Markus Steilemann, Vorstandschef von Covestro, gibt sich in der Corona-Pandemie optimistisch: "Wir sind für eine zweite Infektionswelle gut gerüstet." Erst im Dezember hat der Chemiekonzern seine Prognose für einzelne Ergebniskennziffern angehoben. Der operative Gewinn auf Ebitda-Basis im Geschäftsjahr 2020 soll zwischen 1,44 und 1,5 Milliarden Euro liegen. Das ist um ein Viertel höher als bislang erwartet und unterbietet den Einbruch von 2019 auf 1,6 Milliarden Euro nur geringfügig. Der Free Operating Cashflow soll zwischen 400 und 550 Millionen Euro liegen. Dazu will Covestro die Kapitalkosten um 400 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro reduziert haben.
Dass die Covestro-Aktie seit Bekanntgabe der letzten Quartalszahlen um mehr als 30 Prozent zugelegt hat, liegt aber auch daran, dass das Unternehmen im zweiten Halbjahr die Trendwende im operativen Geschäft geschafft hat. Zwar waren die Erlöse in allen drei Geschäftsbereichen immer noch rückläufig. Die verkaufte Menge lag jedoch über der des Vorjahreszeitraums. Negativ wirkte sich vor allem der Rückgang der Verkaufspreise bei den Polyurethanen und Polycarbonaten aus, die für 75 Prozent der Konzernerlöse stehen. Sobald sich abzeichnet, dass die Corona-Pandemie global unter Kontrolle ist, werden die Nachfrage und mit ihr die Preise anziehen. Erste Anzeichen dafür sind seit Herbst in China, dem Vorreiter der konjunkturellen Erholung, zu erkennen.
Zukunftsmärkte im Visier
Mit dem breiten Produktmix an Kunststoffen, Werkstoffen, Schaumstoffen, Lacken und Klebstoffen ist Covestro für die internationale Konjunkturerholung gut aufgestellt. Zugleich baut die Gesellschaft ihr Geschäftsmodell klimaneutral um. Dazu gehört, über ökologische Rohstoffe, recycelbare Materialien und erneuerbare Energien einen ressourcenschonenden Kreislauf in der Produktion umzusetzen.
Auf der Produktseite sollen die erneuerbaren Energien zu einem der wichtigsten Absatzmärkte avancieren - etwa mit Beschichtungen und Klebstoffen für die Rotorblätter von Windturbinen. 2019 lieferte Covestro hier mit dem chinesischen Partner Zhuzhou Times New Material Technology die ersten Blätter an den Turbinenbauer Envision. Aber auch andere Komponenten von Wind- und Solarfarmen profitieren von den langlebigen und robusten Werkstoffen. Ende 2019 lag die global installierte Windkraftkapazität bei 650 Gigawatt. Innerhalb der nächsten drei Dekaden dürfte sich dieser Wert verzehnfachen.
Die beschleunigte Expansion in diesem Sektor war ein Hauptgrund für die im Oktober verkündete Akquisition der Sparte Spezialharze (RFM) von dem niederländischen Chemiekonzern DSM. 1,6 Milliarden Euro legt Covestro für das Geschäftsfeld auf den Tisch, das 2019 einen Umsatz von 984 Millionen Euro und 141 Millionen Euro Ebitda einfuhr. Davon kommen 447 Millionen Euro aus dem Bruttoemissionserlös einer Kapitalerhöhung.
Von der Transaktion, die noch im laufenden Quartal abgeschlossen werden soll, verspreche sich Covestro neue Absatzmärkte für Beschichtungsharze und weniger Abhängigkeit von bisherigen Zielmärkten, erläutert Markus Mayer, Analyst bei der Baader Bank: "Mit RFM verstärkt das Unternehmen im Verbund mit neuen Polyurethanprodukten seine Ausrichtung in Richtung Windindustrie. Im Vergleich zum Gesamtkonzern sprechen wir allerdings noch von einem kleinen Endmarkt. Bedeutender ist die Rolle von RFM bei den umweltfreundlichen wasserbasierenden Lacken, wo Covestro jetzt nachhaltig stärker als der Markt wachsen sollte. Zugleich halbiert sich bei den Absatzmärkten die Bedeutung der zyklischen Autoindustrie von 24 auf zwölf Prozent." Indes beliefert Covestro die Autoindustrie mit Produkten für funktionale Oberflächen. Dazu zählen Isoliermaterialien, die den Innenraum warmhalten, dekorative Plexiglasoberflächen und komfortable Leichtbaumaterialien. Für die Entwicklung von Hochleistungsmaterialien aus gedruckten Geweben hat Covestro mit Carbon 3D einen führenden Druckerhersteller als Partner.
Das Kerngeschäft zählt
Jenseits aller Zukunftsmusik ist klar: Die Aktie wird ihren aktuellen Höhenflug nur fortsetzen, wenn das Kerngeschäft mit den Abnehmern aus der Auto-, Bau-, Elektronik- und Haushaltsgeräteindustrie ins Laufen kommt. Die Chancen dafür stehen gut. Für 2021 erwartet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Deutschland nach dem Minus von sechs Prozent im Vorjahr einen Umsatzzuwachs um 2,5 Prozent.
Um das organische Wachstum durch kleinere Zukäufe zu ergänzen, ist Covestro finanziell gut gerüstet. Der Verschuldungsgrad von 2,6 lässt Spielraum. Steilemann hat hier Nischenanbieter für den kleinsten Geschäftsbereich CAS (Lacke, Klebstoffe, Spezialitäten) im Visier. Die aktuellen Konsensschätzungen erwarten im nächsten Jahr ein Gewinnplus von 30 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist die Aktie mit einem 2021er-KGV von 17 im Branchenvergleich günstig bewertet.