Für eine Grußbotschaft zum zweiten Geburtstag klang es fast schon etwas pathetisch. "Wir haben so viel erreicht", schrieb Covestro-Vorstandschef Patrick Thomas zum Firmenjubiläum am 1. September an seine Mitarbeiter und empfahl ihnen, sich ihr "persönliches Highlight vor Augen zu führen und mit Stolz zu betrachten". Doch die feierlichen Worte waren mehr als nur Pathos. Sie spiegeln den festen Glauben an eine von Innovationsbereitschaft und Teamgeist geprägte Unternehmenskultur wider.
Betont frisch wie das aus sechs Farben komponierte Firmenlogo präsentiert sich der Leverkusener Werkstoffspezialist, der zudem eine lange Geschichte vorzuweisen hat. Bis vor gut zwei Jahren war Covestro noch ein Teilbereich des Aspirin-Herstellers Bayer. Dann gliederte der Konzern die Kunststoffsparte aus, um sich voll auf das Geschäft mit Gesundheit und Agrarwirtschaft zu konzentrieren.
Als Covestro unter dem neuen Namen eigenständig an den Start ging, war das wie eine Befreiung. Sowohl von der Einbindung in die Organisation einer dominanten Mutter als auch von der Rücksichtnahme auf andere Sparten, die im Konzern höhere Priorität hatten. "Jetzt können wir unsere Stärken im globalen Markt viel flexibler ausspielen", gab sich der britische Oxford-Absolvent Thomas schon damals optimistisch.
Auf Erfolgskurs
Befreit von alten Fesseln und befeuert durch eine starke Produktnachfrage, bewegt sich das Unternehmen mit seinen rund 15 600 Mitarbeitern seither auf Erfolgskurs. Der Umsatz wird 2017 voraussichtlich auf 14 Milliarden Euro wachsen und damit um 20 Prozent über dem Niveau von 2014 liegen, als das Geschäft noch Teil von Bayer war. Geradezu explodiert ist die Profitabilität. Schon 2016 war der bereinigte operative Betriebsgewinn (Ebitda) um gut ein Fünftel auf zwei Milliarden Euro nach oben geschnellt. Im laufenden Jahr gab es bis Ende September sogar schon einen Gewinnzuwachs um über 57 Prozent. "Wir erwirtschaften Rekordzahlen bei Umsatz, Profitabilität und Mittelzufluss", freut sich Thomas.
Kein Wunder, dass die MDAX-Aktie zu Anlegers Lieblingen zählt. Seit dem Börsengang am 6. Oktober 2015 hat sich der Kurs mehr als verdreifacht. Nun winkt sogar die Chance, spätestens zum großen Prüftermin im September 2018 in den DAX aufzusteigen. Die Bayer AG, die derzeit noch 24,6 Prozent der Covestro-Aktien sowie weitere 8,9 Prozent über ihren Pensionsfonds hält, will bald weitere Anteile abstoßen. Damit rückt ein breiterer Streubesitz, wichtiges Kriterium für den Aufstieg in den Leitindex DAX, näher. Bayer kann die Erlöse aus dem Anteilsverkauf gut für die Übernahme des Saatgutherstellers Monsanto gebrauchen. Und Covestro wird, wenn es denn so kommt, für Anleger aus aller Welt noch interessanter und gewinnt zusätzliches Renommee.
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Profitable Schaumstoffe
Dass es schon jetzt so gut läuft, liegt an der starken Nachfrage in den zwei großen Kernbereichen. Das ist zuerst die Produktion von Polyurethan-Schaumstoffen (PUR), bei denen sich Covestro als globaler Marktführer sieht. Das Unternehmen stellt dafür zum einen die Chemikalie TDI her, die als ein zentraler Baustein für Weichschaum benötigt wird. Der kommt bei Kosmetika ebenso wie bei Polstermöbeln und vor allem bei der Produktion von Autositzen und Matratzen zum Einsatz. Beflügelt durch die Hochkonjunktur in der Automobilindustrie, aber auch durch aktuelle Trends wie das große Interesse etwa an großformatigen Kingsize-Betten, ist die Nachfrage nach diesen Kunststoffen zuletzt stark gestiegen.
