Als die US-Notenbank jüngst ankündigte, ihre Leitzinsen eventuell früher als bisher erwartet anzuheben, führte das zu einer Schockwellen am Goldmarkt. Rund um diese Nachricht fiel die Notiz binnen weniger Handelstage von rund 1.900 Dollar auf 1.764 Dollar (Stand am 23.06.: 1.777 Dollar). Als Auslöser für diese heftige Abwärtsbewegung fungierte der anziehende US-Dollar, wobei die US-Devise nach Einschätzung von Julius Bär alleine nicht ausreicht, um den Ausverkauf zu erklären.
Vielmehr hätten ihn kurzfristig und spekulativ orientierte Händler verstärkt, da diese dem Goldmarkt den Rücken zukehrten, als wichtige charttechnische Unterstützungen fielen. Die Verluste haben somit viel mit einer kurzfristig veränderten Marktstimmung zu tun. Dies gleicht früheren Phasen möglicher Zinserhöhungen, zum Beispiel in den Jahren 2013, 2014 oder 2015, die laut Julius Bär ebenfalls eine zunehmende Volatilität der Gold- und Silberpreise verursachten. Jenseits dieser Volatilität sieht die Schweizer Privatbank die Nachfrage der Anleger nach Gold und Silber als sicheren Häfen aber unverändert als den dominierenden mittel- bis längerfristigen Preistreiber.
Zunächst ist es jedoch so, dass der Goldpreis die zwischenzeitliche deutliche Erholung zum Großteil wieder verspielt hat. Gemeint ist damit der Anstieg von Ende April bis Anfang Juni, als der Preis von 1.685 Dollar auf 1.909 Dollar anzog. Unter dem Strich führt die Entwicklung der vergangenen Monate dazu, dass Gold in diesem Jahr auf Verlusten sitzt, während DAX und Co. Rekorde feiern.
Aus der Sicht der Edelmetallspezialisten bei der Dommerzbank dürfte es eine gewisse Zeit dauern, bis der Markt den Schock des plötzlichen und unerwarteten jüngsten Preisrückgangs verdaut hat. Das charttechnische Bild sei angeschlagen, was eine schnelle Preiserholung erschweren dürfte. Nach dem vergleichbaren Absturz Ende Februar habe es einen Monat gedauert, bis der Goldpreis einen neuen Aufwärtstrend startete. Nach den starken Rückgängen Anfang Januar bzw. Anfang November sei der Preis zunächst noch einige Wochen weiter gefallen, bis das Tief erreicht worden sei
Vor diesem Hintergrund hat die Commerzbank die Preisprognose für das dritte Quartal auf 1.850 Dollar von bislang 1.900 Dollar nach unten korrigiert. An der Jahresendprognose von 2.000 Dollar halten die Analysten aber fest, wobei sie jedoch einräumen, dass das Abwärtsrisiko für diese Prognose gestiegen sei. Unverändert Gültigkeit hat auch die Vorhersage eines Anstiegs des Goldpreises auf 2.300 Dollar im vierten Quartal 2022. BÖRSE ONLINE berichtet nachfolgend über die Gründe, welche die Commerzbank zuversichtlich stimmen.
Auf die Realzinsen kommt es an
Die Anhörung von Fed-Chef Powell vor einem Kongressausschuss an diesem Dienstag hatte laut keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Goldpreisentwicklung. Powell hat unter anderem gesagt, dass die Fed die Zinsen nicht vorbeugend aufgrund der Sorge vor einer bevorstehenden Inflation erhöhen werde, sondern erst auf Beweise für tatsächliche Inflation warte.
Abgesehen davon, dass die aktuelle Inflation bereits deutlich über dem Zielwert der Fed liegt und damit dieser Beweis erbracht sein sollte, stellt diese Aussage eine monumentale Änderung der Geldpolitik im Vergleich zu früher dar, so die Commerzbank. Denn früher habe die US-Notenbank vorausschauend gehandelt und bereits auf heraufziehende Inflationsgefahren reagiert und nicht erst abgewartet, bis die Inflation schon da war.
