Konzernchef Carsten Spohr hat eine eindringliche Botschaft: Die Verbreitung des Coronavirus habe die gesamte Weltwirtschaft und auch die Lufthansa in einen Ausnahmezustand versetzt. "Aktuell kann niemand absehen, welche Folgen sich daraus ergeben." Die Lufthansa steht mitten im Zentrum der Krise: Das Passagiergeschäft ist nahezu komplett zum Erliegen gekommen. Rund 700 der 763 Flugzeuge der Flotte stehen am Boden. Am Frankfurter Airport wird sogar eine Startbahn zum Parkplatz für nicht genutzte Maschinen umfunktioniert.

Nur im Frachtgeschäft herrscht Hochbetrieb. Weil die Grenzen geschlossen sind, ist der Warentransport auf dem Land- und Seeweg ins Stocken geraten. Wichtige Güter werden darum zunehmend durch die Luft befördert. Die Lufthansa setzt vereinzelt sogar Passagiermaschinen für die Fracht ein. Für den Gesamtkonzern reicht diese Sondernachfrage aber bei Weitem nicht aus, um die Einbußen im Kerngeschäft auszugleichen. Um die Liquidität zu sichern, werden überall im Konzern die Kosten radikal gedrückt. Die Aktionäre müssen in diesem Jahr auf eine Dividende verzichten. Auch sonst wird hart kalkuliert: 4,3 Milliarden Euro Liquidität hat der Kranich, dazu 800 Millionen Euro an Kreditlinien. Da die Flotte fast vollständig Eigentum der Lufthansa ist, stehen rund zehn Milliarden Euro Buchwert als Sicherheit bereit.

Wie lange das Geld reicht, um die Airline über Wasser zu halten, sagt Spohr nicht. Trotzdem gibt es eine klare Ansage: "Je länger diese Krise andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Zukunft der Luftfahrt ohne staatliche Hilfe nicht gewährleistet werden kann", warnt der Lufthansa-Chef.

Die deutsche Wirtschaft kommt zum Stillstand. Nicht nur bei der Lufthansa, auch in der Autoindustrie ist der Schmerz besonders deutlich zu spüren. Nach Volkswagen legen auch BMW und Daimler die Produktion in Europa vorübergehend still. Weil kaum noch Fahrzeuge verkauft werden, macht es keinen Sinn, die Bestände aufzustocken. Viele Kosten laufen weiter. Allein Volkswagen beschäftigt in Deutschland 295 000 Mitarbeiter, die bezahlt werden müssen. Staatlich subventionierte Kurzarbeit lindert den finanziellen Schmerz der Unternehmen. Schon jetzt aber zeichnet sich ab, dass die Gewinne dramatisch sinken. Volkswagen geht davon aus, dass sich die operative Marge nach 8,1 Prozent im ersten Quartal des Vorjahres jetzt in etwa halbieren wird. BMW kalkuliert, dass die Ebit-Marge im Kerngeschäft für das Gesamtjahr von zuletzt 4,9 Prozent auf zwei bis vier Prozent schrumpft. Das wäre zumindest eine schwarze Zahl.

Dividenden in Gefahr


Alles scheint möglich in diesen Tagen, vor allem im negativen Sinn. Der Triebwerkhersteller MTU Aero Engines zog sogar vorbehaltlich seinen Dividendenvorschlag zurück - und könnte im Extremfall damit einen Präzedenzfall für andere Unternehmen schaffen. Schon jetzt stockt der Geldfluss zu den Aktionären: Weil Hauptversammlungen im Schatten der Corona-Krise aus Sicherheitsgründen verschoben werden, müssen Anleger vermutlich noch Monate auf die Überweisung warten. Für die Unternehmen hat das den praktischen Nebeneffekt, dass das Geld vorerst in der Kasse bleibt.

In Zeiten, in denen der Absatz vielerorts zum Erliegen kommt, erhöht das die finanzielle Flexibilität. Nach Berechnung dieser Zeitung beläuft sich die Dividendensumme der 30 DAX-Konzerne für das vergangene Geschäftsjahr auf knapp 36 Milliarden Euro. Erst dreieinhalb Milliarden davon wurden bereits ausgezahlt - von Siemens und Infineon.