Neben TDI produziert Covestro die Chemikalie MDI, die für harte Schaumstoffe insbesondere zur Wärmedämmung von Gebäuden produziert wird. Da winkt riesiges Potenzial, weil MDI im Vergleich mit anderen gängigen Materialien wie Polystyrol oder Mineralwolle eine um bis zu 40 Prozent höhere Dämmwirkung erzielt. Während das Weichschaumgeschäft etwas konjunkturanfällig ist, dürften Hartschaumprodukte in Zeiten zunehmenden Energiebewusstseins noch lange ein stabiler Gewinnträger bleiben. Schon jetzt beflügelt die Baukonjunktur in Asien, Europa und den USA. "Die Nachfrage nach den MDI-basierten Werkstoffen wächst mit Raten von fünf bis sieben Prozent jährlich und verspricht bei hohen Margen nachhaltigere Erträge als das TDI-Segment", sagt Michael Schäfer, Analyst bei der Commerzbank.
Das Geschäft mit Schaumstoffen brummt derzeit auch wegen außergewöhnlicher Produktionsengpässe. So musste BASF den Betrieb neuer TDI-Kapazitäten wegen technischer Probleme immer wieder aussetzen. Ebenso hat die Explosion einer Produktionsanlage des chinesischen Wettbewerbers Wanhua zu einem Nachfrageüberhang geführt. Folge: Covestro konnte kräftige Preissteigerungen durchsetzen - allein im dritten Quartal um fast 30 Prozent.
Beflügelt von Megatrends
Jedoch könnte sich das TDI-Szenario bald wieder ändern. Denn in den kommenden Monaten werden BASF und Sadara, ein Joint Venture zwischen Saudi Aramco und Dow Chemicals, mit neuen Kapazitäten in den Markt drängen. "Das wird sich ab dem zweiten Halbjahr 2018 negativ auf die Preise auswirken", prognostiziert Peter Spengler, Analyst bei der DZ Bank. Er rechnet aber auch nicht mit einem dramatischen Druck auf die Margen. Das Covestro-Management kann solche Marktschwankungen ohnehin recht gelassen sehen. Denn das Geschäft wird gleich von mehreren globalen Megatrends getragen. Der Klimawandel und die wachsende Mobilität gehören ebenso dazu wie der anhaltende Trend zur Urbanisierung und das Bevölkerungswachstum.
Beispiel Umwelt: PUR-Materialien sind nicht nur in Dämmstoffen für energieeffizientes Bauen, sondern als stabile und kostengünstige Harze auch in den Rotorblättern von Windkraftanlagen enthalten. Und die von dem Unternehmen gefertigten Polycarbonate (PC) - mit einem Umsatzanteil von rund 25 Prozent zweitwichtigster Geschäftsbereich - sind umso stärker gefragt, je mehr umweltfreundliche und autonom fahrende Automobile auf die Straßen rollen. Eine Rundum-Verscheibung aus PC ermöglicht beispielsweise Autofahrern einen Panoramablick ohne toten Winkel. Zugleich wird das Gewicht verringert, da Autofenster und Scheinwerfer aus Polycarbonat nur halb so schwer sind wie solche aus Glas. Viele andere Bauteile, gefertigt aus einer Kombination von PUR-Schaumstoff und PC, sind auch bei der Produktion von Elektroautos gefragt.
Kam ein Großteil der Nachfrage nach den Polycarbonaten lange Zeit von Herstellern von CD-Rohlingen, hat sich die Abnehmerstruktur angesichts des rückläufigen Geschäfts bei Musik-CDs zu anderen, zukunftsträchtigen Branchen verlagert: PC ist in der Medizintechnik ebenso gefragt wie bei der Produktion von Solarmodulen und der Ausrüstung von Sportlern. So bestehen etwa die Helmvisiere von Eishockeyspielern oder die offiziellen Fußbälle für die Europameisterschaften aus PC.