Gleichzeitig wollten die Verantwortlichen laut Powell erreichen, dass möglichst alle Bevölkerungsschichten von der Erholung am Arbeitsmarkt profitieren. Damit habe die Fed ein weiteres Argument, mit Zinserhöhungen noch länger warten zu können. Dass Gold auf diese Aussagen nicht positiv reagiert habe, lässt sich aus der Sicht der Commerzbank-Analysten mit den Nachwehen des Preisabsturzes der Vorwoche erklären. An den langfristig positiven Folgen einer derartigen Geldpolitik für Gold sollte dennoch kein Zweifel bestehen, was für einen deutlich höheren Goldpreis in den nächsten Jahren spreche.
Ansonsten ist es so, dass die Realzinsen bei den Überlegungen der Commerbank zu den weiteren Aussichten des Goldpreises eine wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang verweist man auch einen zuletzt deutlich gestiegenen Inflationsdruck. So sei die Inflationsrate in den USA seit Jahresbeginn von 1,4 Prozent bis Mai auf 5,0 Prozent nach oben geschossen. Höher sei die Teuerungsrate zuletzt im Sommer 2008 gewesen, nachdem die Ölpreise auf fast 150 Dollar gestiegen waren. Die Kerninflation ohne Nahrungsmittel und Energie sei im Mai sogar auf das höchste Niveau seit 29 Jahren gestiegen.
Zwar sei mit einem deutlichen Anstieg der Inflationsrate im Frühjahr gerechnet worden, weil die preisdämpfenden Faktoren von vor einem Jahr da aus der Berechnung herausgefallen seien, als der Corona-Lockdown die Preise für Energie und Dienstleistungen deutlich habe fallen lassen. Doch dieser Basiseffekt könne den starken Anstieg der Verbraucherpreise allein nicht erklären, da die Preise auch im Vormonatsvergleich kräftig gestiegen seien.
Angesichts der Lockerungen nach den monatelangen Corona-Beschränkungen, der aufgestauten Nachfrage, deutlich gestiegener Einkommen der privaten Haushalte dank der massiven Unterstützung durch die Fiskalpolitik sowie Störungen auf der Angebotsseite wegen Lieferunterbrechungen und knapper Vorprodukte sind die Inflationssorgen in den USA nicht vollkommen von der Hand zu weisen. Die Commerzbank-Volkswirte rechnen damit, dass die US-Inflationsrate bis in das dritte Quartal hinein auf einem sehr hohen Niveau verharren wird.
Bis dahin dürfte die Inflation deutlich über den nominalen Anleiherenditen bleiben, von den bei null liegenden Geldmarktzinsen ganz zu schweigen. Aktuell lägen die Realzinsen je nach Abgrenzung zwischen minus zwei und minus vier Prozent, was für Gold in seiner Funktion als Schutz gegen Kaufkraftverlust durch Inflation ein geradezu perfektes Umfeld sei (siehe Grafik).
Gold profitiert von wieder stärkerer Nachfrage der Anleger
Das zuvor skizzierte Umfeld macht sich aus der Sicht der Commerzbank auch in einem wieder deutlich gestiegenen Anlegerinteresse bemerkbar. Die Gold-ETFs hätten im Mai laut World Gold Council Zuflüsse von gut 60 Tonnen verzeichnet. Das seien die stärksten Monatszuflüsse seit letztem September und erst die zweiten in den letzten sieben Monaten (siehe Grafik). Im Februar und März seien noch mehr als 190 Tonnen aus den Gold-ETFs abgeflossen, was ein wesentlicher Grund für den kräftigen Preisrückgang in diesen beiden Monaten gewesen sei.
Die kräftigen ETF-Abflüsse von 175 Tonnen im ersten Quartal seien laut World Gold Council auch hauptverantwortlich dafür, dass die globale Goldnachfrage im besagten Quartal auf einem 13-Jahrestief verharrt sei, obwohl die Schmucknachfrage und die Nachfrage nach Münzen und Barren bereits kräftige Anstiege verzeichnet habe. Letztere erreichte im ersten Quartal sogar das höchste Niveau seit mehr als vier Jahren, so die Commerzbank.
