Plastik ist in Verruf geraten, zu viel davon landet in der Umwelt, zu wenig nachhaltig erscheint die Produktion auf Basis von Erdöl. Nicht nur Flaschen und Verpackungen sind dabei ein Problem, sondern in noch viel größerem Ausmaß Textilien, die Kunstfasern enthalten. Die Flut an Kleidung, die täglich erzeugt wird, ist aus Nachhaltigkeitssicht eine Einbahnstraße. Denn das Fasergemisch lässt sich bisher kaum wirtschaftlich recyceln. Das französische Unternehmen Carbios verfügt über eine Technologie, die das ändern kann, sagt CEO Emmanuel Ladent.
€uro am Sonntag: Herr Ladent, Carbios hat gerade eine groß angelegte Partnerschaft mit den Schuh- und Sportswear-Herstellern On, Patagonia, Puma und Salomon geschlossen. Worum geht es dabei?
Emmanuel Ladent: Carbios’ Hauptaktivität ist das Bio-Recycling von PET. PET ist eine Art von Plastik, das man zum Beispiel in Flaschen und Verpackungen in der Lebensmittelindustrie und in der Kosmetikindustrie findet. Zwei Drittel des weltweiten PET-Verbrauchs entfallen jedoch auf Polyesterfasern für Textilien, Kleidung und Sportbekleidung. Wir haben bereits in der Vergangenheit mit L‘Oréal, Nestlé Waters, Pepsico und Suntory, großen Partnern aus der Getränke- und Lebensmittelbranche, bewiesen, dass unsere Recycling-Technologie mit Verpackungen funktioniert. Jetzt steigen wir in die Textilindustrie ein. Das bedeutet mindestens eine Verdoppelung unserer Marktgröße. Das Ziel dieser zweijährigen Vereinbarung ist, unseren Partnern zu beweisen, dass unsere Bio-Recycling-Technologie funktioniert. Wir sammeln Textilabfälle, verarbeiten sie und sind in der Lage, Polyesterfasern mit den gleichen Qualitäten wie neu synthetisierter Polyester zu produzieren.
Wie ist die Vereinbarung finanziell ausgestaltet?
Um Teil dieses Konsortiums zu sein, leisten die Markenhersteller eine jährliche Gebühr. Über die Höhe haben wir Stillschweigen vereinbart, aber es ist kein "free lunch". Die Konzerne bezahlen, weil sie an die Technologie glauben. Es ist also keine Investition von uns.
Und haben sich die Mitglieder des Konsortiums verpflichtet, mit Carbios weiterzuarbeiten, wenn sie mit dem Ergebnis der Kooperation zufrieden sind?
Wir haben keine Exklusivitätsvereinbarung mit ihnen, aber natürlich werden wir vorrangig mit ihnen sprechen, das gilt auch für unser Kunststoffkonsortium. Unsere erste industrielle Anlage im Nordosten Frankreichs wird 50.000 Tonnen Abfall pro Jahr verarbeiten, da wird es keine Ausschließlichkeitsgarantie für die Partner in den Konsortien geben.
Wie funktioniert das konkret? Sie verwenden also Produkte wie Schuhe, Jacken und T-Shirts?
Ja, alles, was aus Polyester besteht, können wir verarbeiten. Das haben wir bereits im Labormaßstab getan, und jetzt werden wir es in unserer Demonstrationsanlage tun.
Es gibt ja bereits recycelten Polyester. Was ist der Unterschied zur Methode von Carbios?
Die recycelten Polyesterfasern von heute werden aus Flaschen recycelt. Anstatt neue Flaschen daraus zu machen, wird eine Polyesterfaser hergestellt. Der größte Nachteil ist hier, dass dieser Prozess kein Kreislauf ist. Denn er funktioniert nur zwei oder drei Mal, dann wandert das Produkt auf den Müll. Mit der Technologie von Carbios kann man weitaus häufiger recyceln und eine Vielzahl unterschiedlicher PET-Abfälle verwerten. Der zweite große Nachteil herkömmlicher Technologien ist, dass der Preis für die gebrauchten PET-Flaschen sehr stark steigt. Denn es gibt einen Konkurrenzkampf zwischen der Kunststoffindustrie und der Textilindustrie um diese Flaschen, weil sie im Grunde genommen die einzigen Abfälle sind, die heute wirklich recycelt werden.
Woran liegt das?
