Herr Källenius, am 9. April startet Daimler die Auslieferung der neuen Mercedes-Benz E-Klasse Limousine in Europa. Nach Schätzungen des Bochumer Center Automotive Research lag die alte E-Klasse im vergangenen Jahr mit rund 302.000 verkauften Einheiten knapp hinter dem 5er-BMW. Setzen Sie jetzt den Blinker zum Überholen?


Ola Källenius: Die E-Klasse ist das Herzstück unserer Produktpalette. Seit ihrer Einführung 1946 haben wir insgesamt über 13 Millionen E-Klasse Limousinen und T-Modelle verkauft. Damit ist die E-Klasse das meistverkaufte Fahrzeug in der Geschichte von Mercedes-Benz. Jetzt kommt die 10. Generation, zunächst in Europa, im Sommer folgt die Auslieferung in den USA und im Herbst der Start in China. Schon an diesem Zeitplan sehen Sie, dass 2016 ein Übergangsjahr ist. Aber: Mit der neuen E-Klasse haben wir die intelligenteste Business-Limousine der Welt. Von daher ist das Ziel klar, dass wir den Absatz des Vorgängermodells übertreffen wollen.

Das heißt?


Ich werde keine konkreten Absatzziele nennen. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir mit der neuen E-Klasse weiter wachsen werden. Vor allem in China sehen wir großes Potenzial. Was in diesem Land möglich ist, haben wir mit der neuen C-Klasse gesehen. Dort haben wir mit dem neuen Modell einen ganz großen Sprung nach vorne gemacht.

Und mit der E-Klasse wird es in China einen ähnlich großen Satz nach vorne geben?


Das hoffen wir. Aber es gibt einen Unterschied. Mit der Einführung der neuen C-Klasse in China haben wir im September 2014 zum ersten Mal eine spezielle Langversion für den chinesischen Markt angeboten. Bei der E-Klasse gibt es diese Langversion bereits im aktuellen Modell, also der Baureihe 212. Insofern ist die Ausgangslage nicht ganz vergleichbar. Aber wir sind sehr zuversichtlich, dass auch die neue E-Klasse in China ein großer Erfolg wird. Die Voraussetzungen dafür haben wir geschaffen. So haben wir zum Beispiel den Fonds noch mal deutlich aufgewertet. Aber natürlich sehen wir für die neue E-Klasse auch in Europa sehr gute Chancen - gerade als Business Limousine.

Dann werden Sie spätestens 2017 mit der neuen E-Klasse vor dem Wettbewerb aus München und Ingolstadt liegen?


Wenn wir das mit der Baureihe 213 bereits nächstes Jahr schaffen, wäre das klasse. Die Segmentführerschaft muss das Ziel über den gesamten Lebenszyklus der E-Klasse sein.

In China haben Sie im vergangenen Jahr den Absatz um fast 33 Prozent gesteigert. In den ersten beiden Monaten liegen Sie in ihrem inzwischen größten Markt bereits 42 Prozent über Vorjahr. Wie lange können Sie dieses Tempo in China noch halten?


Wir freuen uns, dass wir einen sehr guten Start hatten und bleiben für das laufende Jahr optimistisch. Aber man kann nicht damit rechnen, dass es linear nach oben geht. Das Umfeld in China wird volatiler. Die gute Botschaft ist: Wir haben unsere lokale Produktion in den vergangenen Jahren deutlich erweitert und können auf diese Volatilitäten nun sehr viel besser reagieren. Und unabhängig von diesen Schwankungen zeigt der Trend für die nächsten acht, neun, zehn Jahre nach oben. China bietet langfristig das höchste absolute Wachstum. Selbst bei einer Konjunktur-Abkühlung bleibt China damit der wichtigste Wachstumsmarkt für Mercedes-Benz.

Ihr zweit-größter Markt liegt in den USA. Dort sind sie in den vergangenen Jahren ebenfalls stark gewachsen. Wie lange geht das noch gut?


Das stimmt. In den USA haben wir in den vergangenen Jahren deutliche Zuwächse gesehen, aber die Zuwächse werden prozentual kleiner. Darüber hinaus fokussieren wir uns auf profitables Wachstum. Von daher müssen wir uns allmählich auf eine nachlassende Wachstumsdynamik einstellen - aber auf hohem Niveau.

Audi-Chef Rupert Stadler hat Ihnen in einem Handelsblatt-Interview unlängst indirekt vorgeworfen, die Rabatte hochgefahren zu haben, um Marktanteile zu gewinnen. Zu Recht?


Hier muss ich entschieden widersprechen. Wir haben eine sehr klare Preispolitik bei Mercedes-Benz. Wir bieten mehr, dafür verlangen wir aber auch etwas mehr. Deshalb ist unser klares Ziel in allen Märkten ein Preis-Premium durchzusetzen. Das kann man übrigens auch in unabhängigen Rabattstudien nachlesen. Beispielsweise in China ist unser Rabattumfang trotz dynamischstem Wachstum stabil geblieben. Um es ganz klar zu sagen: Preispolitik und Markenpflege stehen bei uns an erster Stelle - vor dem Absatz.

