Ganz unter Kontrolle ist die Corona-Pandemie noch lange nicht. Zugleich korrigierten die Aktienkurse der Impfstoffentwickler nach ihrem Sommerhoch kräftig. Kurstreibende Nachrichten zu klinischen Etappensiegen gegen Covid-19 sollten dem Sektor aus Anlegersicht neuen Rückenwind geben. So haben positive Studienergebnisse den Aktienkurs von Valneva um 50 Prozent nach oben katapultiert.
Allerdings bleiben etliche Fragen offen. Branchenexperten kritisieren das Studiendesign, bei dem Valneva die Höhe des Antikörperspiegels als primären Endpunkt setzte. Daten, die Rückschlüsse zur Verhinderung einer Infektion geben, wurden dagegen nur als sekundärer Endpunkt ausgegeben. Vage blieb das Management hier auch mit seiner Aussage, dass die Infektionsraten in der Patientengruppe ähnlich sei wie in der mit dem bereits zugelassenen Vakzin von Astrazeneca behandelten Kontrollgruppe. Was von Medizinern als Zeichen gedeutet wird, dass die Wirksamkeit nicht so hoch ist wie bei den beiden mRNA-Impfstoffen von Moderna und Biontech/Pfizer, die den Markt klar dominieren.
In Europa wäre der Valneva-Kandidat der erste zugelassene Corona-Impfstoff, der nach dem traditionellen Verfahren mit abgetöteten Viren, die sich nicht mehr vermehren können, entwickelt wird. Lukas Leu, Analyst bei Bellevue Asset Management, bleibt skeptisch: "Aus meiner Sicht ist die Zulassung aufgrund der relativ kleinen Studie mit rund 3000 Teilnehmern und dem fehlenden Nachweis einer klinischen Wirksamkeit nicht garantiert." Und auch im Erfolgsfall müsse Valneva eine gute Marketingstrategie fahren, um sein Produkt gegenüber Moderna und Biontech/Pfizer zu positionieren.
Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment, sieht in den potenziellen Newcomern ebenfalls keine ernsthafte Konkurrenz, die den bereits zugelassenen Impfstoffen Marktanteile streitig machen könnten. Allerdings könne diesen Produkten eine Rolle zukommen, um die zuletzt schleppend anziehenden Impfquoten wieder zu erhöhen: "Valneva, Novavax oder Sanofi können mit ihren Kandidaten in Zukunft diejenigen Personen erreichen, die den mRNA- und vektorbasierten Impfstoffen ablehnend gegenüberstehen. Aus diesem Grund werden europäische Regierungen gewillt sein, ein Vakzin zuzulassen, das mit einem traditionellen Verfahren produziert wird."
Im Fall einer Zulassung dürften sich die Investitionen in den Impfstoff auszahlen. Die 100 Millionen Impfdosen, die Valneva selbst produziert, sollte die Biotechfirma mit Sitz in Frankreich angesichts des globalen Bedarfs in jedem Fall verkaufen - und damit schwarze Zahlen schaffen. Bellevue-Experte Leu sieht die besten Anwendungsoptionen für die Produkte von Valneva oder Novavax für Booster-Strategien, bei denen mehrere Vakzine in Kombination miteinander eingesetzt werden.
Universum an Covid-19-Arzneien
Weniger klar abgesteckt ist das kommerzielle Feld bei den Medikamenten, die schwere Krankheitsverläufe verhindern, indem sie die Vermehrung der Viren blockieren. Sieben Produkte sind aktuell freigegeben, darunter das 2020 zugelassene Remdesivir von Gilead Sciences, das kaum Wirkung zeigte. Die meisten Arzneien durchlaufen nach ihrer Notfallzulassung zusammen mit vier weiteren Kandidaten den regulären Zulassungsprozess auf Basis des Rolling Review, der eine schnelle Entscheidung begünstigt. Merck & Co. setzt auf eine baldige Notfallzulassung für Molnupiravir. Der Wirkstoff kann als Tablette eingenommen werden. Bei einem Dosispreis von 705 US-Dollar, den Branchenexperten für die USA und EU taxieren, könnte Merck allein mit den 1,7 Millionen Dosen, die von der US-Regierung geordert wurden, mit Molnupiravir einen Milliardenumsatz erzielen.
Die von Astrazeneca, Pfizer und Roche entwickelten Antikörpermedikamente würden im Erfolgsfall ab 2022 zu deutlich höheren Preisen auf den Markt kommen. "Gerade für Angehörige von Risikogruppen bieten diese Produkte mit einer Wirksamkeit von 80 bis 90 Prozent einen wesentlich besseren Schutz als das zu 50 Prozent wirksame Merck-Produkt", ist Fondsmanager Manns überzeugt. Unter den Medikamentenherstellern sind Astrazeneca und Regeneron für Investoren erste Wahl. Was die Impfstoffentwickler betrifft, könnte der jüngste Kursrutsch bei Moderna und Biontech eine Einstiegsgelegenheit sein. Biontech fiel kürzlich sogar unter unseren zuletzt auf 275 Euro nachgezogenen Stoppkurs. Inzwischen hat sich die Aktie auf einem etwas niedrigeren Niveau stabilisiert, weshalb der Zeitpunkt für den spekulativen Wiedereinstieg günstig erscheint.