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Wachstumstreiber China
Besonders stark wächst die PC-Nachfrage in Asien und da vor allem in China. Das sorgt bei begrenztem Angebot für attraktive Margen. "Wir sehen weiterhin Knappheit im Markt", sagt Analyst Spengler. Covestro trägt dem mit einem Ausbau der Produktion in Shanghai Rechnung. Insgesamt ist China mit einem Anteil von rund 20 Prozent im Kerngeschäft bereits eines der größten Abnehmerländer. In den ersten neun Monaten 2017 hat der deutsche Chemiespezialist dort schon wieder um fast zehn Prozent mehr abgesetzt als im Vorjahr. Zum Vergleich: Die Zuwachsrate weltweit lag bei gut drei Prozent.
Mit Blick auf die Profitabilität hat Covestro - neben der Nachfrage- und Preisentwicklung - weitere Stärken. So stellt das Unternehmen auch die Basis-Chemikalien Chlor, Natronlauge und Wasserstoff - die Ausgangsstoffe für 80 Prozent all seiner Produkte - selbst her. Damit lassen sich über alle Geschäftsbereiche hinweg Skaleneffekte nutzen, die aus den abnehmenden Kosten bei Verarbeitung größerer Mengen resultieren. Gleichzeitig sorgen integrierte Prozesse, flache Hierarchien und das globale Netzwerk mit Produktionsstätten in Deutschland, China, Thailand und den USA für Kostenvorteile. "Covestro hat die Effizienz seit dem Börsengang noch einmal deutlich verbessert", sagt Schäfer.
Frische Impulse verspricht auch der Trend zur Digitalisierung. Das beginnt bei der noch besseren Abstimmung von Kundenwünschen, Produktion und Logistik und reicht bis zu neuen Vertriebswegen. Ab 2018 startet eine Onlineplattform, auf der Firmenkunden Polymer-Standardprodukte kaufen können und über die bis Ende 2019 Werkstoffe für bis zu einer Milliarde Euro umgesetzt werden sollen. "Mit der Digitalisierung können wir die großen Chancen, die sich aufgrund der derzeitigen Geschäftssituation bieten, optimal nutzen", betont Markus Steilemann, im Vorstand für Innovation, Marketing und Vertrieb zuständig. Er soll spätestens im Oktober 2018 und damit pünktlich zum dritten Jubiläum des Börsengangs den heute 60-jährigen Thomas als CEO ablösen.
Begrenzt konjunkturabhängig
Vieles spricht dafür, dass die Geschäfte bis dahin weiter gut laufen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwartet für die deutschen Unternehmen des Sektors wegen der wieder lebhafteren Weltkonjunktur für 2017 ein Umsatzplus von fünf Prozent. Das ist deutlich mehr als das, was die Branche noch zu Jahresbeginn erwartet hat. Allerdings gibt es auch Risiken. Ein Einbruch in der Autoindustrie oder des chinesischen Markts etwa würde Covestro treffen. Das Management betont aber, dass das Unternehmen rund 70 Prozent des Ergebnisses in weniger konjunkturabhängigen Marktsegmenten erzielt. Da zudem die Schulden abgebaut wurden, steht dem Konzern jetzt ein Nettoguthaben für weniger wachstumsstarke Jahre zur Verfügung.
Die vollen Kassen könnten auch für Zukäufe genutzt werden. Thomas ist sowohl an Firmen mit ergänzenden Technologien als auch an solchen, die den Weg in neue geografische Märkte ebnen, interessiert. Derzeit allerdings findet er keine wirklich attraktiven Kandidaten. Konsequenz: Er investiert lieber in die eigene Firma. Ende Oktober hat Covestro ein Aktienrückkaufprogramm mit einem Volumen von bis zu 1,5 Milliarden Euro angekündigt. Dem Börsenkurs kann das nur guttun.