Nichts anderes als eine Revolution im Güterverkehr strebt der seit Kurzem an der Börse notierte Lkw-Spezialist Clean Logistics an, in Winsen an der Luhe beheimatet. In der Werkstatt stehen ehemalige Diesel-Sattelschlepper. Die alten Motoren und Getriebe liegen auf dem Boden. Dafür thront ein Wasserstofftank jenseits der Fahrerkabine. In der Hinterachse steckt pro Nabe ein Elektromotor, angetrieben von Brennstoffzellen. Mit dieser Idee will Vorstandschef Dirk Graszt in den kommenden Jahren einen neuen deutschen Automobilhersteller aufbauen.

Euro am Sonntag: Herr Graszt, ist Clean Logistics die deutsche Antwort auf Nikola?

Dirk Graszt: Wir wollen keine Vergleiche anstellen. Wir sind Unternehmer aus dem Mittelstand, bodenständig und versprechen keine heiße Luft. Unsere Technologie ist heute bereits voll funktionsfähig.

Aber wie Nikola fokussieren Sie sich auf Wasserstoff-Schwertransport.

In der Tat. Und das hat viel mit unserer Motivation zu tun. Ich bin Spediteur und Logistiker seit mehr als 30 Jahren. In meiner Eigenschaft als Vorstandschef des Logistikunternehmens Harry AG mit 500 Fahrzeugen in der Flotte habe ich 2017 begonnen, darüber nachzudenken, wie wir unseren Fuhrpark sauberer bekommen. Es gab damals weltweit kein Fahrzeug am Markt, das in der Lage gewesen wäre, schwere Güter emissionsfrei auf der Straße zu transportieren. Es war sogar so, dass die Hersteller versicherten, dass der Diesel die beste Antwort sei.

Doch dann kam der Dieselskandal.

Genau. Trotzdem machten uns die Anbieter keine Angebote für Alternativen. Ein Vertriebsvorstand eines großen Herstellers sagte, ich solle mir mal nicht ihren Kopf zerbrechen. Das klang nicht nach Zukunftslösung und war für mich dann der Punkt, den Bereich emissionsfreie Antriebe selbst in die Hand zu nehmen.

Dafür braucht man Know-how.

Das bringt mein Partner Dirk Lehmann mit, der gemeinsam mit mir die Clean Logistics zunächst als GmbH gegründet hat. Er beschäftigt sich seit Jahren mit alternativen Antrieben, etwa im Schiffbau. Seine Firma eCap - heute unser Produktionspartner - rüstet schon seit einigen Jahren für betuchte Kundschaft Oldtimer und Industrieanwendungen auf Wasserstoff und/oder batterieelektrischen Antrieb um. Das kann man prinzipiell auch mit Lkw aus dem Bestand machen. Wir schmeißen dabei alles raus, was fossil ist, und ersetzen es durch emissionsfreie Lösungen - in unserem Fall Brennstoffzellen, Wasserstofftanks, Batterien und Elektromotoren und ein selbst entwickeltes Steuerungsmodul, das alles miteinander vernetzt.

Auf welches Segment konzentrieren Sie sich?

Es geht vor allem um 40-Tonnen-Zugmaschinen und Busse des öffentlichen Nahverkehrs. Von den 40-Tonnern gibt es einen Bestand von 160.000 in Deutschland und 2,3 Millionen in Europa. Das sind zwar nur rund sieben Prozent der Lkw ab 3,5 Tonnen. Sie sind aber für rund 45 Prozent der Emissionen aller Lkw in Deutschland verantwortlich.

Und wo stehen Sie heute?

Die ersten beiden Busse haben wir für die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft konvertiert. Die fahren jetzt mit Wasserstoff. Die Prototypen für den Sattelzug sind aktuell in Zusammenarbeit mit dem TÜV in der finalen Entwicklung und werden im kommenden Jahr auf der Straße getestet. Wir werden 2022 die ersten 20 Fahrzeuge transformieren. 2023 rechnen wir dann bereits mit mindestens 300 Stück.

Der Wettbewerb schläft nicht. Daimler produziert bereits den eActros batterieelektrisch in Serie. Warum sollen Kunden ihre Brummis bei Ihnen umrüsten, wenn man neue kaufen kann.

