Bemerkenswert: Mal abgesehen von der US-Technologiebörse Nasdaq sind die Handelsplätze in Shanghai und Shenzhen die ersten Aktienmärkte von globaler Bedeutung, die seit Jahresbeginn wieder deutlich im Plus stehen. Trotz Corona-Delle. Und nicht nur das: Der Leitindex CSI 300 kletterte zuletzt sogar auf ein neues Fünfjahreshoch, nachdem er in gerade einmal fünf Handelstagen um mehr als zwölf Prozent gestiegen war.

Ein Grund für Chinas Börsenrally ist die Politik. In einem Leitartikel des von Peking kontrollierten "China Securities Journal", der wichtigsten Finanzpublikation des Landes, war zu lesen, dass das Land weitere Aktiengewinne brauche, um seine digitale Wirtschaft zu finanzieren und sie im internationalen Wettbewerb zu stärken. Die Marktreformen im Land hätten die "Voraussetzungen für einen gesunden Bullenmarkt" geschaffen. Konkreter geht eine Aufforderung zum Aktienkauf fast nicht mehr. Peking hat damit die Rally angeschoben, viele Privatanleger stürzen sich seither auf die Börse. Die Banken waren teilweise überlastet beim Eröffnen neuer Depots und Trading-Accounts.

Wachstum nach historischem Einbruch

Ein weiterer Grund für die außergewöhnlich gute Performance sind aber auch die zuletzt starken Wirtschaftsdaten. Für chinesische Verhältnisse fällt das Wachstum zwar noch immer zart aus, aber immerhin steht kein Minus mehr vor der Zahl: Um 3,2 Prozent ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zwischen April und Juni im Vergleich zum Vorjahr gewachsen - nach dem historischen Einbruch von 6,8 Prozent in den ersten drei Monaten des Jahres. Das macht Hoffnung. Auch weltweit. Denn die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft wächst kontinuierlich. In diesem Jahr liegt der Anteil an der kaufkraftbereinigten globalen Wirtschaftsleistung bei 19 Prozent - vor 20 Jahren waren es sechs Prozent.

"China wird die erste große Volkswirtschaft sein, die auf Jahressicht nach Covid-19 wieder wachsen wird", kommentiert Mike Kerley, Fondsmanager bei Janus Henderson. Nominal liege man auf Jahressicht zwar noch um 1,6 Prozent unter dem Stand von 2019. Trotzdem sei dies eine bewundernswerte Leistung. "Die USA, Europa oder Großbritannien werden dagegen wohl einige Jahre brauchen, um wieder auf das Niveau von vor dem Virus zurückzukehren", so der Fondsmanager.

Der Aufschwung hat dabei viele Gesichter. Beispielsweise hat das Disney Resort in Shanghai seine Pforten bereits seit Ende Mai wieder geöffnet. Und Onlinehändler wie JD.com verbuchen ein ordentliches Umsatzplus. Allerdings hat der Aufschwung überwiegend mit höheren Staatsausgaben für Infrastrukturprojekte zu tun. Andere Kennziffern enttäuschten dagegen. Etwa der Konsum. So gingen die Einzelhandelsumsätze trotz der guten Web-Geschäfte um 1,8 Prozent zurück. Auch in China hält man in schwierigen Zeiten das Geld zusammen. "Die Herausforderung für Peking besteht jetzt darin, das Wachstum Richtung Konsum zu lenken", sagt Kerley. "Um Überkapazitäten zu vermeiden, müssen die hergestellten Produkte gekauft werden. Wenn nötig mit staatlichen Anreizen."

Hongkong wird abgehängt

An der Börse ist man durchaus optimistisch, was das angeht. Allerdings entwickeln sich die Indizes recht unterschiedlich. Das aktuelle Schlusslicht mit einem Jahresminus von 13 Prozent ist der Hang Seng Index, dessen traditioneller Fokus auf Hongkong liegt. Wegen der politischen Unruhen, der Exportabhängigkeit sowie dem starken Gewicht von Banken, Versorgern und Immobilienfirmen ist das nicht verwunderlich. "Das ist im laufenden Jahr ein toxischer Mix", sagt Schwellenländerexperte Sean Taylor von der Fondsgesellschaft DWS. Nicht viel besser ging es auch dem stark auf chinesische Staatskonzerne zugeschnittenen Hang Seng China Enterprises mit einem Minus von zehn Prozent seit Jahresbeginn.

Deutlich besser läuft es bei anderen Indizes. Etwa beim MSCI China, wo ein ganzes Drittel der Index-Marktkapitalisierung auf nur zwei Technologiewerte entfällt: auf Alibaba und auf Tencent. Ähnlich sieht es beim inländisch geprägten CSI 300 aus, der ebenfalls den Strukturwandel Chinas widerspiegelt. "Moderne" Sektoren wie Technologie, Telekommunikation, Pharma und Onlinehandel machen hier starke 40 Prozent des Index aus - vor zehn Jahren war es gerade mal halb so viel.


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"Der Kapitalmarkt und die Struktur der Wirtschaft haben sich deutlich weiterentwickelt, sodass ich Chinas Aktien heute im Vergleich zu anderen Märkten deutlich attraktiver als 2015 einschätze", sagt Experte Taylor. Vor fünf Jahren brach der chinesische Aktienmarkt nach einem Höhenflug jäh zusammen und verlor innerhalb von sechs Monaten die Hälfte seines Wertes. "Seitdem dürften auch Marktteilnehmer und Regulierer deutlich an Erfahrung gewonnen haben", so Taylor.

Ein wesentlicher Faktor für die künftige Entwicklung der chinesischen Börse sind Zukunftstrends, die ihren Ursprung vor Ort haben. "Patentanmeldungen schießen in die Höhe. China meldet neben den USA inzwischen die meisten Patente an und investiert immer mehr in Innovationen", sagt Emil Wolter, Portfoliomanager bei der Fondsgesellschaft Comgest. So sind im staatlichen Konjunkturprogramm "Made in China 2025" gut 180 Milliarden Dollar als jährliche Investition in Zukunftsindustrien wie künstliche Intelligenz, 5G, Internet of Things, Augmented Reality und Elektromobilität vorgesehen. China strebt auf lange Sicht 70 Prozent Selbstversorgung mit Hightechprodukten an. "Hier entwickelt sich ein starkes Exportmodell", findet nicht nur Experte Wolter.