Hoffnung macht ausgerechnet China. Im Epizentrum der Corona-Krise hat sich die Lage offenbar deutlich entspannt. "China zeigt, dass die Krise bewältigt werden kann", erklärt VW-Chef Herbert Diess. Noch aber liegen an den Finanzmärkten die Nerven blank. Die Indizes sind in Rekordgeschwindigkeit abgestürzt. Erholungsversuche werden schnell durch neue Verkaufswellen überrollt. Wann endlich kommt die Wende?

Das beste Szenario - ein Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs - dürfte in weiter Ferne liegen. Schon eine sinkende Zahl an Neuinfektionen in der westlichen Welt wäre ein positives Signal auch für die Aktienmärkte. Selbst wenn die Pandemie weiter wütet, wird der Aktienmarkt irgendwann einen Boden gefunden haben; ein Niveau, auf dem Aktien so billig sind, dass hartgesottene Anleger verstärkt zugreifen.

Extreme Bewertungen


Schaut man auf die Bewertungskennziffern, ist der DAX inzwischen billig: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Index auf Basis der für die kommenden zwölf Monate erwarteten Konzerngewinne ist von 14 auf etwas mehr als neun gestürzt und liegt damit rund 20 Prozent unter dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Die Dividendenrendite ist zwischenzeitlich auf fast fünf Prozent hochgeschnellt. Im Schnitt der vergangenen zehn Jahre warf der DAX lediglich 3,5 Prozent ab.

Das Problem: Kennziffern wie KGV und Dividendenrenditen basieren meist auf Schätzungen von Analysten. Diese passen an markanten Wendepunkten erfahrungsgemäß sehr langsam ihre Prognosen an die Realität an. Derzeit kalkulieren die Profis für das laufende Jahr noch immer mit einem Anstieg der Unternehmensgewinne im DAX von rund zehn Prozent. Das dürfte nicht zu schaffen sein. Dennoch sind die Relationen inzwischen extrem.

Die Aktie des Chemiekonzerns BASF beispielsweise käme bei einem Kurswert von 42 Euro und einer für das vergangene Jahr angekündigten Ausschüttung von 3,30 Euro auf eine Dividendenrendite von fast acht Prozent. Auf diesem Niveau hätte ein Anleger allein über die Dividende nach 13 Jahren seinen kompletten Kaufpreis über die Ausschüttung hereingeholt und seine Aktien praktisch gratis dazu.

Entweder wird der Chemiekonzern an der Börse derzeit deutlich unter Wert gehandelt, oder eine kräftige Dividendenkürzung vorweggenommen. Eine gewisse Vorsicht ist angebracht: Das Chemiegeschäft ist stark zyklisch, zu den wichtigsten Kunden gehört die schlingernde Autoindustrie. In der Finanzkrise 2008/09 allerdings hat BASF durchgehend schwarze Zahlen geschrieben und die Dividende nur einmalig gekürzt. Die Ausschüttung für das vergangene Jahr kann der Konzern durch seinen freien Cashflow decken.

Extrem hoch ist auch die Dividendenrendite der Allianz, die eigentlich zu den zuverlässigen Dividendenzahlern gehört. Bei den Münchnern schlägt der Aktienmarktcrash direkt auf die Bilanz durch: Rund zehn Prozent der Kapitalanlagen hatte der Versicherungsriese zum Jahreswechsel in Aktien angelegt, in der Branche ist das viel. Jetzt sei ein großer Teil der Aktieninvestments unter die Anschaffungskosten gefallen, kalkuliert Analyst Thorsten Wenzel von der DZ Bank. Ohne eine deutliche Erholung werde es bei den Aktieninvestments und voraussichtlich auch bei den in Anleihen investierten Versicherungsprämien signifikante Abschreibungen geben. Diese wiederum würden den Gewinn des DAX-Konzerns drücken.

Dickes Polster


Allerdings verfügt der Versicherungsriese über ein ausreichend dickes Kapitalpolster: Das Verhältnis zwischen Eigenkapital und dem nach den verschiedenen Anlagerisiken gewichteten Wert der Kapitalanlagen, die Solvabilitätsquote, ist die wichtigste Kennzahl für die Belastbarkeit der Bilanz: Mit 212 Prozent für 2019 erreichten die Münchner einen der besten Werte in der Branche. Der Einbruch an den Finanzmärkten könnte die Quote nach Einschätzung der DZ Bank bislang um bis zu 30 Prozentpunkte drücken. Damit läge sie jedoch immer noch über 180 Prozent, der Marke, die Chef Oliver Bäte als untere Grenze ausgegeben hat.

