Zetsche soll Daimler - den üblichen Standards guter Unternehmensführung folgend - nach einer zweijährigen Abkühlphase als oberster Kontrolleur erhalten bleiben. Der Hauptversammlung 2021 werde der Aufsichtsrat vorschlagen, Zetsche als Nachfolger von Manfred Bischoff (76) zum Chef des Gremiums zu wählen.

"Der Aufsichtsrat will in Anbetracht der Herausforderungen der Transformation in der Automobilbranche frühzeitig die Weichen für eine geeignete Nachfolge stellen", erklärte das Unternehmen. Källenius wurde schon lange als Kronprinz gehandelt - doch jetzt geht es schneller als erwartet, denn Zetsches Vertrag lief ursprünglich bis Ende nächsten Jahres. Sein Nachfolger übernimmt das Steuer in anstrengenden Zeiten: Die Autoindustrie steckt in einem tiefgreifenden Umbruch wegen Dieselskandal, Digitalisierung und dem weltweit strengeren Klimaschutz. Daimler muss wie die anderen Konzerne jedes Jahr Milliardensummen in Elektroautos, die Vernetzung von Fahrzeugen und Mobilitätsdienste stecken. Zugleich prasselt der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelsstreit mit höheren Zöllen und der Abschied Großbritanniens aus der Europäischen Union auf die wichtigste deutsche Exportbranche nieder.

Dass der bisherige Vorstandschef künftig seinem Nachfolger von der Rückbank aus über die Schulter schaut, könnte problematisch sein. Deshalb sei die Abkühlphase zwischen den Ämtern so wichtig, erklärt Fondsmanager Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment. Es sei aber gut, dass Daimler in Krisenzeiten frühzeitig handele. Theodor Baums, Juraprofessor und Experte für Unternehmensführung, erklärte, es sei zum einen ein Vorteil, weil der Ex-Vorstandschef das Unternehmen gut kenne. Andererseits könnte es hinderlich sein, wenn ein Konzern einen Strategiewechsel brauche.

HOCH UND TIEF IN ZETSCHES AMTSZEIT



Daimler hat die Neuaufstellung des Konzerns mit einer Muttergesellschaft und den selbstständigen Pkw-, Lkw- und Dienstleistungstöchtern schon beschlossen. Doch im laufenden Geschäft neigt sich gerade eine gut fünf Jahre lange Boomphase dem Ende zu - in diesem Jahr wird der Dax-Konzern erstmals seit 2012 den Pkw-Absatz nicht mehr steigern und weniger Betriebsgewinn einfahren als im Vorjahr. Auf und Ab ging es auch während Zetsches Karriere, die der in Istanbul geborene Hesse als Elektroingenieur 1976 begann. International bekannt wurde der Manager mit dem Schnauzbart Anfang des Jahrtausends als Chef und Sanierer der US-Tochter Chrysler, die später an Fiat ging. Ende 1998 zog Zetsche in den Konzernvorstand ein, 2006 wurde er Vorstandschef. Während einer Schwächephase des Konzerns 2012 kam es zum Machtkampf mit dem Betriebsrat, der Zetsche fast das Amt kostete. Seither setzte der Manager auf eine bessere Kooperation mit den Arbeitnehmern. Betriebsratschef Michael Brecht würdigte die Beschlüsse und Empfehlungen des Aufsichtsrats als "kraftvolle und gute Entscheidungen". Daimler stelle den Vorstand jünger auf und gebe damit neue Impulse. Mit Zetsche werde die vertrauensvolle Zusammenarbeit fortgesetzt.

"Er hat als Vorstandsvorsitzender bewiesen, dass er die Daimler AG auch in schwierigem Terrain führen und die Mitarbeiter für anspruchsvolle Ziele begeistern kann", sagte AR-Chef Bischoff über Zetsche. In der Öffentlichkeit tritt der Autoboss betont lässig auf in Jeans, Sneakern und offenem Hemd ohne Krawatte. Sein Image als Erfolgsmanager des derzeit weltweit führenden Premiumautobauers litt zuletzt aber unter dem Vorwurf von Kartellverstößen und Dieselabgas-Ticksereien. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bestellte Zetsche deswegen im Frühjahr zum Rapport nach Berlin. Mercedes muss Millionen Diesel-Pkw in Ordnung bringen, wehrt sich aber gerichtlich gegen die Anschuldigung der Behörden, gegen Gesetze verstoßen zu haben.

