat im letzten Transferfenster keine so großen Veränderungen erfahren wie in vergangenen Jahren.

Wie entwickelt sich der Transfermarkt in Zeiten von Corona?

Im Top-Transferbereich mag es einige wenige große Transfers geben, wenn die von uns sogenannten Eigentümerklubs, wie etwa Paris St. Germain, Chelsea oder Manchester City, am Markt aktiv werden.

Betrifft das Borussia Dortmund?

Ob überhaupt, wie und wann Borussia Dortmund davon betroffen wäre oder aktiv würde, dazu kann ich mich angesichts vieler offener Parameter nicht sinnvoll äußern und werde es auch nicht tun.

Wie erwarten Sie den Markt für durchschnittliche Transfers?

Wir sehen für den Sommer, dass viele Klubs in Deutschland und im Ausland ihre Finanzlöcher durch Verkaufstransfers kompensieren wollen. Ich habe massive Zweifel, dass diese Rechnung aufgeht, weil sehr viele Vereine das gleiche Problem haben. Kaum ein Verein hat noch so viel Geld übrig, um überhaupt Transfers mit Cash durchzuführen. Deshalb glaube ich, dass sich der normale Transfermarkt im durchschnittlichen Bereich im nächsten Sommer in Deutschland eher schwach darstellen wird und dass es auch international schwierig wird, Transfers zu machen.

Die DFL wird die wegen Corona ausgesetzte Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Lizenzvergabe wieder aufnehmen. Erwarten Sie Insolvenzen?

Die Fußballliga ahndet, anders als bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung vor Corona, die Unterdeckung auf der Liquiditätsseite im Lizenzierungsverfahren nicht mit einem Ausschluss. Wenn Sie als Klub im Frühjahr eine Unterdeckung ausweisen, müssen Sie die bis Mitte September ausgleichen, sei es durch Transfers, zusätzliche Erlöse oder was auch immer, ansonsten droht Punktabzug, aber keine Nicht-Erteilung der Lizenz. Man hat diesen Weg gewählt, um den Klubs in der aktuellen Situation Zeit zu geben, Dinge zu regeln. Transparenz hinsichtlich dessen, ob und inwieweit Klubs in dieser oder der nächsten Saison insolvent werden könnten, haben wir nicht, zumal die DFL verständlicherweise uns gegenüber diese Transparenz nicht herstellt.

Trifft Corona eher die großen oder die kleinen Klubs?

Klubs, die sehr hohe Umsätze erzielen, können in der Krise auch tiefer fallen. Ich glaube, dass wir, aber auch die Bayern, deutlich mehr an Erlösen verlieren als kleinere Klubs. Letztere haben auch, was ihre Kosten, insbesondere Kaderkosten, betrifft, sehr viel kleinere Budgets. Und gerade im Bereich Personalkosten ist die Flexibilität nicht so hoch, wie man sie sich manchmal wünscht. Es gab Verzicht auch in unserem Kader, der aber ist sowohl prozentual als auch zeitlich begrenzt. Wir freuen uns, dass der Kader das macht. Es kompensiert aber nicht den Erlösschaden, den der Klub hat. Dieser Erlösschaden trifft einen umso mehr, je höher die Fallhöhe ist. Schwer dürfte es für Vereine werden, die vor Covid-19 unterfinanziert waren und sich heute von Tag zu Tag retten - so es sie denn gibt.

Was passiert, wenn Sie diese Saison die Champions League verpassen?

Sollte dieser Betriebsunfall, so will ich ihn mal bezeichnen, tatsächlich eintreten, werden wir trotzdem für die nächste Saison durchfinanziert sein. Wir müssten dann natürlich gewisse Kostenpositionen betrachten. Es ist aber auch klar, dass die Existenz von Borussia Dortmund dadurch nicht in irgendeiner Form gefährdet ist.

Leidet dann die Attraktivität des BVB für junge, talentierte Spieler?

Ich glaube nicht. Denn diese Spieler wissen, dass die Strahlkraft von Borussia Dortmund nicht verblasst, wenn der Verein eine Saison nicht in der Champions League spielt. Zumal die allermeisten europäischen Spitzenklubs die Königsklassen-Teilnahme in den vergangenen zehn Jahren mal verpasst haben. Die Spieler wissen, dass Borussia Dortmund für sie eine Adresse ist, bei der sie sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, wenn sie ihre Leistung bringen, auf internationalem Parkett zeigen können. Außerdem sind noch elf Spieltage zu absolvieren. Da müssen wir eben unsere Chancen nutzen, ausreichend zu punkten. Und der Kader ist dazu in der Lage. Wir sind überzeugt von der Qualität, die in unserer Mannschaft steckt.

Wie beurteilen Sie es, wenn sich die Politik in die Rettung von Klubs einmischt und Landesbürgschaften, etwa für den Reviernachbarn aus Gelsenkirchen, vergibt?

Ich kenne die Rahmenbedingungen für diese Bürgschaft nicht. Aber ich finde, wenn ein Fußballklub pandemiebedingt Probleme hat, dann ist er in der ersten Betrachtung ein Unternehmen wie jedes andere. Die Politik hat dahingehend kaum Verständnis gezeigt, weil man häufig den Fußball mit Millionären gleichsetzt, die dort spielen. Dann heißt es schnell, sollen doch die Spieler auf Geld verzichten. Fakt ist aber auch, Klubs sind Wirtschaftsunternehmen mit Zehntausenden Angestellten, die wenigsten von ihnen sind Millionäre. Und Fußball ist ein wesentliches Kulturgut. Am vergangenen Wochenende - um nur das Beispiel eines Senders und eines Formats zu nennen - haben mehr als fünf Millionen Menschen die ARD-Sportschau am Samstagabend geschaut. Die Einschaltquote lag über der 20-Prozent-Marke.