Selbst Vonovia wurde vom Abwärtsstrudel der Aktienmärkte erfasst. Und das, obwohl der Immobilienkonzern mit seinen 416 000 Apartments in Europa, mehr als 350 000 davon in Deutschland, von den konjunkturellen Auswirkungen des Coronavirus weitgehend verschont bleiben sollte. Die Mieten für Wohnungen dürften auch während eines wirtschaftlichen Abschwungs ein zuverlässiger Geldstrom bleiben. Darüber hinaus profitiert die Branche bei den Refinanzierungskosten für Kredite von den historisch niedrigen Zinsen. Günstige Refinanzierungen der meist erheblichen Kredite von Liegenschaftsverwaltern sind ein wesentlicher Faktor für Wertsteigerungen. Zudem hat Vonovia die lange Phase günstiger Kredite genutzt, um die Schuldenlast deutlich zu verringern. Das war die Voraussetzung für ein begehrtes Investment-Grade-Kreditrating. Somit kann der Konzern seit geraumer Zeit auch eigene Anleihen begeben und sich unabhängig von Banken und günstig über den Kapitalmarkt refinanzieren. Trotz allem wird auch die Vonovia-Aktie mit einem kräftigen Abschlag zum früheren Bewertungsniveau gehandelt.

Eine wichtige Grenze


Der DAX hat in der vergangenen Woche eine wichtige Haltelinie getestet, den Buchwert. Dieses Niveau entspricht dem Anschaffungspreis aller Vermögenswerte im Index. Rund die Hälfte der Indexmitglieder notiert inzwischen unter ihrem Substanzwert (siehe Tabelle). Skeptiker warnen, dass in den Bilanzen vieler Konzerne "Goodwill" schlummert - Vermögen, dessen Wert zu hoch angesetzt ist. Verluste im operativen Geschäft, die insbesondere bei den zyklischen und kapitalintensiven Branchen auflaufen können, würden zudem den Buchwert drücken. Langjährige Vergleiche werden durch wechselnde Zusammensetzung der Indizes erschwert.

Trotz aller Bedenken: In früheren Wirtschaftskrisen des Jahrhunderts ist der DAX stets nur ganz leicht unter seinen Buchwert gerutscht.

Investor-Info

Allianz
Vorübergehende Schrammen


An der Börse stark unter die Räder geraten ist Europas Assekuranz-Primus wegen der Milliarden Euro Versicherungsprämien, die in Aktien und Anleihen angelegt sind. Das Versicherungsgeschäft dürfte von den Turbulenzen an den Märkten kaum betroffen sein. Betriebs- und Lieferkettenunterbrechungen und abgesagte Veranstaltungen aufgrund von Corona sind über klassische Sachversicherungspolicen nicht gedeckt. Eine Kürzung der Dividende ist unwahrscheinlich. Kaufen.

BASF
Harte Bewährungsprobe


Als Zykliker steht der Chemiekonzern derzeit besonders unter Druck. Verlockend ist die zumindest auf dem Papier sehr hohe Dividendenrendite. Die Ausschüttung hat bei BASF einen hohen Stellenwert. Das Ziel, die Dividende jedes Jahr zu steigern, ist ambitioniert und wird jetzt auf eine harte Prüfung gestellt. 2019 haben die Rheinländer genug Geld für die Finanzierung der Dividende erwirtschaftet, in diesem Jahr wird es extrem schwierig. Risikobereite bauen erste Positionen auf.

Lufthansa
Intensiver Stresstest


Kurse auf dem derzeitigen Niveau boten bei der Lufthansa in der Vergangenheit oft gute Kaufgelegenheiten. Deutschlands Vorzeige-Airline ist finanziell besser aufgestellt als die meisten Rivalen. Die aktuelle Krise aber ist extrem und schärfer als frühere Schwächephasen. Jeder Tag, an dem der Großteil der Flotte am Boden bleibt, ist schmerzhaft. Im Extremfall würde der Staat eingreifen, das aber kann nicht das Ziel der Lufthansa sein. Trotz sehr niedriger Bewertung raten wir derzeit von Neuengagements ab.