Lieferverzögerungen und Gerüchte über eine geringe Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs sorgen für Spannungen zwischen der EU und dem britisch-schwedischen Pharmakonzern. Im Vorfeld der für Freitag erwarteten EU-Zulassung teilte der Hersteller mit, im ersten Quartal statt der vereinbarten 80 nur 31 Millionen Dosen liefern zu können. Grund seien Produktionsprobleme. Bestellungen aus Großbritannien werden aber offensichtlich erfüllt.
Zusätzlich wollte das "Handelsblatt" erfahren haben, dass Astrazenecas Impfstoff bei über 65-jährigen nur acht Prozent Wirksamkeit zeige. Der Pharmakonzern und das Bundesgesundheitsministerium dementierten dies. Tasächlich kommt diese Altersangabe in den öffentlich zugänglichen Studiendaten gar nicht vor, sondern nur 56 bis 69- und über 70-jährige. Deren Immunantwort auf das Vakzin fiel ähnlich aus wie bei jüngeren Probanden. Allerdings war der Anteil der Teilnehmer über 56 Jahre in der Zulassungsstudie recht gering, so dass Daten zur Wirksamkeit in dieser Altersklasse mit einer großen statistischen Unsicherheit behaftet sind. Dass der Schutz so weit unter dem Durchschnitt von 62 Prozent liegen könnte, halten Experten für unwahrscheinlich. Die EU-Zulassungebehörde könnte sich aber theoretisch aufgrund der zu kleinen Datengrundlage entscheiden, den Impfstoff vorläufig nur für Jüngere freizugeben.
Sollte keine Lösung für die gesunkenen Lieferumfänge gefunden werden, fällt Europa in der Impfkampagne noch weiter zurück. Nachdem Merck & Co. die Impfstoffentwicklung stoppte und Sanofi/Glaxosmithkline deutlich später, wenn überhaupt, in die Versorgung einsteigen, ist nur noch Johnson & Johnson als Hersteller mit großen Produktionskapazitäten im Rennen. Der US-Konzern will kommende Woche Wirksamkeitsdaten vorlegen.
Die Entwicklung dürfte die Marktführerschaft der mRNA- Anbieter Biontech/Pfizer und Moderna noch verstärken. So haben die USA gerade weitere 200 Millionen Dosen bei Moderna und Pfizer bestellt. Auch Nachzügler wie Curevac sollten von den Engpässen profitieren. Die Tübinger wollen bis kommenden Montag durch eine Kapitalerhöhung bis zu 427 Millionen Euro einsammeln. "Der Eindruck verfestigt sich, dass die mRNA-Technologie der neue Standard bei Impfprodukten wird", sagt Christian Lach, Fondsmanager des BB Adamant Biotech Fonds. "Abgesehen von der hohen Wirksamkeit ist sie bei den Produktionskosten und der Anpassungsgeschwindigkeit an neue Erreger-Varianten unschlagbar."
Wenn große Bevölkerungsanteile erst später geimpft werden, müssten Corona-Beschränkungen noch länger aufrecht erhalten oder im Herbst erneut verhängt werden. "Unser Basisszenario einer Konjunkturerholung im zweiten Quartal bleibt bestehen", sagt Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel. "Die Wahrscheinlichkeit für eine Verschlechterung der Prognosen ist jedoch gestiegen." Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal wird demnach vermutlich größer ausfallen als bisher erwartet. Bereits jetzt lastet die Situation auf dem Konsum, je länger der Shutdown dauert, desto mehr Unternehmen droht die Insolvenz. Innerhalb Europas würden die konjunkturellen Bremsspuren in Länder wie Spanien, die stärker vom Dienstleistungssektor abhängen, noch viel stärker ausfallen als in Deutschland.
Die deutsche Industrie boomt derzeit aufgrund der hohen Nachfrage aus China. "Insbesondere Schließungen von Grenzen und Fabriken stellen deshalb ein erhebliches Risiko dar", so Mumm, "zudem muss China unbedingt von neuen Corona-Wellen verschont bleiben."
Element Capital, einer der größten Macro-Hedgefonds der Welt, warnte unterdessen davor, dass Ökonomen und Regierungen die Gefahr längerer Shutdowns in Europa stark unterschätzen. Das langsame Impftempo und die Ausbreitung der ansteckenderen Virus-Varianten könnten zur Verlängerung der Beschränkungen bis Juni führen, während die US-Wirtschaft wahrscheinlich früher wieder hochfahren könne.