Mechanische, traditionelle konventionelle Methoden können sehr leicht transparente Flaschen recyceln. Nur sehr wenige Unternehmen recyceln Lebensmittelverpackungen, und bei Textilien gibt es heute keine ernsthaften Bemühungen, sodass das gesamte Recycling-PET hauptsächlich aus durchsichtigen Flaschen stammt. Für Carbios spielt es keine Rolle, ob es sich um Textilien, farbige Flaschen oder Lebensmittelschalen handelt, unser Prozess funktioniert immer gleich. Das Schöne ist, dass wir deshalb von 25 Prozent der Abfälle, die recycelt werden können, auf 100 Prozent der Abfälle kommen.
Erläutern Sie die beiden unterschiedlichen Prozesse doch bitte ein wenig.
Beim mechanischen Recycling nimmt man die Plastikflaschen, erhitzt sie stark und erzeugt eine Art Harz, aus dem man eine neue Flasche herstellt. Das macht man zwei- bis dreimal, und dann verlieren die Kunststoffe unter anderem ihre Festigkeit. Bei unserer Technologie nehmen wir den Abfall und zerlegen ihn in seine einzelnen Bausteine, wir depolymerisieren das Plastik. Heraus kommen die Ausgangskomponenten des Kunststoffs, aus denen man wie bei der ursprünglichen Synthese aus Erdöl Neuware herstellen kann, und zwar immer und immer wieder. Für den Depolymerisationsprozess gibt es eine ziemlich alte, chemische Methode mit Lösungsmitteln und Wärme. Bei Carbios verwenden wir Enzyme, und das ist eine viel umweltfreundlichere Technologie, weil wir dafür niedrige Temperaturen und keine Lösungsmittel benötigen.
Also brauchen sie nur die Kleidung oder Flaschen, Wasser und Enzyme?
Ja, wir bereiten den Abfall auf eine bestimmte Art und Weise vor. Dann geben wir ihn in einen großen Behälter. Heute sind es in unserer Demonstrationsanlage 20.000 Liter, in Zukunft werden es 100.000 Liter sein. Dann kommen Wasser und Enzyme dazu, ein Kilogramm Enzyme auf eine Tonne zu recycelnder Kunststoffe. Das klingt sehr einfach, aber wir haben natürlich viel an den Enzymen geforscht, bis wir an diesen Punkt angekommen sind.
Wo haben Sie die Enzyme ursprünglich gefunden?
Sie stammen aus einer Probe von Mikroorganismen aus Blattkompost, sind aber seitdem jahrelang von unseren Forscherinnen und Forschern optimiert worden. Heute haben wir über 50 Patente für das Enzym und das Verfahren.
Wie sieht das Geschäftsmodell aus?
Wir schätzen den weltweiten Markt für PET auf 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Nur zehn Millionen Tonnen davon sind recycelt. Der Markt wächst jedes Jahr mit einer durchschnittlichen Rate von vier Prozent. Der Recyclinganteil wird von zehn Prozent bis etwa 2035, 2040 auf 50 Prozent steigen. Es gibt also eine enorme Verschiebung auf dem Markt weg von neuen Kunststoffen, die aus Erdöl gewonnen werden, hin zu recycelten Kunststoffen, die aus Abfällen hergestellt werden. Mit unserem Modell werden wir den Löwenanteil dieses Wachstums für uns beanspruchen. Wir erwarten, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren sechs bis zehn Anlagen eröffnen werden, hauptsächlich durch die Lizenzierung unserer Technologie. Es werden also keine Kosten anfallen, unser Geschäftsmodell beruht auf Lizenzgebühren und den Einnahmen für die Enzyme. Außerdem glauben wir, dass wir über die Marke Carbios zusätzliche Einnahmen generieren können, weil die Technologie von Carbios biologisch und heute einzigartig auf der Welt ist. Wir glauben, dass dies einen Wert hat, für den die Marken eine Prämie zahlen werden.
Lizenzierung bedeutet, dass ein Unternehmen Ihre Technologie lizenziert und sie dann im industriellen Maßstab für Kunden einsetzt?
Genau. Die ersten Investoren wären wahrscheinlich die Kunststoffhersteller. Unser Partner für das erste Projekt ist Indorama. Das Unternehmen ist der größte PET-Hersteller der Welt und hat bis 2030 Investitionen in Höhe von acht Milliarden US-Dollar in Recycling angekündigt. Wir führen auch Gespräche mit Abfallentsorgungsunternehmen und mit einigen Markenherstellern, die ihren eigenen Abfall sammeln und recyceln wollen. Es wird also verschiedene Modelle geben.
