Ein Jahr nach dem Debüt der Bayer-Chemiesparte Covestro zieht Finanzchef Frank H. Lutz in BÖRSE ONLINE Bilanz. Ähnlich wie im Vorjahr stellt der MDAX-Konzern aus Leverkusen auch für 2016 freie Mittelzuflüsse (Cashflow) von mindestens einer Milliarde Euro in Aussicht - obwohl die Preise unter Druck sind.

Börse Online: Herr Lutz, warum sinken die Preise für Covestro-Produkte trotz der starken Nachfrage?


Frank Lutz: Sinkende Preise sahen wir bisher bei Polyurethan (Schaumstoffe), nicht bei Covestro-Produkten insgesamt. Aber sprechen wir über Polyurethan: Auf den ersten Blick ist das schwer nachzuvollziehen. In jeder anderen Industrie würde man graue Haare bekommen, wenn man bei starker Nachfrage über fallende Preise reden muss. Wir können nur das Volumen in der Produktion beeinflussen, Währungsveränderungen oder fallende Rohstoffpreise, die wir an unsere Kunden weitergeben müssen, dagegen nur sehr eingeschränkt. Wenn wir das Volumen erhöhen können und dadurch sinkende Preise zumindest teilweise kompensieren, ist das okay. Denn damit steigen die Margen.

Dann sind Sie mit dem Cashflow zufrieden, aus dem auch die Dividenden finanziert werden?


Derzeit sieht es hervorragend aus. Weil wir bis Ende 2019 voraussichtlich nicht groß in Produktionskapazitäten investieren müssen, sind die laufenden Kosten überschaubar. 2015 waren wir bei knapp einer Milliarde Euro Cashflow. Das wollen wir auch in diesem Jahr mindestens erreichen.

Muss Covestro jetzt schon für den neuen Zyklus großer Investitionen sparen?


Ja, aber bildlich gesprochen nicht über das Sparbuch, sondern über den Abbau von Schulden. So können wir später für die Investitionen neue Darlehen aufnehmen. Parallel dazu verbessern wir unsere Geschäftsabläufe. Das Ziel ist, nachhaltig mehr Cashflow zu verdienen - auch um mehr Investitionen selbst finanzieren zu können.

Bei Polyurethan und Polycarbonat (Kunststoffe) wird das Wachstum von Covestro durch Überkapazitäten in der Branche ausgebremst. Wie hoch sind die?


Von Ausbremsen merken wir nichts. Bei Polyurethan liegt die theoretische Auslastung zwischen 83 und 85 Prozent. In diesem Jahr sehen wir jedoch, dass Wettbewerber bei einigen Produkten Schwierigkeiten haben und wir deshalb dort Auslastungsquoten von mehr als 90 Prozent fahren können. So bekommen wir das Volumen, das andere nicht bedienen können.

Auch deshalb drosseln Sie Kapazitäten nicht?


Ja. Aber auch weil wir in Europa zum Beispiel durch verbesserte Produktionsprozesse TDI-Schaumstoffe mit geringerem Energieaufwand herstellen. Die Nachfrage steigt um vier bis fünf Prozent pro Jahr. Die Überkapazitäten werden damit wie erhofft abgebaut.

Gilt das auch bei Kunststoffen?


Die Situation ist ähnlich. In China haben wir jedoch gerade zwei große, neue Anlagen gebaut. Die erste fahren wir gerade an, die zweite erst 2017. Die Nachfrage ist sehr stark.

Ihre kleine Sparte Spezialprodukte CAS glänzt mit hohen Renditen. Warum sind hier nur kleinere Zukäufe möglich?


Es wären auch Zukäufe im Gesamtwert von einigen Hundert Millionen Euro möglich. Aber gerade weil die Sparte hohe und nachhaltige Margen einfährt, besteht bei großen Zukäufen das Risiko, diese Margen zugunsten von mehr Umsatz zu verringern. Das ist für uns keine Option. Firmen, die wir übernehmen, sollen die Profitabilität verbessern.



Bei Kunststoffschäumen lag Covestros operative Marge zuletzt bei 15 Prozent, noch deutlich unter den Spitzenwerten, die früher erreicht wurden. Was ist heute möglich?


