"Das wird deutliche Effekte auf die Beschäftigung haben, wenn es uns nicht gelingt, an der Fertigungstiefe teilzuhaben", sagte Brecht, der zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler ist.
"Wir wollen aber, dass die deutschen Daimler-Standorte an der Elektrostrategie des Unternehmens partizipieren und zwar nicht nur in der Forschung und Entwicklung, sondern auch in der Fertigung."
Die Daimler AG fertige heute kaum Elemente für die Elektromobilität selbst. Die Tochter Deutsche Accumotive aus Kamenz baut Batterien. Elektromotoren produziert der Autobauer zusammen mit Bosch im Gemeinschaftsunternehmen EM-motive in Hildesheim. Vom Antriebsstrang der Benzin- und Dieselmotoren dagegen produziert der Konzern einen großen Teil selbst. Deren rückläufige Zahl würde sich nach Einschätzung Brechts nicht nur auf die Aggregatewerke von Mercedes-Benz - vor allem auf den größten Standort dafür am Konzernsitz Stuttgart-Untertürkheim - auswirken, sondern auch auf Montagewerke wie Rastatt oder Bremen. "Die Zahl der Arbeitsplätze beim Elektromotor zu Verbrenner ist grob das Verhältnis eins zu zehn."
Um mehr Klarheit zu gewinnen, hätten Vorstand und Betriebsrat vereinbart, eine gemeinsame Studie aus dem Jahr 2012 zu aktualisieren und auf alle Standorte auszudehnen. Denn inzwischen sei von stärkerem Wachstum bei Elektroautos auszugehen, sagte Brecht. Alle Autobauer stellen sich auf mehr Nachfrage nach strombetriebenen Fahrzeugen ein, wenn im kommenden Jahrzehnt neue Batterien billiger werden und mehr Reichweite bieten.
Daimler will einem Insider zufolge auf der Automesse in Paris Ende des Monats Pläne für ein halbes Dutzend neue Modelle präsentieren. In der Studie von 2012 sei nur der Effekt auf die Aggregateproduktion, also auf Motoren, Getriebe und Achsen, betrachtet worden, sagte Brecht. "Die Auswirkungen auf Montagewerke sind unklar. Ich bin aber sicher, es hat auch hier Effekte, wenn auch nicht so große."
Der Betriebsratschef fordert deshalb mehr Eigenproduktion für Elektroautos. Mit viel Begeisterung des Daimler-Vorstandschefs rechnet er nicht, da der Konzern seit Jahren den von Anlegern kritisierten hohen Eigenanteil durch Auslagerungen abzubauen versucht. "Das mag keine Priorität haben für Dieter Zetsche", sagte Brecht. "Es kann aber nicht sein, dass wir dann eines Tages leer stehende Gebäude und Flächen haben." Ein Wachstum außerhalb des Konzerns könne er sich dann nicht vorstellen, signalisierte er Widerstand gegen künftige Pläne zur Fremdvergabe.
ARBEITEN IM SCHWARM
Daimler ist derzeit angesichts der tiefgreifenden Veränderung der Branche durch Elektrifizierung, Digitalisierung und autonomes, vernetztes Fahren im Umbruch. Vorstandschef Zetsche hat einen Wandel der bislang hierarchisch geprägten Führungskultur eingeleitet, um mehr Innovationstempo reinzubringen. Unter Beteiligung von rund 1000 Mitarbeitern werden neue Arbeitsweisen entwickelt. "Das hat es so noch nie gegeben. Das war ein richtig gutes Gefühl, quer durch die Welt über Hierarchiestufen hinweg vernetzt zu sein und in verschiedenen Runden zu diskutieren: Was würdest Du verändern?", sagte Brecht. Zetsche kündigte an, binnen eines Jahres 20 Prozent der rund 280.000 Beschäftigten befreit von Hierarchien und Abteilungsgrenzen in "Schwarmorganisation" arbeiten zu lassen.
Der Betriebsrat unterstütze die Pläne, erklärte Brecht. Aber Zetsches Ziel sei "schon sehr forsch". Die Organisation dürfe nicht überfordert werden, und ganz ohne Regeln gehe es nicht. "Verabredet ist, dass wir zunächst kleine Pilotprojekte dazu machen, um Erfahrungen zu sammeln und das auszuwerten." Es sei nicht unbedingt eine Betriebsvereinbarung notwendig, über die lange verhandelt werde, aber zumindest ein Rahmen. So sei zu klären, ob eine halbes Jahr Projektarbeit eine Versetzung sei, bei der die Betriebsräte mitzubestimmen hätten. Auch die Bezahlung sei ein Thema: "Wenn es keine Hierarchie mehr gibt und jeder den gleichen Anteil bringt, ob dann auch alle das gleiche Geld kriegen?"
rtr