Das positive Umfeld für Gold habe bis vor dem erwähnten jüngsten Fed-bedingten Dämpfer in den Wochen zuvor auch die spekulativen Finanzanleger am Terminmarkt wieder verstärkt auf steigende Preise setzen lassen. Deren Netto-Long-Positionen haben sich laut Commodity Futures Trading Commission im Mai binnen vier Wochen auf gut 107.000 Kontrakte mehr als verdoppelt.
Der Positionsaufbau entspreche Käufen von umgerechnet 176 Tonnen. Die Netto-Long-Positionen befänden sich damit auf dem höchsten Niveau seit Anfang Januar. Der Optimismus sei dennoch nicht auf einem außergewöhnlich hohen Niveau. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2020 lagen die Netto-Long-Positionen laut Commerzbank noch bei mehr als 200.000 Kontrakten. Mit anderen Worten, von einer spekulativen Übertreibung sei man trotz des kräftigen Anstiegs noch weit entfernt. Selbst wenn es in den kommenden Wochen zu einem weiteren Positionsaufbau komme, wäre das somit unproblematisch.
Auch die Goldnachfrage in Indien und China legt wieder zu
Doch nicht nur die Nachfrage seitens der Anleger hat sich zuletzt spürbar belebt, so die Commerzbank. Gleiches gelte auch für die im letzten Jahr sehr verhaltene Goldnachfrage in den beiden wichtigsten Nachfrageländern Indien und China.
Die indischen Goldimporte würden nach vier Monaten mit gut 420 Tonnen bereits das Niveau des gesamten Vorjahres übertreffen und lägen auch über dem Vergleichszeitraum von 2019 (siehe Grafik). Allein im März und April hätten sich die Importe auf mehr als 250 Tonnen summiert.
Offenbar hätten die indischen Goldhändler die im März deutlich gefallenen Preise als attraktive Kaufgelegenheit erachtet, um in Erwartung einer kräftigen Nachfrageerholung nach dem Ende der Corona-Pandemie ihre Bestände hinreichend aufzubauen. Auch die im März und April deutlich gestiegenen Neuinfektionszahlen hätten dem keinen Abbruch getan.
China, das bereits im ersten Quartal eine sehr robuste Goldnachfrage aufgewiesen habe, habe im April mit knapp 53 Tonnen die höchsten Netto-Gold-Importe aus Hongkong seit fast drei Jahren verzeichnet. Zusammen mit den ebenfalls deutlich gestiegenen Goldeinfuhren aus der Schweiz hätten sich die Goldimporte Chinas im April auf 96 Tonnen summiert (siehe Grafik). Das sei mehr als im gesamten Jahr 2020.
Die chinesische Zentralbank habe zuvor den Geschäftsbanken deutlich höhere Importquoten zugeteilt. Auch hier dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die inländischen Goldbestände im Laufe der letzten 15 Monate deutlich abgesunken waren. Denn die Goldimporte und die Goldproduktion hätten nicht ausgereicht, um die Konsumentennachfrage im letzten Jahr zu decken, die sich laut World Gold Council auf 613 Tonnen belief.
Der World Gold Council gehe außerdem davon aus, dass die Goldnachfrage in China in diesem Jahr wieder das Niveau vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie erreichen wird. Im Jahr 2019 habe diese bei knapp 850 Tonnen gelegen.
Auch die Goldnachfrage in der durch hohe Inflation und Währungsabwertung geplagten Türkei dürfte robust bleiben. Diese sei schon im vergangenen Jahr gegen den allgemein negativen Trend in fast allen Ländern deutlich gestiegen und habe trotz rekordhoher lokaler Preise mit 147 Tonnen das höchste Niveau seit 2013 erreicht. Hier komme die altbewährte Rolle von Gold als Schutz vor Kaufkraftverlust zum Tragen.
Zentralbanken stocken ihre Goldreserven weiter auf
Auch die Zentralbanken dürften in diesem Jahr nach Einschätzung der Commerzbank wieder mit einem stärkeren Kaufinteresse aufwarten, nachdem sie im dritten Quartal 2020 erstmals seit fast 10 Jahren mehr Gold verkauft als gekauft hatten.