Mercedes-Benz peilt eine operative Marge von zehn Prozent an. Diese Marke haben Sie im vergangenen Jahr erreicht und lagen damit erstmals seit langem wieder vor BMW und Audi. 2016 müssen sie satte Anlaufkosten für die Einführung der neuen E-Klasse stemmen. Wie zuversichtlich sind Sie, die operative Zielvorgabe im laufenden Jahr erneut zu erreichen?


Geprägt durch den Anlauf der neuen E-Klasse wird das zweite Halbjahr sicherlich stärker ausfallen als das erste Halbjahr. Eine operative Marge von zehn Prozent ist und bleibt unsere Zielgröße. Das ist unser Maßstab.

Aber mit der Einführung der E-Klasse haben Sie ja einen großen Kostenblock und im wichtigen chinesischen Markt kommt die E-Klasse erst im Herbst. Muss man da nicht ehrlicherweise sagen: Es wird sehr schwer, diese Marke 2016 erneut zu schaffen?


In den guten, alten Zeiten hatten wir drei oder vier Hauptbaureihen. Pro Jahr stand damit im Schnitt die Markteinführung oder ein Facelift einer Hauptbaureihe an. Mittlerweile haben wir ein Produktportfolio von rund 30 Aufbauformen inklusive zahlreicher Derivate. Bis 2020 werden wir unser Portfolio auf 40 Modelle ausweiten. Wenn Sie mit einem durchschnittlichen Lebenszyklus von sieben Jahren und einem Facelift nach drei bis vier Jahren kalkulieren, kommen Sie schnell auf sechs oder sieben Modelleinführungen - pro Jahr. 2016 passt da voll ins Bild. Natürlich ist die E-Klasse im laufenden Jahr die wichtigste Markteinführung. 2016 ist aber auch das Jahr der Dreamcars bei Mercedes-Benz. Wir bringen den neuen SL. den SLC, das S-Klasse Cabrio und das C-Klasse Cabrio und außerdem einen weiteren SUV, das GLC Coupé auf den Markt. Diese Modelloffensive hat dazu geführt, dass unsere Investitionen in unsere Werke und die Anzahl an Markteinführungen neuer Modelle stetig gestiegen sind. So wollen wir weitermachen. Daher muss das Ziel sein, grundsätzlich eine operative Marge von zehn Prozent zu erreichen, und gleichzeitig das Geld für die nötigen Investitionen zu erwirtschaften.

Auf Seite 2: Unsere Einschätzung zur Aktie





Mit der bevorstehenden Markteinführung der neuen E-Klasse geht die größte und ehrgeizigste Modell-Offensive in der Geschichte Mercedes-Benz auf die Zielgerade. Inzwischen fährt Mercedes-Benz dafür die Ernte ein. Beim Absatz hat die Marke mit dem Stern im Vorjahr Audi überholt und sich dicht an Branchenprimus BMW geschoben. Nicht wenige Auguren erwarten, dass 2016 auch BMW fällig sein könnte und Mercedes-Benz wieder die Pole Position im Premium-Segment zurückerobert.

Das wäre ein schöner Erfolg. Er birgt aber auch Gefahren. In der Vergangenheit neigten die Stuttgarter in Jahren mit starken Absätzen und glänzenden Ergebnissen stets zu einer gewissen Selbstzufriedenheit. Dessen ist sich Daimler-Boss Dieter Zetsche sehr bewusst und wird nicht müde zu versichern, dass dies Mal alles ganz anders werden soll.

Tatsächlich hat Daimler mit seinen Effizienzprogrammen viel Fett abgeschmolzen. Gemessen an der operativen Rendite lag Mercedes-Benz 2015 mit zehn Prozent erstmals seit vielen Jahren wieder vor BMW und Audi. Diese Marke soll trotz der teuren E-Klasse-Einführung auch 2016 halten, machte Daimler-Vorstand Ola Källenius gegenüber BÖRSE ONLINE deutlich.

In der Trucksparte bleibt die Lage dagegen schwierig. Der wichtige brasilianische Lkw-Markt hat sich zuletzt praktisch halbiert. An einem Personalabbau in seinem Werk in Sao Bernardo do Campo kommt der Konzern nun wohl kaum noch vorbei. Zudem dürften die Truck-Verkäufe in den USA im laufenden Jahr spürbar sinken, allerdings auf hohem Niveau.

Insgesamt bleiben die Ampeln für Daimler aber auf grün. Zwar reagierten Investoren enttäuscht über den zurückhaltenden Ausblick von Konzern-Chef Dieter Zetsche auf der Jahrespressekonferenz Anfang Februar. Aber Daimler gibt sich zum Jahresauftakt traditionell zurückhaltend.

Inzwischen hat sich das Papier in der Zone zwischen 58 und 60 Euro gefangen. Mit einem 2016er KGV von rund sieben und einer aktuellen Dividendenrendite von 4,2 Prozent ist die Aktie attraktiv bewertet. Daimler bleibt ein Basis-Investment im Dax. Kaufen. Ziel: 78, Stopp: 59,60 Euro.