Borgward, 1890 in Hamburg-Altona geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater, ein Kohlehändler, musste 13 Kinder ernähren. Bereits als Junge bastelte Carl Borgward aus einem Uhrwerk, einem Zahnradgetriebe und einer Zigarrenkiste ein selbstfahrendes Auto - 25 Jahre bevor die Spielzeugindustrie auf die Idee kam, Autos mit einer Feder anzutreiben.
Nach einer Schlosserlehre studierte Borgward Maschinenbau. Mit 22 Jahren bekam er in Bremen dann seine erste Anstellung als Konstrukteur, mit 30 - nach einer schweren Verwundung als Soldat im Ersten Weltkrieg - war er schon selbstständiger Unternehmer und Chef der Bremer Kühlerfabrik Borgward & Co., ein 20-Mann-Betrieb, der Kühler und Kotflügel für den Luxusautohersteller Hansa-Werke fertigte. Hier konstruierte Borgward 1924 sein erstes Fahrzeug, einen unglaublich lahmen dreirädrigen Primitiv-Transporter, "Blitzkarre" genannt, mit dem er auf dem Firmengelände das Material zwischen dem Lager und den Werkstätten hin- und hertransportierte. Aus Kostengründen hatte der nur 980 Reichsmark teure Karren weder einen Anlasser noch eine Kupplung. Borgwards Partner, der Kaufmann Wilhelm Tecklenborg, verkaufte die Lizenz für das Gefährt an die Reichspost, die damit die Bremer Briefkasten leerte. Vier Jahre später folgte der robuste Dreiradwagen "Goliath", für eine ganze Generation von Gemüsehändlern, Bäckern, Bauern oder Gärtnern ein ideales Fahrzeug.
Während in der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg viele Firmen pleite gingen, übernahm Borgward mit den Gewinnen aus seiner Karrenproduktion 1929 die Aktienmehrheit der angeschlagenen Hansa-Lloyd-Werke. Er stoppte die Produktion der Luxusautos und konzentrierte sich auf die Produktion von Lastwagen für die Rüstungsindustrie. 1938 nahm ein neues Borgward-Werk mit 12 000 Angestellten in Bremen die Produktion auf, damals die modernste Automobilfabrik Deutschlands. Im Dritten Reich wurde der Betrieb auf Kriegsproduktion umgestellt. Borgward, inzwischen NSDAP-Mitglied und "Wehrwirtschaftsführer", belieferte die Wehrmacht mit Artillerie-Zugmaschinen, Panzern und Torpedos. 1944 waren zwei Drittel der Belegschaft Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.
Bei den alliierten Luftangriffen auf Bremen waren die Borgward-Produktionsanlagen fast vollständig zerstört worden. Wegen seiner Position als "Wehrwirtschaftsführer", ein Ehrentitel, der im Rahmen der Auszeichnungen der NSDAP an die Leiter rüstungswichtiger Betriebe vergeben wurde, verhafteten ihn die Amerikaner nach dem Kriegsende und internierten ihn im Lager Ludwigsburg. Nach der Entnazifizierung 1948, die mit der Einstufung "Mitläufer" endete, baute Borgward sein Unternehmen wieder auf.
Große Erfolge
1949 kam der "Hansa 1500" auf den Markt, Europas erster Pkw mit einer geräumigen Ponton-Karosserie. Im gleichen Jahr erschien auch ein Viersitzer, der mit einem Verkaufspreis von 3300 Mark sogar noch günstiger als der VW Käfer war: Die Karosserie des "Lloyd" bestand aus kunststoffbezogenem Sperrholz. "Leukoplastbomber" hieß das Auto im Volksmund, weil das wichtigste Pannenwerkzeug angeblich eine Rolle Leukoplast war. "Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd", frotzelten die Deutschen. Borgwards größter Erfolg aber war die 1954 vorgestellte elegante "Isabella", inspiriert von amerikanischen Autos, das erste wirkliche Nachkriegsmodell in Deutschland. "Ein Traum aus Lack und Chrom" urteilte die Presse begeistert. Die Karosserie hatte der Konzernherr im Bastelkeller seiner Villa in Bremen bis ins Detail selbst entworfen. Die "Isabella" traf den Zeitgeist im Wirtschaftswunderland, in dem es jetzt nicht bloß darum ging, ein Auto zu besitzen - das Auto wurde zum Statussymbol. Bereits ein Jahr später waren über 24 000 "Isabellas" verkauft worden. Ein Welterfolg.
"Borgward ist ein Mann von der Straße, geradlinig, ein Macher und Menschenfänger, zugleich eigensinnig und unbequem, er hasst politische Ränkespiele und Small Talk", so die "Zeit". Der Unternehmer, klein, rundlich, die Zigarre wie im Mund festgewachsen, wirkte oft arrogant, wenn er versuchte, seine Unsicherheit zu verstecken. Er war ein genialer Erfinder, ein visionärer Eigenbrödler, der von der Zierleiste bis zum Getriebe alles selbst entwarf und auch mal den Schraubenschlüssel selbst in die Hand nahm.
Aber bald zeigte sich, dass er als Manager eine weniger glückliche Hand hatte. Er verzettelte sich mit seiner Modellpolitik. "Kein Autohersteller der Welt jagt so von Neuheit zu Neuheit wie Carl Borgward", schrieb die "Zeit". Zwischen 1923 und 1960 kreierte er 63 Modelle. Als Designer leistete er Hervorragendes. Parallel entwickelte er 1959 noch zwei Hubschrauber-Prototypen und spekulierte damit auf Aufträge von der Bundeswehr.
Während der Patriarch immer neue Autos entwickelte, automatisierte inzwischen die Konkurrenz von Opel und Ford die Produktion. Wegen der Typenvielfalt schaffte es Borgward jedoch nicht, in hohen Stückzahlen zu produzieren und so stärker zu automatisieren.
Krise und Fall
1960 kam es zu Absatzeinbrüchen in den USA. Es gab Qualitätsprobleme mit dem neuen Lloyd Arabella, der nicht wasserdicht war und deshalb als "Aquabella" verspottet wurde. Rund 30 000 Lloyds mussten zu einem Preis verkauft werden, der unter den Herstellungskos- ten lag. Aber Carl Borgward hatte keine Rücklagen gebildet, war chronisch unterkapitalisiert, Investitionen finanzierte er jeweils über kurzfristige Lieferantenkredite, bezahlte die Rechnungen der Zulieferer mit wochen- oder sogar monatelanger Verspätung. Unter den Lieferanten war der Name Borgward längst zu einem Synonym für "Borgen und Warten" geworden.
Im Januar 1961 ging ihm das Geld aus. Von einer drohenden Pleite war die Rede, und da griff die Politik ein: Der Bremer Senat gab dem Patriarchen eine Finanzspritze, zwang ihn dafür, sein Unternehmen komplett dem Stadtstaat zu überschreiben. Als Sanierer wurde ein Wirtschaftsprüfer von BMW eingestellt - er scheiterte. Am Ende gingen 23 000 Arbeitsplätze verloren, die Werke wurden verkauft oder demontiert. Es war auch eine Demontage des Lebenswerks von Carl Borgward. Er starb im Sommer 1963 im Alter von 73 Jahren an Herzschwäche.
Der Niedergang von Borgward war die erste spektakuläre Pleite in den Wirtschaftswunderjahren. Aber der Mythos Borgward lebt weiter. In vielen europäischen Ländern und sogar in Übersee gibt es Borgward-Klubs. Die zeitlose Eleganz der "Isabella", der schönen Lady aus Bremen, scheint unsterblich zu sein.