Jedes emissionsfreie Fahrzeug ist wichtig, egal ob Batterie oder Brennstoffzellen. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß in der Mobilität um 48 Prozent sinken. Wir haben aktuell 340.000 Fahrzeuge im Bestand, die schwerer sind als 7,5 Tonnen. Das heißt, dass etwa 240.000 Fahrzeuge bis dahin emissionsfrei zugelassen sein müssen. Wir sind aktuell bei zehn. Das zeigt den Bedarf. Es ist also gut, wenn die klassische Automobilindustrie in die Serienproduktion einsteigt.

Batterie-Lkw sind schon am Markt. Geraten Sie mit Wasserstoff nicht ins Hintertreffen?

Ein Problem beim E-Lkw ist das Gewicht der Batterie. Er kann damit circa sieben Tonnen weniger zuladen als ein Diesel-Lkw. Das bedeutet Umsatzverlust. Dazu kommt die Infrastruktur. Wir haben ja heute schon Engpässe bei den Ladestationen und was die Versorgung mit Strom betrifft. Für den Winter könnte der Strom knapp werden. 40-Tonner brauchen Schnellladestationen, weil die Speditionen keine Zeit haben darauf zu warten, wann gerade Stromüberfluss herrscht. Ein E-Lkw mit einer Batterie von 700 kWh zieht bei Schnellladung in einer Stunde 1,2 Megawatt. Das ist der Bedarf einer Stadt mit 15.000 Einwohnern. Wenn der Truck in Engpass-Zeiten dann lädt, könnten sprichwörtlich im Nachbardorf die Lichter ausgehen.

Machen elektrische Lkw also gar keinen Sinn?

Im Verteilerverkehr sicherlich, aber nicht auf der langen Strecke im Überlandverkehr. Aber noch mal: Wir brauchen alle Optionen, auch synthetische Kraftstoffe, wenn wir die Klimaziele im Verkehr erreichen wollen - insbesondere bis 2050, wenn die CO2-Emissionen um 85 Prozent heruntergefahren werden müssen.

Aktuell fehlen Wasserstofftankstellen.

Tatsächlich muss die Infrastruktur ausgebaut werden. Darüber gibt es in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft einen Konsens. In diesem Zuge nimmt die Zahl an Wasserstoffprojekten, gefördert von Politik und Industrie, zu. Die Energiewirtschaft ist dabei, das Tempo zu erhöhen, sodass ich keine Zweifel habe, dass die Infrastruktur zur Verfügung stehen wird.

Was machen Sie bis dahin?

Es geht darum, zunächst punktuell auszubauen, etwa an Autobahnen und Lagerstandorten, die große Paket- und Stückgutspediteure nutzen. Wenn auf deren typischen Strecken Wasser- stoff-Tankstellen vorhanden sind, werden Wasserstoff-Lkw zu einer praktischen Option, zumal das Tanken ähnlich schnell wie beim Diesel funktioniert.

Weitere Kunden?

Zum Beispiel die Bauindustrie. Betonmischer, Muldenkipper, die an Baustellen eine bestimmte Zeit arbeiten, können mit mobilen Tankstellen versorgt werden.

Bei aller Notwendigkeit: Das klingt noch futuristisch. Wie wollen Sie Kunden konkret überzeugen, Ihre existierende Flotte umzurüsten?

Es besteht enormer Handlungsdruck wegen der Klimaschutzziele und den verbundenen Strafzahlungen bei Nichterfüllung und steigenden CO2-Preisen. Die Kunden in der Logistik suchen händeringend nach Alternativen. Wir müssen nicht aktiv auf Kundenakquise gehen.

Der Spritpreis steigt. Wie wettbewerbsfähig ist Wasserstoff schon?

Der grüne Strom für den Wasserstoff muss zunächst von der EEG-Umlage befreit werden. Darüber werden die EU und die neue Bundesregierung zeitnah eine Entscheidung fällen. Wenn ich dann den Strom über abgeschriebene Windkraftanlagen beziehe und er mich 1,5 Cent je Kilowattstunde kostet, lande ich an der Tankstelle bei fünf bis sechs Euro je Kilogramm Wasserstoff. Heute sind wir bei 9,50 Euro. Als Zwischenschritt sehe ich im nächsten Jahr sieben bis acht Euro je Kilo Wasserstoff.

