Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, der Bauernverband und der Einzelhandel betonten aber, dass die Lebensmittelversorgung in Deutschland auch in der Krise gesichert sei. Volkswagen kündigte an, die Produktion europaweit auszusetzen. Die Regierung will unterdessen gestrandete Deutsche aus dem Ausland zurückholen. Kanzlerin Angela Merkel will sich nach einer Telefonschalte mit den EU-Staats- und Regierungschefs am Abend äußern. Wegen der Virus-Krise entschied der europäische Fußballverband UEFA, die für den Sommer geplante EM auf das nächste Jahr zu verschieben.
"Wir merken, dass sogar gut aufgestellte Gesundheitsämter und Universitätskliniken inzwischen Probleme haben mit der steigenden Zahl von Erkrankungsfällen", sagte RKI-Chef Lothar Wieler in Berlin. Die von der Regierung beschlossenen Einschränkungen müssten immer wieder überprüft und angepasst werden. Das RKI verlangte eine schnelle Vorbereitung der Kliniken. "Wir erwarten von allen Hospitälern, dass sie ihre Intensivkapazitäten mindestens verdoppeln." Der Berliner Senat hat laut "Tagesspiegel" beschlossen, ein Covid-19-Krankenhaus mit Kapazitäten von bis zu 1000 Patienten in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und anderen Partnern zu eröffnen.
Die Zahl der Infizierten in Deutschland bezifferte Wieler auf gut 6000, es gebe 13 Tote. Zu den Infizierten gehört auch Friedrich Merz, der Kandidat für den CDU-Vorsitz. Wieler sagte, klar sei, dass die Zahlen schon wegen der Dauer der Meldewege weit höher seien. Man stehe am Anfang eine Epidemie. "Das Virus wird uns noch länger beschäftigen, und es ist klar, dass getroffene Maßnahmen überprüft und angepasst werden müssen", sagte Wieler zu Reuters. Die John Hopkins University hat mittlerweile bereits 8084 Infizierte und 20 Tote in Deutschland registriert. China kündigte an, dass erstmals ein Impfstoff für klinische Studien freigegeben werde.
GRAVIERENDE EINSCHRÄNKUNGEN GREIFEN AB DIENSTAG
Klöckner, der Lebensmittel-Einzelhandel und der Bauernverband riefen dazu auf, von Hamsterkäufen abzusehen. Diese seien unsolidarisch und unnötig, erklärte die Ministerin. "Es ist genug für alle da", sagte sie. Ab diesen Dienstag greifen gravierende Einschränkungen in Deutschland wie Sperrstunden von Restaurants, die Schließung von Geschäften außer für Waren des täglichen Bedarfs und praktisch ein Reiseverbot.
Auch die wirtschaftlichen Folgen werden immer deutlicher: Nach dem Absturz der Börsen weltweit sehen die Finanzexperten auch für die Zukunft der Konjunktur schwarz. Das ZEW-Barometer ihrer Erwartungen für die nächsten sechs Monate fiel im März so stark wie nie seit Beginn der Umfrage im Dezember 1991. "Für die Konjunktur stehen die Signale auf Rot", sagte ZEW-Präsident Achim Wambach. Die Bundesbank versicherte, dass die Bargeldversorgung gesichert sei. "Wir haben genügend frisch gedruckte Scheine, unsere Tresore sind voll," sagte Notenbank-Vorstand Johannes Beermann.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierte einen rasant gewachsenen Beratungsbedarf, der um "ein zigfaches gestiegen" sei. Darunter seien Branchen und Betriebe, die bisher mit Kurzarbeit nie etwas zu tun gehabt hätten, sagte eine Sprecherin. Wie viele Betriebe mit Beratungsbedarf tatsächlich Kurzarbeit anmelden, kann die BA noch nicht sagen. Die Bundesregierung will eine Pleitewelle durch ein unbegrenztes Kreditprogramm und gezielte Hilfen auch für Kleinstunternehmer verhindern. Der Lebensmittel-Einzelhandel und der Bauernverband forderten, dass in der Krise die Zuverdienstgrenzen, die Regelung der maximalen Arbeitszeit sowie etwa Lärmschutzbestimmung für das Auffüllen der Bestände von Geschäften gelockert werden müssten.
Volkswagen als größter Autobauer der Welt kündigte an, die Produktion auch seiner Töchter europaweit zum Schutz der Arbeiter, aber auch wegen einbrechender Nachfrage einzustellen. Andere Hersteller hatten bereits ebenfalls die Produktion zurückgefahren.
LUFTHANSA KÜNDIGT "LUFTBRÜCKE" AN
Obwohl der Warenverkehr von den verschärften Grenzkontrollen weitgehend ausgenommen ist und die Regierung die Versorgung der Menschen als gesichert bezeichnet, bot die Lufthansa Hilfe an. "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Luftbrücke für ganz Deutschland." sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr der "Bild". Die 747-Flotte und LH Cargo spielten Szenarien durch, wie und wo Jumbos für Frachtflüge eingesetzt werden könnten. Landwirtschaftsministerin Klöckner sagte, sie habe bereits mit der Lufthansa gesprochen. Denkbar sei auch, dass Saison-Arbeitskräfte nach Deutschland geflogen werden könnten. Zudem will die Bundesregierung Fluglinien beauftragen, um Tausende Deutsche aus dem Ausland zurückzuholen. 50 Millionen Euro werde dafür zur Verfügung gestellt, sagte Außenminister Heiko Maas.
Die UEFA erklärte, die EM werde auf den Sommer 2021 verschoben. Zugleich lägen alle nationalen und europäischen Fußball-Wettbewerbe "bis auf Weiteres auf Eis". Die großen fünf Fußball-Ligen in Spanien, England, Italien, Frankreich und Deutschland hatten den Betrieb schon vorher wegen der Ansteckungsgefahr von Spielern und Zuschauern ausgesetzt. Die letzten Qualifikationsspiele für die EM, die für Ende März angesetzt waren, sollen - wenn möglich - nun Anfang Juni ausgetragen werden. Auch die amerikanische Meisterschaft "Copa America" wird verschoben.
rtr