EIGENGEWÄCHS AN DER SPITZE



Källenius ist wie Zetsche ein Daimler-Eigengewächs: Der gelernte Ökonom arbeitet bei dem Dax-Konzern seit 1993, zog 2015 erstmals als Pkw-Vertriebschef in den Vorstand ein und wechselte Anfang 2017 auf den Posten des Forschungschefs, was in der Branche als Warmlaufen für den Chefposten betrachtet wurde. Källenius sei nicht nur sehr anerkannt im Unternehmen, erklärte Zetsche. "Gleichzeitig bringt er eine wertvolle internationale Perspektive mit."

Nachfolger von Källenius wird im Konzernvorstand der bisherige Pkw-Produktionschef Markus Schäfer. Auch die Führung der in Zukunft eigenständigen Tochter Mercedes-Benz Cars wird neu besetzt. Der bisherige Qualitätsmanager Jörg Burzer wird neuer Produktionschef, Wilko Stark wechselt vom Posten des Konzernstrategiechefs auf das Ressort Einkauf. Digitalchef Sajjad Khan treibt als Vorstandsmitglied die Trendthemen Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung voran.

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Was Experten zum Wechsel an der Daimler-Spitze sagen



Daimler leitet den Machtwechsel an der Konzernspitze früher ein: Dieter Zetsche (65) tritt bereits im Mai nächsten Jahres als Konzernchef ab und übergibt das Zepter dann an Forschungschef Ola Källenius (49). Zetsche soll nach einer zweijährigen Abkühlungsphase an die Spitze des Aufsichtsrats rücken.

Analysten und Investoren sagten zu dem Wechsel Folgendes:

JÜRGEN PIEPER, BANKHAUS METZLER:



"Dieser doch schnelle Abgang (von Zetsche) könnte signalisieren, dass die nächsten Quartale eher ungemütlich werden. Die sehr vielen Themen in der Industrie könnten den Willen gefördert haben, lieber morgen als übermorgen zu gehen.

Källenius ist schon länger der Favorit, er könnte einen Aufbruch auch sehr gut verkörpern. Er ist jung, intelligent, hat ein gutes Auftreten und ist schlicht auch ein anderer Typ als viele Topmanager in der Autoindustrie, offener, international.

Es wird spannend sein zu sehen wie er als Nicht-Deutscher, Nicht-Ingenieur mit der konservativen Daimler-Welt in einer so exponierten Position zurechtkommt, und die anderen mit ihm. Aber die Chance ist gut, mit ihm die ganzen schmutzigen Dieselthemen hinter sich zu lassen."

CHRISTIAN LUDWIG, BANKHAUS LAMPE:



"Das ist eine zeitlich gut gewählte Entscheidung. Man weiß jetzt, auf was man sich einzustellen hat. Zetsches Vertrag läuft Ende nächsten Jahres aus, jetzt geht er ein halbes Jahr früher. Er wird die Reorganisation im Aufsichtsrat, die sicherlich auch auf der nächsten HV entschieden wird, aktiv begleiten können. Es ist Klarheit geschaffen worden, wer sein Nachfolger wird, bevor die Spekulationen zu sehr ins Kraut schießen. Von daher halte ich das für eine extrem elegante Kommunikation. Das hat auch alles Hand und Fuß.

Ich glaube nicht, dass Källenius nur eine Marionette von Herrn Zetsche sein wird. Dafür hat er sich schon selber sehr gut positioniert. Källenius ist der Mann für die nächsten zehn Jahre. Zetsche ist zwei Jahre nur Mitglied im Aufsichtsrat, also noch nicht Aufsichtsratsvorsitzender. Das sehe ich relativ gelassen."

ARNDT ELLINGHORST, EVERCORE ISI:



"Daimler wollte für Klarheit sorgen, weil es Druck auf den Vorstand gibt. Durch die Ankündigung soll etwas Ruhe in die Sache gebracht werden. Es ist die Bestätigung des bestehenden Zetsche-Systems, bei dem der Konzernchef gleichzeitig Markenvorstand ist. Es wurde lange diskutiert, ob man zu einem Holdingmodell wechselt, bei dem der Konzernvorstandsvorsitzende über dem Mercedes-Vorstand sitzt. Das wollte Zetsche nie. Er hat sich durchgesetzt."

FRANK SCHWOPE, NORDLB:



"Positive Kursreaktionen sind zu erwarten, wenn Källenius nächstes Jahr Aufräumarbeiten angeht, die bei einem CEO in seinen letzten Monaten nicht mehr konsequent verfolgt werden. Grundsätzlich täte Daimler aber auch eine Blutauffrischung von außen gut, um unabhängigere Blickwinkel ins Unternehmen zu bekommen."

rtr