Und das wird alles von der Regulierung angetrieben?
In der Tat müssen in Europa 25 Prozent der Textilabfälle bis 2025 recycelt werden. Das ist praktisch morgen. Bei Kunststoffen ist es ein bisschen länderabhängig. Aber grob gesagt besteht in der EU die Verpflichtung, bis 2025 einen Recyclinganteil von 25 Prozent in allen Kunststoffen zu erreichen. Noch wichtiger sind aber der Druck von Verbrauchern und Investoren und die Selbstverpflichtungen der Markenhersteller. All die großen Marken wie Nestlé, Pepsico, Nike, Adidas sind Verpflichtungen eingegangen. Einige sind sehr aggressiv.
Selbstverpflichtungen können gebrochen werden.
Ja, aber nicht so leicht. Investoren prüfen bei den ESG-Kriterien ganz genau, ob man Verpflichtungen hat und ob man sie einhält. Deshalb nehmen die Unternehmen das sehr ernst.
Das recycelte PET von Carbios ist qualitativ vergleichbar mit neu synthetisiertem PET. Wie werden sie sich beim Preis unterscheiden?
Wir kalkulieren mit einem Aufpreis von 20 bis 35 Prozent im Vergleich zu mechanisch recyceltem PET, weil mechanisch recyceltes PET weniger rein und die Qualität viel geringer ist. Wir liefern Lebensmittelqualität ohne Verunreinigungen im Kunststoff und eine viel höhere Kreislauffähigkeit. Das hat einen Wert. Viele der Markenhersteller sind aber ohnehin nicht so preissensitiv, weil das PET in einer Kosmetik-, Wasser- oder Bierflasche nur ein paar Cent kostet.
Letztes Jahr konnten Sie eine Menge Geld einwerben. Wie lange wird das reichen?
Ja, wir haben eine gute Cash-Position dank der 114 Millionen Euro Kapitalerhöhung vom Mai 2021. Was gut ist, weil der Markt heute für eine so große Finanzierungsrunde weniger aufgeschlossen wäre. Außerdem haben wir ein Darlehen von der EIB, der Europäischen Investitionsbank, bekommen, was großartig ist, weil es zu günstigen Bedingungen ausgehandelt wurde. Wir können mit diesen Barmitteln bis Ende 2023 arbeiten. Unsere Anlagen beginnen 2025 mit der Produktion, also müssen wir die Zeit dazwischen überbrücken. Wir könnten also eine Kapitalerhöhung vornehmen oder uns um weitere Darlehen bemühen.
Also 2025 fließen die ersten Einnahmen?
Wir werden schon 2023 und 2024 Umsätze aus der Lizenzierung erzielen, aber der Löwenanteil der Einnahmen würde ab 2025 mit der Produktion kommen.
Unterdessen gehen Forschung und Entwicklung weiter. Was plant Carbios als Nächstes?
Es gibt weitere Branchen, die für uns interessant sind. Die Reifenindustrie verwendet jedes Jahr fast eine Million Tonnen PET. Michelin ist einer unserer Partner und hält auch vier Prozent der Carbios-Aktien. In den letzten zwei Jahren haben wir uns auch intensiv mit der Suche nach Lösungen für andere Polymere als PET beschäftigt. PET macht 20 bis 25 Prozent der Kunststoffe aus. Wir sind noch nicht so weit, dass wir bei anderen Polymeren in die industrielle Produktion einsteigen können, aber wir werden es in Zukunft tun. Mein Traum ist es, unsere Lösung für alle Kunststoffe zu nutzen. Aber das liegt wahrscheinlich noch in weiter Ferne.
INVESTOR-INFO
Carbios
Recycling-Pionier
Eine überlegene Technologie und namhafte Partner - im Moment hat Carbios beim Kunststoff-Recycling die Nase ganz weit vorn, erst recht, wenn sich die Enzym-Methode auch bei Textilien bewährt. Trotzdem sind auf dem Weg zur Kommerzialisierung noch einige Hürden zu meistern, und Carbios wäre nicht der erste Pionier, der auf der Zielgeraden überholt wird. Die Aktie ist dank risikoaversem Umfeld billig zu haben. Kaufgelegenheit für Langfrist-Anleger mit Mut zum Risiko.