Funktioniert Financial Fairplay in Europa?

Jein. Financial Fairplay ist - pre Covid - eine sehr gute Idee. Wir haben Fälle gesehen, die sich ein wenig aus den Konsequenzen rausgemogelt haben. Aber man merkte in den vergangenen Jahren, dass die Wirkung sukzessive besser wurde. Nach den Lockerungen der Regeln in der Pandemie wird man sehen müssen, zu den alten Regularien zurückzukehren. Es ist ein wichtiges Instrument, finanzielle Exzesse zu unterbinden oder zumindest einzuschränken.

Wie überbrücken Sie den Widerspruch zwischen traditioneller Fankultur und zunehmender Kommerzialisierung?

Ich sehe darin keinen Widerspruch. Die Fans sind nicht nur die emotionale, sondern auch die ökonomische Basis für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg von Borussia Dortmund. Es ist ein Fehler, über den Wunsch nach einer kurzfristigen Gewinnmaximierung den Fans tief in die Tasche zu greifen. Damit tritt man seiner Fußballfamilie vors Knie. Deshalb erhöhen wir beispielsweise die Ticketpreise lediglich in Höhe der Inflationsrate. Wir versuchen nicht, das Maximum aus der Zitrone auszupressen, weil wir überzeugt sind, dass es wichtiger ist, die Zahl der Menschen, die Borussia Dortmund folgt, zu vergrößern und dann anschließend dieses Asset auf der TV-Seite oder beim Sponsoring möglichst optimal zu kapitalisieren.

In früheren Geschäftsberichten hatten Sie das Ziel, unter die ersten Zehn der Uefa-Rangliste zu kommen. Heute peilen Sie einen Platz in der Spitzengruppe der Bundesliga an. Hat sich etwas geändert?

Uns geht es darum, den sportlichen Erfolg zu maximieren, ohne das auf Kreditbasis zu tun. Momentan funktioniert das nicht, wegen Corona. Zum 31.12.2020 hatten wir 28,8 Millionen Euro unserer Kreditlinien von 120 Millionen Euro in Anspruch genommen. Wir wollen aber nicht dauerhaft Schulden auftürmen, sondern diese wieder auf den Stand von vor Corona zurückführen. Uns ist langfristiges organisches Wachstum wichtiger als kurzfristiger sportlicher Erfolg zulasten der Finanzstabilität. Es gibt kein absolutes Ziel, etwa Platz 5 in Europa oder Deutscher Meister zu werden. Was aber nicht heißt, dass wir es nicht wollen. Aber wir sind nicht bereit, dazu die Finanzstabilität von Borussia Dortmund zu opfern. Wir wollen möglichst durch Effizienz, Kreativität und Konformität mit dem Markenkern von Borussia Dortmund den Erfolg maximieren. Das haben wir in den vergangenen Jahren getan: Umsatz- und Kapitalwachstum haben gezeigt, dass wir auf einem richtigen Weg waren.

Fußballaktien werden nicht von jedem Investor geschätzt. Wie begegnen Sie dieser Skepsis?

Wir haben nicht wenige Value-Investoren, insbesondere aus dem angloamerikanischen Bereich, die unser Wachstum sehen und unsere Strategie dahinter verstehen, die auch in der mittel- bis langfristigen Betrachtung greift. Wir stehen für Wachstum in Bezug auf die Erlöse, die Eigenkapitalstärke und den sportlichen Erfolg. Schauen Sie sich den aktuellen Wert unseres Kaders von über einer halben Milliarde Euro oder den Wert unserer Marke an oder des Stadions und vergleichen Sie das mit der Situation vor 15 Jahren, als Borussia Dortmund quasi am Fliegenfänger hing. Insofern halte ich Erfolg auch im Fußball für planbar. Aber es funktioniert nicht, einfach einen zusätzlichen dreistelligen Millionenbetrag in den Kader zu investieren, und dann kommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Gewinn der Champions League heraus.

Fühlen Sie sich mit dem BVB am Kapitalmarkt wohl?

Die Börsennotierung hat uns in der Sanierungsphase geholfen. Damals hatte Borussia Dortmund ungefähr 75 Millionen Euro Umsatz und etwa 200 Millionen Finanzschulden. Dieses Problem ließ sich nicht allein mit Kreativität im Marketing und Finanzstrategien lösen. Dazu haben wir den Kapitalmarkt genutzt. 2006 gab es zwei Kapitalmaßnahmen, mit denen wir die Schuldenlast auf ein stemmbares Niveau drücken konnten. Auch aufgrund der Kapitalmarktnotierung hatten wir einen Vorteil, den andere in einer ähnlichen Situation nicht haben. Wir konnten uns Eigenkapital besorgen. Es ist durchaus kein Malus, an der Börse zu sein. Die von einer börsennotierten Gesellschaft geforderte Transparenz spornt an zu mehr Professionalität in puncto Aufsichts- und Managementstrukturen oder beim Thema Corporate Governance - oder auch in Sachen Nachhaltigkeit.
 


Vita:

Kunstliebhaber

Der 1966 im baden-württembergischen Riedlingen geborene und heute in Köln lebende Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kümmert sich seit Oktober 2006 beruflich um die Finanzen von Borussia Dortmund. Vor seiner Geschäftsführertätigkeit bei einem der wenigen börsennotierten Fußballklubs in Deutschland war Thomas Treß Generalbevollmächtigter und Partner einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Im Rahmen dieser Tätigkeit übernahm er die Sanierung von Borussia Dortmund. Seine private Leidenschaft gilt der zeitgenössischen Kunst.