Bei einer Umfrage des World Gold Council habe ein Fünftel der befragten Zentralbanken angegeben, die eigenen Goldreserven in den nächsten zwölf Monaten erhöhen zu wollen. Etwas mehr als die Hälfte erwartet demnach, dass die Zentralbankgoldreserven allgemein in diesem Zeitraum steigen werden.
Diese Erwartung werde durch vorliegende World Gold Council-Daten bestätigt. Im ersten Quartal 2021 erhöhten die Zentralbanken demnach ihre Goldreserven bereits um 96 Tonnen, was den stärksten Käufen seit dem zweiten Quartal 2020 entsprach. Der Großteil der Käufe sei dabei auf die ungarische Zentralbank entfallen, die ihre Goldbestände auf 94 Tonnen verdreifacht habe. Im April hätten die Zentralbanken angeführt von Thailand weitere 69 Tonnen gekauft. Käufe seien auch durch die Türkei, Kasachstan, Usbekistan und Kirgisien erfolgt.
Die Goldkäufe der Zentralbanken schienen damit in diesem Jahr auf einem breiteren Fundament zu stehen als im letzten Jahr, als die türkische Zentralbank für die Hälfte der gesamten Käufe des öffentlichen Sektors von 326 Tonnen verantwortlich gewesen sei. Dennoch dürfte es schwer werden, diese Menge deutlich zu übertreffen, da die türkische Zentralbank im ersten Vierteljahr ein Netto-Verkäufer gewesen sei.
Gleiches gelte für die russische Zentralbank, wenngleich deren Verkäufe zwecks Münzprägung erfolgt seien. Letztere könnte demnächst allerdings wieder als Käufer in Aktion treten: Der staatliche russische Ölfonds wolle seine Dollar-Bestände komplett abbauen und stattdessen in Euro, Yuan und Gold umschichten. Wenn zehn Prozent der Dollar-Anlagen des Fonds in Gold umgeschichtet würden, entspräche das bei derzeitigen Preisen einer Menge von rund 65 Tonnen.
Die Zentralbank dürfte dem Ölfonds das Gold aus ihren Reserven gutschreiben und dafür die USD-Reserven bei sich verbuchen. Früher oder später werde die Zentralbank die entsprechende Menge Gold aber wohl wieder zukaufen. Der Anstieg der Goldreserven der japanischen Zentralbank um mehr als 80 Tonnen in diesem Jahr sei nicht als Goldkauf im eigentlichen Sinne einzustufen, sondern dem World Gold Council zufolge auf eine Umbuchung zurückzuführen gewesen.
Zusammenfassung und Ausblick
Die ultra-lockere Geldpolitik der Zentralbanken - dies gilt laut Commerzbank neben der Fed genauso für die EZB - führt aus Sicht der Analysten zu einem weiteren Anstieg der Zentralbank-Bilanzen und einem dynamischen Geldmengenwachstum.
Gleichzeitig blieben die Nominalrenditen aufgrund des Versprechens noch für mehrere Jahre unveränderter Leitzinsen von nahe Null gedeckelt. Die höhere Inflation führe zu deutlich negativen Realzinsen. Das spreche für Gold als Inflationsschutz und zinslose Anlage ("Gold kostet keine Zinsen").
Man erwartet daher, dass Gold auf einen Aufwärtstrend einschwenkt und bis zum Jahresende auf 2.000 Dollar je Feinunze steigt. Die Diskussion innerhalb der Fed über eine mögliche Rückführung der Anleihekäufe als ersten Schritt zu einem Ausstieg aus der Krisen-Geldpolitik könnte zu einem abermaligen Anstieg der Anleiherenditen führen und Gold zwischenzeitlich nochmals unter Druck setzen.
Die vergangenen Monate hätten allerdings gezeigt, dass vor allem die Veränderung des Renditeniveaus entscheidend sei und nicht das Renditeniveau selbst, solange dieses unterhalb der Inflationsrate bleibe. Von daher rechnet die Commerzbank nicht damit, dass Gold deswegen dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen wird.