In der Vergangenheit hatten wir in der Spitze auch 18 und 19 Prozent Marge. Das ist für mich aber nicht die Obergrenze. Wir müssen den Anspruch haben, unser Geschäft profitabler als in der Vergangenheit zu führen.

Obwohl Covestro schon zu den profitabelsten Unternehmen gehört?


In der Produktion sind wir im Branchenvergleich schon sehr weit vorn. Aber bei den Kosten für Verwaltung und Vertrieb können wir noch viel optimieren. Da sind wir bei Weitem noch nicht spitze.

Wird Covestro im gegenwärtig günstigen Umfeld in einem höheren Tempo und einem größeren Volumen Firmen übernehmen?


Es ist schwierig für uns, passende Ziele zu finden. Wichtig ist, dass wir ein Jahr nach unseren Debüt in Frankfurt unseren Börsenwert verdoppelt und ein extrem gutes operatives Ergebnis geliefert haben, darauf wollen wir uns auch weiter konzentrieren.

Wie weit sind Sie mit dem Schuldenabbau?


Beim Börsengang haben wir gesagt, dass wir die Verschuldung bis 2019 auf das 1,5-Fache des operativen Gewinns (Ebitda) senken werden. Zum Halbjahr hatten wir etwa 1,8 Milliarden Euro Nettofinanzverbindlichkeiten. Einschließlich Pensionsverpflichtungen sollten die Nettogesamtschulden bis spätestens Ende 2019 bei 2,6 bis 2,8 Milliarden Euro liegen. Beim operativen Gewinn haben wir für 2016 rund 1,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Dann könnte die Verschuldung in diesem Jahr zwischen dem 1,2-Fachen und dem 1,9-Fachen des Ebitda liegen. Wird Covestro sein Ziel für 2019 drei Jahre früher erreichen?


In diesem Jahr noch nicht. Aber voraussichtlich viel früher als geplant.

Bayer will Monsanto übernehmen. Zur Finanzierung könnte der Konzern seine Anteile an Covestro verkaufen. Sprechen Sie mit Bayer über einen kursschonenden Verkauf?


Nein, und das ist auch richtig so. Bayer ist für uns auch als Großaktionär ein Anteilseigner wie jeder andere. Wir können nur das wiederholen, was auch Bayer gesagt hat: dass man sich mittel- bis langfristig komplett aus Covestro zurückziehen möchte.



Covestro-Aktie: Kurs in einem Jahr verdoppelt



Es läuft. Der Börsenwert der ehemaligen Chemiesparte von Bayer hat sich im ersten Jahr verdoppelt. Der Leverkusener MDAX-Konzern ist Weltmarktführer mit seinen größten Sparten Schaumstoffe und Kunststoffe. Covestro stellt Materialien für Zulieferprodukte in der Auto-, Möbel- und Bauindustrie her. Auch Fußbälle werden aus Kunststoffen des Konzerns gefertigt. Trotz der starken Preisschwankungen bei Rohstoffen wie Benzen oder Phenol blieben die Mittelzuflüsse aus dem operativen Geschäft während der vergangenen 15 Jahre positiv.

Die beiden Bereiche bringen zwei Drittel des für 2016 angepeilten operativen Gewinns von 1,8 Milliarden Euro (Ebitda). Die dritte und kleinste Sparte Spezialprodukte, die unter anderem Grundstoffe für die Lederindustrie liefert, ist mit operativen Margen von über 20 Prozent eine Renditeperle. Im Vergleich mit Schaum- und Kunststoffen ist das Geschäft weniger zyklisch.

Weil durch Zyklen bedingte milliardenschwere Investitionen in den Ausbau der Kapazitäten der großen Sparten erst ab 2020 notwendig sind, bleiben die Kosten während der nächsten Jahre moderat. Mit den höheren Mittelzuflüssen baut Covestro derweil die Verschuldung ab. Für 2016 wird, ähnlich wie im Vorjahr, mindestens eine Milliarde Euro Cashflow in Aussicht gestellt. So könnte schon bald eine niedrige Verschuldung im Bereich des 1,9-Fachen des Ebitda erreicht werden, die eigentlich erst für 2019 angepeilt ist.

Wie aus Branchenkreisen zu hören ist, will sich Bayer innerhalb der nächsten 24 Monate komplett von Covestro zurückziehen. Das könnte den Aktienkurs vorübergehend belasten.