Das entspräche beim Diesel welchem Preis?

In etwa 2,30 Euro je Liter. Und in diese Richtung bewegen wir uns ganz klar. Ich erwarte Ende des Jahres einen Dieselpreis von zwei Euro je Liter. Die Tendenz ist steigend: Aktuell liegen 25 Euro je Tonne CO2 auf dem Spritpreis. Diese Steuer wird sich im nächsten Schritt mehr als verdoppeln. Es gibt außerdem Forderungen, die CO2-Steuer auf Kraftstoffe auf mehr als 100 Euro anzuheben.

Was bringt die Mautbefreiung für Wasserstoff-Lkw?

Bei einer Fahrleistung von 120.000 Kilometern im Jahr bedeutet das für den Spediteur eine Ersparnis von 20.000 Euro. Die Maut wird in diesem Jahr um zwölf Prozent erhöht. Das bringt die Wettbewerbsfähigkeit noch ein Stück näher.

Was passiert, wenn Sie einen fossilen Lkw zum Wasserstoff-Truck umrüsten?

Wir arbeiten dabei nach Standardnormen, die für den gesamten Automotive- Sektor gelten. Bei den Sattelzugmaschinen bauen wir alle fossilen Elemente aus: Hinterachse, Motor, Differenzial, Tanks. Die Vorderachse mit den Rädern, die Fahrerkabine und der Metallrahmen, auf dem die Auflieger aufgesattelt werden, bleiben erhalten. Der Rahmen wird um 60 Zentimeter verlängert, um den Wasserstofftanks Raum zu geben. Pro Fahrzeug dauert der Konversionsprozess sechs bis acht Wochen.

Und was kostet diese Konversion?

Vergleichen wir das mit einem neuen Dieselfahrzeug, für das im Schnitt etwa 100.000 Euro zu zahlen sind: Die Konversion kostet rund 500.000 Euro. Das liegt vor allem an den noch teuren Komponenten wie den Brennstoffzellen, die allein 240.000 Euro ausmachen, Wasserstofftanks etc. Dazu kommt noch der Restwert des Lkw, den es zu transformieren gilt, von rund 50.000 Euro. Normalerweise würde das kein Spediteur zahlen. Hier springt der Bund ein, der für den Klimaschutz im Verkehrssektor bis 2024 milliardenschwere Förderprogramme aufgelegt hat, die auch für die Konversion greifen. 80 Prozent der Differenz zum Diesel werden übernommen.

Damit muss der Spediteur immer noch mehr bezahlen als für ein neues Dieselfahrzeug.

Ja, aber dafür verlängern wir auch das Leben seines Fahrzeugs. Bei einem Diesel treten nach drei bis vier Jahren die ersten großen mechanisch bedingten Verschleißerscheinungen mit entsprechend kostenträchtigen Reparaturen auf. Unser Wasserstoff-Lkw hat aber eine Lebenserwartung von zehn Jahren. Das ist eine Revolution in der Speditionsbranche. Die Elektromotoren sind nahezu wartungsfrei, die übrigen Komponenten verschleißfrei. Die Wasserstofftanks müssen erstmals nach zehn Jahren in die Revision. Das heißt, die Wartungs- und Verschleißkosten reduzieren sich mindestens um die Hälfte. Und letztlich machen wir aus einem vier Jahre alten Dieseltruck ein brandneues Fahrzeug.

Dennoch sind dafür 500.000 Euro enorm viel. Wie senken Sie die Kosten?

Über die Stückzahlen. 90 Prozent machen die Kosten für die Komponenten aus. Bis 2026 erwarten wir, die Systemkosten auf dann 220.000 bis 230.000 Euro mehr als zu halbieren.

Beziehen Sie bisher die Komponenten vor allem aus China?

Nicht nur. Zu unseren Brennstoffzellenlieferanten zählen Refire aus China, Toyota und Hyundai. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass uns China in Sachen Wasserstoff um Jahre voraus ist.

Wie sieht Ihr Auftragsbestand aus?

Insgesamt liegen derzeit über Kunden 18 Förderantrage zur Konversion von Lkw zur Bewilligung beim Bundesverkehrsministerium vor. Ich gehe davon aus, dass die auch positiv beschieden werden. Dann können wir im kommenden Jahr loslegen. Auch die Nachfrage für Busse dürften steigen. Wir haben zudem einige große Projekte in der Pipeline, mit Energieunternehmen einerseits und Speditionen andererseits.

