Herr von Wyss, der Classic Value Equity weist aktuell eine Cashquote von fast 20 Prozent auf. Finden Sie nach dem Börsenaufschwung der vergangenen Jahre keine unterbewerteten Aktien?
Es ist in der Tat schwieriger geworden. Wir haben zwar viele Ideen, doch wir analysieren auch sehr sorgfältig. Bis wir kaufen, können Wochen vergehen, vor allem dann, wenn wir uns für ein Unternehmen aus einer uns bislang noch wenig bekannten Branche interessieren. Wie derzeit etwa Rohstoffe oder Edelmetalle. Unser Ziel ist es, das Geschäftsmodell und den jeweiligen Markt umfassend zu verstehen. Die aktuell hohe Cash-Quote ist aber vor allem auf ein Übernahmeangebot für eine unserer Positionen zurückzuführen und die Tatsache, dass einige unserer Titel den inneren Wert erreicht haben. Ich persönlich fühle mich mit einer so hohen Cash-Quote unwohl, dennoch wollen wir unsere Anlageentscheidungen nicht überstürzen.
Eine Unterbewertung können Sie nur dann identifizieren, wenn Sie zuvor den fairen Wert einer Aktie ermittelt haben. Wie machen Sie das?
Wir nehmen die Unternehmerperspektive ein und fragen uns: Was wären wir bereit, für die Firma zu bezahlen, wenn wir sie als Geschäftsleute kaufen wollten? Also analysieren wir die Bilanz des Unternehmens, versuchen das normalisierte Gewinnniveau zu bestimmen und sprechen mit den Managern. Insbesondere interessieren wir uns für den freien Cashflow. Aber auch die sogenannte "Sum of the Parts" ist für uns eine wichtige Orientierungshilfe. Die Sum of the Parts ergibt sich, wenn man die Werte der jeweiligen Geschäftsbereiche einer Firma addiert, wenn diese gesondert zum Verkauf stünden. Der von uns ermittelte faire Wert eines Unternehmens ist jedoch nicht statisch. Wir hinterfragen diesen regelmäßig und passen ihn etwa bei einer Produktinnovation nach oben oder einer Gewinnwarnung nach unten an.
Wie tief unter ihrem fairen Wert muss die Aktie notieren, um für ein Investment in Frage zu kommen?
Wir kaufen bei einer Unterbewertung von im Schnitt 40 Prozent. Davon weichen wir nur sehr geringfügig ab. Die gleiche Disziplin zeigen wir auch beim Verkauf. Wir steigen konsequent aus, wenn der Titel das von uns attestierte Kursziel erreicht hat, auch wenn andere Analysten darüber hinaus Potenzial erkennen sollten.
Warum erkennen Sie eine Unterbewertung und die Masse der Marktteilnehmer erkennt diese nicht?
Die Marktteilnehmer mögen die Unterbewertung schon erkennen, doch ihr Anlagehorizont ist in der Regel wesentlich kürzer als unserer. Wir räumen den Titeln drei Jahre und mehr Zeit ein, um den fairen Wert zu erreichen. Die Geduld zahlt sich aus. Wir erzielen gegenüber Growth-Strategien einen klaren Mehrwert.
Müssen Sie beim Einstieg bereits einen Katalysator erkennen, der die von Ihnen unterstellte Unterbewertung auflöst?
Nein, das ist keine Voraussetzung. Wir sind geduldig und gehen davon aus, dass sich das Umfeld irgendwann zugunsten der Firma wandelt, oder dass die Unternehmen von sich aus oder auf Druck der Anleger Maßnahmen ergreifen werden, die den Kurs der Aktie wieder nach oben ziehen. Das können beispielsweise Managementwechsel oder Effizienzprogramme sein.
Der Classic Value Equity weist ein Portfolio von gerade mal 20 Aktien auf. Ist der Fonds damit ausreichend diversifiziert?
Ja, mehr Titel braucht man nicht, um diversifiziert zu sein, zumal wir bei der Portfoliozusammenstellung Klumpenrisiken vermeiden. 20 bis 30 Aktien ist aber auch die Anzahl von massiv unterbewerteten Unternehmen, die wir als Investmentboutique unter normalen Umständen finden können. Zudem soll jede unserer Positionen auch einen fühlbaren Einfluss auf die Performance haben.
Wenn Sie Unterbewertungen erkennen, dann müssten Sie doch ebenso Überbewertungen ausmachen können. Wäre es für Sie interessant, auf sinkende Kurse zu setzen?
Theoretisch ja, praktisch nein. Wir sind ein kleines Team und haben nicht die für die erfolgreiche Short-Strategie erforderliche Zeit. Es wäre auch ein komplett anderer Ansatz, der nicht zu unserer Denkweise passt.
Zu Ihren Top-Positionen zählt die Zeitarbeitsfirma Randstadt. Die Aktie hat seit August fast 20 Prozent verloren. Macht Sie das nervös?
Ich weine nicht, aber es ärgert uns. Wir haben zwar einen Teil unserer Position verkauft, doch der Titel war zu wenig lang über dem inneren Wert, um alles zu verkaufen. Wir können aber nicht immer richtig liegen. Rund 40 Prozent unserer Investmententscheidungen gehen nicht wie gewünscht auf. Doch wenn wir richtig liegen, fahren wir hohe Gewinne ein. Auf lange Sicht können wir so die durch falsche Entscheidungen entstandenen Verluste deutlich kompensieren. Wir sind beispielweise mit dem Reiseanbieter Norwegian Cruise Line Holding sehr gut unterwegs.
Wie reagieren unterbewertete Aktien auf eine Korrektur?
Dies lässt sich nicht generell sagen. Unterbewertete Aktien verlieren mehr als der Index, wenn Anleger den Unternehmen eine Verschärfung der bereits bestehenden Probleme unterstellen. In der jüngsten Korrektur haben sich unsere Titel mehrheitlich besser als der Vergleichsmaßstab geschlagen.
Sie müssen einen Crash deshalb weniger fürchten?
Heftige Börsenturbulenzen fürchten wir generell nicht, sondern freuen uns vielmehr über künftige Renditen. Denn Crashs nutzen wir zum Einstieg. Für uns als Value-Manager ist das die beste Zeit, unsere Anleger wissen das. Wir kommunizieren auch immer wieder, dass zwischenzeitliche Schwankungen möglich sind. Investoren, die diese nicht aushalten, sollten unseren Fonds nicht kaufen.
In den vergangenen zehn Jahren hat der Classic Global Value Equity Fund pro Jahr rund 1,5 Prozentpunkte besser als der MSCI World abgeschnitten. Sind solche Renditeabstände auch in Zukunft zu erwarten?
Wir sind sehr motiviert und wollen künftig noch besser als bislang abschneiden.
Im Profil
Georg von Wyss gründete 1997 zusammen mit Thomas Braun und Erich Müller die Schweizer Investmentboutique BWM. Braun und von Wyss managen den Classic Value Equity Fund (ISIN: LI 001 907 790 3) und den nur in der Schweiz erhältlichen Classic Global Equity Fund. Von Wyss studierte Betriebswirtschaft an der Amos Tuck School of Business Administration am Darmouth College. Nach dem Studium arbeitete er zunächt als Finanzjournalist, 1993 wurde Finanzanalyst.