Wann erwarten Sie schwarze Zahlen?

Operativ ab Ende 2023, Anfang 2024.

Sie sind in diesem Jahr über den Mantel der ehemaligen Mediengesellschaft SendR an die Börse gegangen. Warum haben Sie keinen klassischen Börsengang durchgeführt?

Klar war, dass wir für unsere Expansion Kapital benötigen. Bei dem geplanten Wachstumstempo ging es uns vor allem um Geschwindigkeit. Ein klassischer Börsengang wäre wesentlich aufwendiger gewesen und hätte mehr Ressourcen gebunden.

Sie haben kürzlich eine Kapitalerhöhung durchgeführt. Was machen Sie mit dem Geld?

Wir nutzen die Zuflüsse von brutto 4,1 Millionen Euro in erster Linie, um unsere Produktionskapazitäten zu erweitern. Die geplante neue Produktionshalle auf dem erworbenen Nachbargrundstück hier in Winsen wird ab 2023 Raum für 50 Bauplätze geben. Das entspricht dann einer Gesamtkapazität von 500 bis 600 Fahrzeugen pro Jahr.

Wie sehen die Expansionspläne außerdem aus?

Wir planen die Zusammenarbeit mit maximal fünf zertifizierten Konversionspartnern in Deutschland. Die werden jeweils bis zu 200 Fahrzeuge im Jahr umrüsten können. So kommen wir Ende 2024 intern wie extern auf zusammen 2.000 Fahrzeuge jährlich.

Planen Sie weitere Kapitalerhöhungen?

Im Moment nicht. Wir sind so aufgestellt, unser Wachstumsprogramm starten zu können. Beim Fremdkapital werden wir sicherlich noch etwas machen. Wir brauchen zum Beispiel zur Vorfinanzierung der Komponenten mehr Flexibilität.

Wollen Sie mittelfristig weitere Aktionäre aufnehmen?

Ja, darüber denken wir nach. Aktuell basiert die Struktur hauptsächlich auf den Gründungsgesellschaftern. Als Erstes schaffen wir auf der kommenden Hauptversammlung ein bedingtes Kapital, um neue Aktien platzieren zu können.

Für die Expansion brauchen Sie Mitarbeiter: Wie stellen Sie sicher, dass Sie trotz angespanntem Facharbeitsmarkt genügend Personal bekommen?

In der Tat brauchen wir viele neue Kolleginnen und Kollegen, die mit dem gleichen Herzblut wie wir unsere Vision umsetzen wollen. Das sind Ingenieure, Mechatroniker, Installateure, die wir weiterqualifizieren. Teilweise kommen Mitarbeiter von Unternehmen zu uns, die in der Branche bisher eher langsam unterwegs waren. Das zeigt uns, dass wir als Arbeitgeber attraktiv sind, und zwar wegen unseres Ziels, im Verkehrssektor einen anderen Fußabdruck zu hinterlassen als die klassische Automobilbranche.
 


Die Aktie:

Im Mantel an die Börse

Über den Börsenmantel Sendr schaffte die Clean Logistics im August den Sprung an die Börse. HyBatt-Truck und HyBatt-Bus sind die beiden Konzepte, mit denen der Konzern eine staatlich geförderte Umrüstung herkömmlicher Lkw- und Bus-Antriebe auf emissionsfreien Wasserstoff via Brennstoffzelle anbietet. Mit der jüngsten Kapitalerhöhung von 4,1 Millionen Euro sollen die Umrüstkapazitäten erweitert werden. Ab 2024 will Clean Logistics Gewinne einfahren. Spekulatives Investment.
 


Vita:

Logistiker, der auch beim Golf Gas gibt

Dirk Graszt ist Logistiker durch und durch, selbst Lkw gefahren und jahrelang Chef des Spediteurs Harry AG gewesen. Nun gibt er als neuer CEO Gas für das Unternehmen Clean Logistics, an dem er mit 18,5 Prozent beteiligt ist. Außerdem hat der bekennende HSV- Anhänger - verheiratet und zwei erwachsene Töchter - ein Faible fürs Golfen, wenn Familie und Brummis ihn lassen.